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Im Gespräch mit Lisa Rüdiger, der neuen Fachkraft für SuchtpräventionSuchtprävention im Lockdown: Pauken, um später aufzuklären

ALSFELD (ls). In kleinen Schritten läuft sie an, die neue Arbeit von Lisa Rüdiger. Die 25-Jährige ist seit dem vergangenen Sommer die neue Fachkraft für Suchtprävention im Vogelsberger Beratungszentrum, trat die neue Stelle mitten im Corona-Lockdown an. In der Öffentlichkeit konnte die junge Frau bislang noch nicht viel von sich zeigen, weder von ihrer Persönlichkeit, noch von ihrem fachlichen Ansatz – und das obwohl hinter den Türen des Hauses im Zeller Weg einiges passiert.

Im großen, einladenden Gruppenraum im Erdgeschoss ist es dämmrig. Durch die Fenster, die den Blick direkt auf ein dahinter liegendes Gebäude freigeben, fällt an diesem drüben Wintertag nicht viel Tageslicht. Der Himmel ist bedeckt, die Sonne nicht zu sehen. Die im großen Kreis und auf Abstand ausgemessenen Stühle sind leer, bieten gleichzeitig die Distanz, die in der derzeitigen Pandemie-Situation nötig ist. Hier finden alle Beratungsgespräche statt, erzählt Lisa Rüdiger, als sie den Raum betritt. Auf ihren Lippen ist ein freundliches Lächeln, in ihrer ruhigen Stimme schwingt Trübsal mit, wenn sie erzählt, gleichzeitig allerdings auch Vorfreude.

Im Beratungszentrum Vogelsberg, das unter anderem im Zeller Weg in Alsfeld zu finden ist, hat die Corona-Pandemie einiges verändert. Vieles, was früher einmal ganz normal war, ist nun nicht möglich – darunter gehören auch einige Themenfelder, die seit dem vergangenen Sommer zu den neuen Aufgaben der jungen Alsfelderin gehören. Die 25-Jährige ist die Nachfolgerin von Wolfgang Weiser, der die Abteilung zur Suchtprävention vor gut 24 Jahren aufgebaut hat und nun in den Ruhestand verabschiedet wurde.

Beratungen finden unter Abstands- und Hygieneregeln noch statt, doch besonders in der Suchtprävention ist vieles, was normalerweise typisch für die Arbeit ist, nicht möglich. Aktionen mit Schulklassen oder Kindergartengruppen gibt es nicht. Trotzdem stand die Arbeit nicht still. „Ich habe die Zeit genutzt und mich viel eingelesen in die verschiedenen Ansätze der Suchtprävention, dazu Online-Seminare und Fortbildungen besucht und mich vor allem intern in vielen Netzwerken und bei Initiativen bekannt gemacht“, erzählt Rüdiger. Das Themengebiet ist neu für sie, ihre bisherigen Berufserfahren in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen haben ihr die Einarbeitung in das neue Themenfeld allerdings erleichtert.

Unterschiedliche Facetten des Bereichs machen Arbeit spannend

Lisa Rüdiger hat Erziehungswissenschaften studiert und ist direkt danach in den Beruf eingestiegen, von verschiedenen Praktika in unterschiedlichen Bereichen mal abgesehen. „Ich habe an Grundschulen gearbeitet, mit geflüchteten Menschen – einfach verschiedene Maßnahmen im Bereich der sozialen Arbeit“, erzählt sie. Auch wenn der Bereich der Suchtprävention bisher Neuland für sie ist, konnte sie durch ihre vorherige Tätigkeiten in unterschiedlichen Bereichen bereits Erfahrungen mit Sucht und auch Konsum sammeln. Die junge Frau wirkt selbstbewusst und sicher in ihrem Auftreten. Besonders die unterschiedlichen Facetten des Bereichs macht die Arbeit für sie spannend.

„Ziel ist es, Kinder und Jugendliche so in ihrem Charakter zu stärken, dass sie erst gar nicht in eine Sucht abrutschen – egal ob es eine Drogensucht, Alkoholsucht oder aber eine andere Suchterkrankungen wie Spielsucht oder Essstörung ist“, erklärt sie. Dabei ist es wichtig, dass frühzeitig, langfristig und kontinuierlich angesetzt wird, um wirkungsvoll gegenzusteuern – und das möglichst mit einem breiten Netzwerk, wie sie sagt. Eltern, Erzieher, Lehrerinnen oder andere Bezugspersonen – sie alle müssen zusammenarbeiten Auffälligkeiten zu erkennen und entsprechend zu handeln. Deswegen müssen nicht nur die Kinder, sondern auch die Erwachsenen in ihrem Umfeld geschult werden. Nur dann könne eine gute Prävention auch wirklich gelingen. Bei Kindern und Jugendlichen müsse das Selbstbewusstsein, das Selbstvertrauen und die Konflikt- und Beziehungsfähigkeit als wichtige Schutzfaktoren gestärkt werden.

