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Aktion von pro familia Hessen zu AbtreibungenGegen Tabus, gegen Kriminalisierung und für die Selbstbestimmung

ALSFELD (ls). Es brachte die Menschen dazu, anzuhalten und kurz innezuhalten – zumindest ist es das, was man auf den Alsfelder Straßen am Donnerstag sah. Mit auffälliger, weißer Farbe war dort in regelmäßigen Abständen eine Zeichnung auf den Fußgängerweg gesprüht. „150 Jahre Kriminalisierung sind genug “ und „§128“ ist dort zu lesen. Die Markierungen sind eine Aktion der Beratungsstelle pro familia Hessen, die sich für mehr Selbstbestimmung beim Thema Schwangerschaftsabbrüche einsetzt.

1871 war es, als im Reichsstrafgesetzbuch der §218 eingeführt wurde, der noch bis heute im Strafgesetzbuch existiert, wenn auch in einer anderen Form. Damals drohte Frauen, die eine Schwangerschaft abbrachen, eine bis zu fünfjährige Zuchthausstrafe, heute ist ein Schwangerschaftsabbruch nur unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt. Beispielsweise muss vorher ein Beratungsgespräch stattgefunden haben und auch der Arzt braucht eine Bescheinigung, wenn diese nicht vorliegt, dann kann auch er sich strafbar machen.

Schon das ganze Jahr über setzt sich der pro familia Bundesverband zum Anlass des 150. Jahrestages des Paragraphen dafür ein, die Debatte neu anzustoßen, sodass eine „konstruktive Auseinandersetzung in Gesellschaft und Politik über die Notwendigkeit einer Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs“ entstehen kann, Schwangerschaftsabbrüche enttabuisiert werden und vor allem nicht mehr im strafrechtlichem Kontext stehen. Dabei stehe für die Organisation die Selbstbestimmung der Frau im Vordergrund.

 

Umgesetzt werden die Forderungen durch unterschiedliche Aktionen, die bereits mehrfach in diesem Jahr in vielen verschiedenen Städten stattgefunden haben – und jetzt auch in Alsfeld durch die Sprühzeichnungen auf dem Bürgersteig. Eigentlich sollte die Aktion schon ein bisschen früher starten, doch das Regenwetter machte den Organisatoren von pro familia einen Strich durch die Rechnung, wie Maren Colton, die Geschäftsführerin der Alsfelder Beratungsstelle, erzählte.

30 Mal wurde in Alsfeld gesprüht; am Ludwigsplatz, Bahnhof und in der Alicestraße. Damit sollte auf die schwierige Situation der Frauen aufmerksam gemacht werden, die ungewollt schwanger werden und denen es dann nicht nur schwer gemacht werde, sondern die sich dann dafür „schämen“, wie Colton erzählt. „Es geht explizit darum, dass Schwangerschaftsabbrüche immer noch strafbar sind und mit etwas Strafbarem in Verbindung gemacht werden. Das macht doch etwas mit der Gesellschaft und es rückt Schwangerschaftsabbrüche in eine Schmuddelecke“, erklärt Colton. Es symbolisiere, dass ein Abbruch etwas Verwerfliches, etwas Verbotenes ist.

Es gehe, so erklärt sie, nicht darum, dass man Abbrüche fördern möchte. Vielmehr gehe es darum, den Frauen zu ermöglichen, selbst zu entscheiden, ohne bestimmte Voraussetzungen erfüllen zu müssen. Es könne verschiedene Gründe haben, warum sich eine Frau für einen Abbruch entscheiden wollen würde. „Beratung ist gut, aber Beratung ist besser, wenn sie freiwillig ist“, sagte Colton. In Deutschland ist sie verpflichtend, ansonsten ist ein Abbruch strafbar.

Die Situation sei für die meisten Frauen – deren Entscheidung schon vor der Beratung meistens feststeht – ohnehin schon schwer genug, da müsse man sie nicht noch erschweren, was durch den Paragraphen allerdings geschehe. „Im ganzen Vogelsberg gibt es nicht einen Arzt, der Schwangerschaftsabbrüche vornimmt“, sagt Colton. Auch in den Nachbarkreisen gebe es nur wenige, da es auch für Ärzte nicht einfach sei und auch sie an Auflagen gebunden sind. So müssten Frauen oft eine weite Fahrt auf sich nehmen. Das müsse sich ändern, damit das Thema endlich in der Gesellschaft ankomme und nicht weiter zum Tabu erklärt werde.

Bei der Farbe auf den Gehwegen handelt es sich übrigens nicht um Lackfarbe, sondern um Sprühkreide, die abwaschbar ist und mit dem nächsten Regen weggespült wird. Die Aktion war von der Stadt genehmigt, wie das Ordnungsamt auf Anfrage bestätigte.

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