Corona-Impfungen sollen künftig in den Hausarztpraxen stattfinden - Gespräch mit Ärztin Susanne Sommer„Das Impfen in Hausarztpraxen ist ein wichtiger Schritt und lange überfällig“
HESSEN/VOGELSBERG (akr). Nicht nur in Impfzentren soll künftig gegen das Coronavirus geimpft werden, sondern auch in den Praxen niedergelassener Ärzte. Aktuell werden in einem Pilotprojekt hessenweit zunächst einmal 50 Hausarztpraxen impfen – das teilten Gesundheitsminister Kai Klose und Innenminister Peter Beuth am Mittwoch mit. Das sei ein wichtiger Schritt und schon lange überfällig, findet Ärztin Susanne Sommer.
Ab dem 1. April sollen in Hessen mehr Impfdosen zur Verfügung stehen. Während die 28 Impfzentren ihre Kapazitäten aktuell schrittweise bis zur Volllast ausweiten, so die Hessische Landesregierung, bereitet sich das Land gemeinsam mit der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen (KVH) darauf vor, niedergelassene Ärztinnen und Ärzte gezielt in die Impfstrategie einzubinden. Darüber informierten Gesundheitsminister Kai Klose und Innenminister Peter Beuth am Mittwoch. Zunächst soll das aber im Rahmen eines Pilotprojektes geschehen.
„Aktuell werden in einem Pilotprojekt hessenweit zunächst einmal 50 Hausarztpraxen impfen. Das geschieht nach den Vorgaben der Impfverordnung und damit der Priorisierung. Zu klären ist, ob das Procedere für die Praxen umsetzbar ist. So muss beispielsweise die Verknüpfung mit der Terminvereinbarung praxistauglich sein“, teilt die Kassenärztliche Vereinigung Hessen auf Anfrage von Oberhessen-live mit. Wie Klose erklärt, sollen mit diesem Schritt die Impfungen noch flexibler umgesetzt werden. Durch den stetigen und mittlerweile umfangreichen Zufluss an Impfstoffen sei dies glücklicherweise möglich.
Ein längst überfälliger Schritt
Zunächst wird also mit einem Pilotprojekt in Hessen gestartet, das 50 Arztpraxen einbindet. „Wir fordern schon seit Langem, dass auch in den Arztpraxen geimpft wird. Entsprechend begrüßen wir, dass es nun auch dort losgehen soll“, so die Kassenärztliche Vereinigung Hessen.
„Das Impfen in Hausarztpraxen ist ein wichtiger Schritt und lange überfällig. Wir Hausärzte impfen jedes Jahr Zehntausende gegen Grippe und im Verlauf des Jahres gegen viele Krankheiten. Wir Hausärzte können impfen, kennen unsere Patienten (gerade bezüglich Priorisierung) und haben ein hohes Maß an Organisationstalent. Ich kann nur sagen, gebt uns Impfstoff“, betont Susanne Sommer, Ärztin in der Praxis an der Ohm in Ruppertenrod und Ulrichstein.
Sie hat sich mit ihrer Praxis bei dem Pilotprojekt beworben, eine Rückmeldung gab es allerdings noch nicht, nur die Bestätigung für die Anmeldung. Ob sich noch weitere Praxen aus dem Vogelsberg beworben haben, das weiß die Medizinerin nicht. Sie rechnet damit, dass vielleicht eine oder zwei Praxen aus dem Kreis genommen werden.
Die KV Hessen ist bereits auf die Ärzteschaft zugegangen, sagte Minister Klose Wann es jedoch genau mit den Impfungen bei den Hausärzten im Vogelsberg losgehen wird, weiß die KV noch nicht, wie sie auf Rückfrage von Oberhessen-live mitteilt. „Wenn es so weit ist, entscheidet jede Praxis für sich, ob sie Impfungen durchführen möchte oder nicht. Sie sind dazu nicht verpflichtet“, so die Kassenärztliche Vereinigung Hessen.
Die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte wählen, so der Gesundheitsminister, die zu impfenden Personen unter Beachtung der Priorisierungsreihenfolge nach Corona-Impfverordnung eigenverantwortlich aus. „Bevor wir mit dem Impfen gegen Corona flächendeckend in den Praxen starten, sollten wir auch die bestehenden Prozesse hinterfragen und gegebenenfalls anpassen. Das ist ein wesentlicher Teil des Pilotprojekts. Wir wollen rasch die Hessinnen und Hessen vor dem Virus schützen. Wir hoffen nun, dass der Impfstart in den Praxen daher auch wie vom Bund angekündigt Anfang April stattfindet,“ erklären die Vorstandsvorsitzenden der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen, Frank Dastych und Dr. Eckhard Starke.
Im Rahmen des Pilotprojekts seien die Praxen angehalten, zwei bis drei Impfsprechstunden pro Woche anzubieten. Die Organisation obliege den Praxen, so die KVH. „Praxen, die am Pilotprojekt teilnehmen, müssen eine sachgerechte Lagerung (Kühlschrank gegebenenfalls mit Temperaturüberwachung) des Impfstoffes gewährleisten“, heißt es seitens der KVH weiter.
