Maximilian Berhorst aus Alsfeld hatte eine Schlauchmagen-OPMit 100 Kilogramm weniger in ein neues Leben
ALSFELD (akr). Maximilian Berhorst hat sich mehr als halbiert – im wahrsten Sinne des Wortes. Über 100 Kilogramm Körpergewicht hat der Alsfelder verloren, und zwar durch einen sogenannten Schlauchmagen. Ein Schritt, der sein ganzes Leben verändert hat, aber alles andere als einfach war.
Maximilian Berhorst geht zum Küchenschrank und holt eine Auflaufform raus. „Die fasst fünf Kilo, würde also eine ganze Familie satt machen“, erzählt er. Für ihn waren es zwei Mahlzeiten. Er benutzt sie aber schon länger nicht mehr. Jetzt hat er eine kleine Auflaufform, die für eine Person reicht. Er kann davon aber locker zwei Tage essen. 200 bis 250 Gramm, mehr passt in seinen Magen nicht mehr rein. Der größte Teil seines Magens wurde nämlich entfernt. Der 30-Jährige hat einen sogenannten Schlauchmagen.
187 Kilogramm bei einer Körpergröße von 1,83 Meter brachte der Alsfelder bis vor rund eineinhalb Jahren noch auf die Waage. Mittlerweile wiegt er nur noch 84 Kilo, trägt nun Hosengröße 33 anstatt 68. „Mein ganzes Leben hat sich verändert“, lächelt er – und das musste es sich auch. Durch sein starkes Übergewicht sind sowohl seine beiden Knie, als auch die Sprunggelenke ordentlich in Mitleidenschaft gezogen worden. Bluthochdruck gehörte auch zu den Folgen. „Die Knie sind immer noch kaputt, aber es sind eben 100 Kilo weniger, die getragen werden müssen“, erzählt er.
Berhorst war schon immer übergewichtig. „Bei meiner Geburt war ich witzigerweise unterernährt“, lacht er. Doch so richtig habe er dieses massive Übergewicht nie wahrgenommen. Erstmals damit damit konfrontiert worden, was es heißt, so stark übergewichtig zu sein, sei er 2019 beim Musikfestival Wacken.
Die Auflaufformen im Vergleich: Die große, mit einem Fassungsvermögen von rund fünf Kilo, reichte Berhorst für zwei Tage. Die kleine Auflaufform nun auch.
„Ich stand zehn Stunden vor der Bühne, danach konnte ich keine meiner Hosen mehr anziehen“, erinnert er sich. Der Grund: massive Wassereinlagerungen. Als er mit seinen Beschwerden schließlich zum Arzt ging, sagte ihm der Mediziner, dass das immer wieder vorkommen wird und dass wenn er so weiter macht, nicht alt werden würde. „Für mich war das eine Katastrophe“, sagt Berhorst heute.
Der klassische Binge-Eater
Mit Diäten sei er aber nie richtig warm geworden und auch die 30 Kilo, die er mit 16 Jahren während einer Abnehmkur verlor, hatte er schnell wieder drauf. „Das Durchhaltevermögen war einfach nicht da“, gibt er offen zu. Er habe nun mal für sein Leben gern gegessen. Wobei essen womöglich das falsche Wort ist. Er sei der „klassische“ Binge-Eater gewesen.
Menschen mit einer Binge-Eating-Störung leiden unter immer wiederkehrenden Essanfällen, beziehungsweise „Fressanfällen“. Betroffene verlieren bei diesen Anfällen völlig die Kontrolle über ihre Nahrungsaufnahme. Sie können nicht mehr aufhören zu essen, ob sie Hunger haben oder nicht. Bei Max Berhorst kamen diese Fressattacken abends. „Ich habe wahllos in mich reingeschaufelt“, erzählt er. Zwei Pizzen und anschließend noch eine Tüte Chips? Das war für ihn kein Problem.
„Ich wusste, dass ich von einer Pizza nicht satt werde.“ Also bestellte er zu seiner Peperoniwurst-Pizza mit extra Käse und einem Schälchen Joghurtsoße zum Dippen zum Beispiel auch noch einen Dürüm – aber mit Knoblauchsoße, damit man dachte, die Bestellung sei für zwei Personen, weil er sich schämte. Als er dann noch mit dem Rauchen aufhörte, sei sein Gewicht „exponentiell“ nach oben gegangen.
Das starke Übergewicht war für ihn schon eine psychische Belastung. Gerade in der Schulzeit, in der er auch gemobbt wurde, wie er erzählt. „Man hat halt eine große Angriffsfläche“, lacht er. Mittlerweile kann er darüber scherzen. Jahr für Jahr wurde er immer dicker, bis er schließlich im Mai 2020 sein Höchstgewicht von 187 Kilogramm erreichte. Berhorst entschied sich für eine Schlauchmagen-OP, Erfahrungen mit einem solchen Eingriff konnten bereits Zwei aus seinem Freundeskreis mit ihm teilen.
„Ich habe wirklich hin und her überlegt. So eine OP ist ja nicht ohne“, erinnert er sich. Doch er entschied sich, diesen Schritt zu gehen, den Schritt in ein neues Leben. Die Voraussetzungen für den Eingriff, der von der Krankenkasse übernommen wurde, erfüllte er alle, sei es von verschiedenen Gutachten von Psychologen und Orthopäden, über den Nachweis der Teilnahme an einem Ernährungskurs bis hin zur einjährigen Mitgliedschaft in einem Fitnessstudio, um nur einige Beispiele zu nennen.