Besonders für Jugendliche sei es dann wichtig, dass sie vor dem Trinken-Gehen fragen, ob sie das wirklich wollen und was ihre Beweggründe für den Konsum sind. „Innerlich eine Pause, den sogenannten Break machen, und sich fragen, wie die Grundstimmung in einem selbst ist und dann schauen, ob man wirklich möchte“, erklärt sie als Tipp für Jugendliche. Sollte man dabei merken, dass man keinen Alkohol trinken möchte, dann müsse man sich für die eigenen Belange stark machen und ablehnen – auch wenn man dann vielleicht schräg angeschaut wird. „Das eigene Wohl sollte immer im Vordergrund stehen und nicht der Versuch jemanden zu beeindrucken“, sagt die junge Frau.

Mit der Prävention den Charakter stärken

Das versuche man in der Prävention zu verdeutlichen und den Charakter der Jugendlichen dahingehend zu stärken. Außerdem sei es besonders wichtig, dass die Jugendlichen aufeinander aufpassen und sich gegenseitig im Blick haben. „Wenn man beispielsweise merkt, dass jemand zu viel getrunken hat, dann sollte man ihn nicht alleine lassen, sondern aufeinander aufpassen“, erklärt sie.

„In den letzten Jahren wurde in der Abteilung sehr viel aufgebaut. Ein ganz großer Bereich ist die Vernetzung mit unterschiedlichen Akteuren und Initiativen. Da konnte ich mich durch Corona schon gut einarbeiten, die Netzwerke kennenlernen und mich allen Aktiven dort vorstellen“, sagt Rüdiger. Netzwerke, das sind beispielsweise Polizei, Jugendhilfen im Strafverfahren, schulbezogene Jugendsozialarbeit oder ähnliche Einrichtungen. Von allen Beteiligten sei sie gut aufgenommen worden.

Im Laufe der Jahre wurden für die Arbeit mit den Jugendlichen viele Konzepte ins Leben gerufen wie das Alkoholpräventionsprogramm „Hart am Limit“ oder aber kurz: „HaLT“, die Präventionsworkshops „Tom&Lisa“ und KlarSichtParcour, Papilio-Tourneen sowie das Frühinterventionsprogramm „FreD“. Aber auch erlebnisorientierte Projekttage, Gesundheitstage oder Wochenveranstaltungen für soziales Kompetenztraining gehören mit zu den Dingen, die durch die Suchtprävention regelmäßig stattfinden.

Knapp 600 Menschen würden die Hilfe der Beratungszentrums in Anspruch nehmen. „Drogenkonsum und Sucht sind eigentlich überall ein Thema, egal ob in der Stadt oder auf dem Land“, erklärt die 25-Jährige. Auch im Vogelsberg würden die Jugendlichen durchschnittlich das erste Mal mit 14 bis 15 Jahren Alkohol trinken, der erste Vollrausch kommt zwischen 16 und 17 dazu. Besonders im ländlichen Raum sei das ein Thema. „Beispielsweise die Konfirmation ist dabei so Ereignis, was im ländlichen Raum oft mit einem Trinkritual verbunden ist“, erklärt sie. Sie selbst halte das für schwierig.

Vorfreude darauf, dass der restliche Teil der neuen Arbeit beginnt

Zwar müssten sich die Jugendlichen austesten, ihre Grenzen erkunden und auch einmal Alkohol probieren, doch müsse all das auch in einem bestimmten Rahmen stattfinden. „Der familiäre Rahmen ist hier wichtig, sodass die Eltern ein Auge drauf haben und auch ein Stück weit die Kontrolle haben“, sagt sie. Auch müsse sich dabei an das Jugendschutzgesetz gehalten werden, wobei harter Alkohol erst ab 18 erlaubt ist. „Das Gefährliche ist ja, dass die Jugendlichen ihre Grenzen oft noch nicht kennen und sie nicht abschätzen können. Harter Alkohol ist dabei einfach zu früh und zu gefährlich“, sagt sie.

Auch in Serien oder Filmen werde der Konsum von Drogen und Alkohol oft verharmlost und spaßig dargestellt, sagt Rüdiger. Dagegen müssten die Kinder und Jugendliche sensibilisiert werden. Dennoch sei es auch ihrer Sicht wichtig, dass offen über das Thema Konsum gesprochen werde, anstatt das Thema zu tabuisieren oder den Menschen mit erhobenem Zeigefinger zu begegnen.

Dass sie in ihrer Heimat arbeiten kann, hilft der jungen Frau, sich mit ihrer neuen Aufgabe zu identifizieren. Hier ist Lisa Rüdiger aufgewachsen, spielte lange Zeit im Verein Handball, wohnt hier. Nun wird es endlich Zeit, dass sie auch mit den eigentlichen Inhalten ihrer neuen Stelle beginnen kann, in Kontakt mit Menschen das umsetzen, worauf sie sich die vergangenen Monate vorbereitet hat. „Das ist das letzte Stück meiner neuen Arbeit, was jetzt noch fehlt. Da freue ich mich besonders drauf, das alles auf den Weg zu bringen“, sagt sie. Die Vorfreude ist in ihrem offenen Lächeln sichtlich erkennbar. Dass auch der restliche Teil ihrer neuen Arbeit beginnt, das kann die 25-Jährige kaum noch erwarten.

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