Stellt das Impfen in den Hausarztpraxen diese dann eigentlich vor Herausforderungen? „Wir müssen die Impfungen in unseren Praxisablauf einbauen, Termine nach Priorisierung erstellen, Personal vorhalten und die Nachbeobachtung sicherstellen, die Lagerung des Impfstoffes planen – hier kommt es auf den uns zur Verfügung gestellten Impfstoff an“, erklärt Sommer. Das seien aber alles machbare Dinge. Dabei betont sie, wie wenig sie von der jetzigen Regelung eigentlich hält. „Ich muss nicht Pilotpraxis werden, weil Impfen kann ich.“
Modell aus dem Wetteraukreis
Um zügig impfen zu können sei es einfach wichtig, die Hausärzte mit in die Impfungen aufzunehmen, betont die Ärztin. Genauso wichtig sei es aber auch, die administrativen, bürokratischen Hürden bei der Impfung zu minimieren. „Dieser bürokratische Aufwand ist in Hausarztpraxen nur schwer leistbar und verzögert die zügige Durchimpfung“, erklärt Sommer. In der Wetterau gebe es ein sehr schön angedachtes Modell – „solch ein Modell könnte ich mir für den Vogelsbergkreis auch vorstellen und es würde uns als Hausärzte stark von der begleitenden Bürokratie entlasten. Ich würde mich freuen, wenn seitens der Kreisverwaltung diesbezüglich Möglichkeiten geschaffen werden“.
Im Wetteraukreis haben die Hausärzte bereits mit dem Impfen begonnen, wie die Hessenschau berichtet. Hier können sich Arztpraxen als Impfteam registrieren lassen und dann, so heißt es weiter, Patienten in der Praxis oder zuhause impfen. Amtsarzt Reinhold Merbs habe dem hr gegenüber gesagt, dass sich bereits am Mittwoch 30 Praxen registriert hätten, mittlerweile würden sogar 60 Praxen mitmachen wollen. Der Radiosender FFH spricht am Donnerstag von 75.
In einem Schreiben zur Weiterentwicklung der Impfstrategie im Wetteraukreis vom 5. März, das der OL-Redaktion vorliegt, erklärt Merbs unter anderem, dass der Kreis den Praxen wöchentlich das Material liefere und auch die Dokumentationen der erfolgten Impfungen abhole. „Der Impfstoff von Astra Zeneca wird immer als Fertiglösung in Flaschen zu zehn Impfdosen ausgeliefert. Gelagert wird der Impfstoff vor Ort im Kühlschrank. Sie bestellen die Impfwilligen entsprechend der gültigen Priorisierung ein und impfen am besten immer Gruppenweise (als jeweils zehn Personen, damit ausgeschlossen ist, dass Reste entstehen können, die dann verworfen werden müssten). Aufklärungsunterlagen bekommen Sie auf elektronischen Weg vorab zur Verfügung gestellt.“, heißt es unter anderem in dem Schreiben. Der Wetteraukreis kümmere sich quasi um die ganzen administrativen Aufgaben. „Das sollte dann eh Aufgabe des Kreises sein“, findet Sommer.
Der Vogelsbergkreis verfolge derzeit eine klare Strategie, teilt die Kreisverwaltung auf Anfrage von Oberhessen-live mit. Zunächst gehe das Impfzentrum vor. Aktuell habe der Kreis so viel Impfstoff zur Verfügung, dass man rund 500 Menschen täglich im Impfzentrum impfen könne. In einem zweiten Schritt kümmere sich der Kreis dann um die Regelversorgung, sprich um die Impfungen in den Hausarztpraxen. „Derzeit befinden wir uns im Austausch mit den Ärzten“, erklärt die Pressestelle. Nächste Woche gebe es dann weitere Informationen.
Praxis aus Hosenfeld gibt Statement auf Facebook
Es gibt auch Stimmen in der Branche, die noch etwas deutlicher werden. Hinter vorgehaltener Hand raunt der ein oder andere Arzt, Pilotprojekte seien vermutlich Teil einer Hinhaltetaktik, weil es eben nicht genügend Impfstoff gebe. Die Hausarztpraxis Hosenfeld im Landkreis Fulda von Sebastian Hoeft, Dr. med Judith Dengler und Dr. C. Krauß-Hoeft äußert sich in einem Statement auf Facebook ebenfalls ziemlich klar. „Es soll zunächst ein ‚Pilotprojekt‘ zum Impfen in hessischen Hausarztpraxen starten. Hierzu werden 50 Praxen hessenweit gesucht, die dann alle zusammen 100 000 Impfdosen erhalten sollen. Einzige Voraussetzung ist, dass man seine völlige Selbstständigkeit aufgibt und dem Amt das Ruder übertragen soll. In den Behörden und der Politik scheint es noch nicht bekannt zu sein, dass gerade die niedergelassenen Ärzte echte Impfprofis sind. Wir impfen jedes Jahr hunderte Patienten gegen Grippe, gegen Tetanus, gegen Masern, gegen FSME, gegen alles. Aber uns wird die Kompetenz abgesprochen gegen Corona zu impfen? Das kann nicht wahr sein!“, heißt es in dem Facebook-Post.
Die Ärzte seien bereit dazu, in ihrer Praxis zu impfen. „Wir sind auch bereit dazu, eine ‚Pilotpraxis‘ zu werden (wie unsinnig das auch immer ist, meine Kollegen können alle genauso toll impfen). Aber wir sind dazu nur bereit, wenn wir bestimmen, wen wir impfen und wann wir impfen. Wir wollen uns nicht von einem Sachbearbeiter beim Gesundheitsamt sagen lassen, was wir zu tun oder zu lassen haben. Das können wir sehr gut selbst machen!“
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