Im Wochentakt die Zehnerschritte geknackt
Dreiviertel seines Magens wurden bei dem Eingriff entfernt. Ein schlauchförmiger Restmagen blieb übrig. Das Magenvolumen wurde dabei so reduziert, dass er nur noch rund 150 Gramm zu sich nehmen konnte. Mittlerweile hat sich sein Magen aber etwas gedehnt, sodass rund 200 bis 250 Gramm reinpassen. Der erste Monat nach der OP verlief sehr langsam. Etwa zehn Kilo nahm er ab, wobei das natürlich auch ein Großteil Wasser war. „Danach habe ich dann im Wochentakt die Zehnerschritte geknackt“, erzählt der 30-Jährige. Man sieht ihm die Freude darüber heute noch an, wenn er das erzählt.
Es gab danach aber auch Phasen, wo er in der Woche gar nichts abgenommen hat. „Das setzt einen psychisch unter Druck, man fragt sich: Mache ich irgendetwas falsch?“ Ein Hungergefühl hat Maximilian Berhorst übrigens nicht mehr. „Ich merke dann an meinem Kreislauf, dass ich etwas essen muss“, erzählt er. Großartig verändert hat sich sein Essverhalten aber nicht. Er isst immer noch ziemlich ungesund, aber eben nicht mehr diese Massen. Er achtet darauf, dass er nicht in alte Muster verfällt. Sein Magen kann sich nämlich trotz der Verkleinerung weiter dehnen.
Ein Vorher-Nachher-Vergleich.
Seit über einem halben Jahr hält er nun schon sein Gewicht. „Die Waage wird mein ewiger Begleiter bleiben“ – ebenso die Angst, wieder zuzunehmen. Er versucht sich darüber aber keine Gedanken zu machen. Er will sein neues Leben einfach nur genießen. „Das Lebensgefühl ist unbeschreiblich, das hätte ich mir vorher nie erträumen lassen.“ Durch seine Abnahme hat er zum Beispiel das Shoppen für sich entdeckt. „Früher habe ich Klamotten-Kaufen gehasst“, erzählt er.
Jetzt ist das anders, denn jetzt findet er auch in den Geschäften Kleidung in seiner Größe und muss nicht mehr online bestellen, um etwas passendes in Übergröße zu finden. Dass er eben keine Größe 4XL mehr trägt, sondern ihm mittlerweile T-Shirts in S und M passen, konnte er anfangs gar nicht richtig fassen. „Ich habe so schnell so viel Gewicht verloren, mein Kopf kam gar nicht hinterher, das zu verarbeiten.“
Berhorst ist viel selbstbewusster geworden. Sich oberkörperfrei am See zu zeigen, das wäre vor seiner Abnahme für ihn nie in Frage gekommen. Er hätte sich zu sehr geschämt. Seine Mitmenschen, so sagt er, würden den 30-Jährigen heute auch anders wahrnehmen. „Als Dicker wird man teilweise eher verniedlicht. Man kommt jetzt bei den Frauen doch besser an. Das ist natürlich auch ein Push fürs Ego.“
Keinesfalls der einfachere Weg
Äußerlich erinnert nicht mehr viel an die 100 Kilogramm Übergewicht, die er vor rund eineinhalb Jahren noch auf die Waage brachte. Einzig vier kleine Narben und Hautlappen sind die Überbleibsel seinen alten Lebens. Er fühlt sich aber trotzdem wohl in seinem Körper. „Früher hätte ich gesagt, ich lasse sie nicht wegmachen, weil sie einfach ein Teil von mir sind“, erzählt er. Seine Meinung hat sich aber geändert. Mittlerweile würde er sie entfernen lassen, wenn es möglich ist. Er könnte aber auch mit ihnen leben.
Sich für einen Schlauchmagen zu entscheiden, anstatt es weiter mit Diäten oder Sport zu versuchen, ist für Berhorst keinesfalls der einfachere Weg gewesen, wie viele Menschen oftmals behaupten. Wenn ihn jemand in den ersten drei Monaten nach dem Eingriff gefragt hätte, ob er es wieder machen würde, dann hätte er definitiv nein gesagt. „Ich habe mich noch nie so viel übergeben müssen, noch nie so starke Magenkrämpfe gehabt“, erzählt er.
Von 2,5 Kilogramm auf nur noch 150 Gramm pro Mahlzeit – das war schon eine große Umstellung für seinen Körper. „Ich hatte wirklich Mangelerscheinungen.“ Zwischenzeitlich sei er so schwach gewesen, dass er nicht mal die Kraft hatte, oben aus dem Schrank ein Glas zu holen, erinnert er sich. Noch heute leide er an Kreislaufproblemen und habe sogar Unverträglichkeiten entwickelt. „Vor der OP hatte ich nie Probleme mit Milch“, erzählt er. Gleiches gilt für Schweinefleisch oder Paprika.
Dass er diesen Weg eingeschlagen hat, bereut der Alsfelder dennoch nicht. „Es hätte keinen anderen Weg gegeben“, betont er. So aussehen, wie vor eineinhalb Jahren, will er jedenfalls nie wieder. Dafür ist er nun selbst verantwortlich. „Der Magen kann sich weiter dehnen, man kann genau so enden, wie man angefangen hat.“ Das sei eben die Gefahr, wenn Essen eine Sucht ist.
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