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Mord in Alsfelder Kleingarten: Prozessauftakt vor dem Gießener Landgericht„Ich habe richtig mit Kraft zugeschlagen“

ALSFELD/GIEßEN (akr). Im April diesen Jahres wurde der 47-jährige Leszek M. mit einem Fäustel in seiner Parzelle in einer Kleingartenanlage in der Alsfelder Beerenwiese erschlagen. Seit diesem Freitag muss sich der mutmaßliche Täter vor dem Gießener Landgericht verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Mord aus Heimtücke vor.

Es war der 4. April, als das Opfer Leszek M. in seiner Parzelle in der Alsfelder Beerenwiese getötet wurde. Mehrmals wurde ihm mit einem 1,2 Kilogramm schweren Hammer auf den Kopf und ins Gesicht geschlagen. Der Täter B., Spitzname Ali, hat die Tat bereits bei seiner polizeilichen Vernehmung gestanden. Auch an diesem Tag zeigte er sich geständig. Er sei schuld an dieser Tat. Er ganz allein. Doch wie kam es überhaupt dazu? „Ich hatte nie die Absicht, dass er zu Schaden kommt“, erzählt der Angeklagte. Eigentlich habe er nur das Gespräch mit seinem Kleingartennachbarn suchen wollen. Denn die Stimmung zwischen den beiden sei angespannt gewesen. Knappe zwei Jahre sollen die beiden nach einem Streit im Sommer 2018 nicht mehr miteinander gesprochen haben. An diesem besagten 4. April sollte sich das ändern.

Der Angeklagte erzählt, dass er rüber zu seinem Parzellennachbarn gegangen ist und ihn gefragt habe, wieso er den Verein, den Garten und das Land verlassen solle, denn genau das habe Leszek M. nicht nur einmal in der Vergangenheit zu ihm gesagt. Doch das Opfer habe nicht mit dem Angeklagten sprechen wollen.“Ich habe mehrmals gefragt“, erklärt B. Leszek M. habe allerdings nicht reagiert, sich nicht auf das Gespräch eingelassen. Dann, so erzählt es der Angeklagte, sei er einfach wieder rüber in seine Parzelle. Eigentlich habe er mit der Gartenarbeit anfangen wollen, „aber ich konnte nicht“, sagt er. Neben ihm sitzt an diesem Tag übrigens nicht nur sein Verteidiger, sondern auch ein Übersetzter, damit der Angeklagte Mann mit algerischer Staatsbürgerschaft alles versteht – auch wenn er recht gut Deutsch spricht.

Ali B. erzählt weiter. Er sei in seiner Parzelle hin und her gelaufen, in seiner Hand: ein Hammer – ein 1,2 Kilogramm schwerer Hammer, mit dem er eigentlich habe Steine festklopfe wollen. Er sei so wütend gewesen, dass sein Nachbar nicht mit ihm habe sprechen wollen, dass sein Herz plötzlich anfing zu rasen, seine Beine zu zittern. Zwischendurch habe er sogar angefangen, mit sich selbst zu sprechen. „Ich war richtig wütend“, betont er. Dann sei er schnell rüber in Richtung des Opfers gelaufen, das sich gerade an den Obstbäumen aufgehalten habe. B. nahm den Hammer und schlug ihm zwischen Nacken und Schulter. Mit diesem Schlag habe er, so der Angeklagte, ihm eigentlich nur Angst machen wollen. Leszek M. habe sich darauf hin zu ihm umgedreht und nur „was, was?“ gefragt.

„Ich war nicht normal, ich war nicht bei mir“

Nach diesem ersten Schlag sei B. wieder zurück in seine Parzelle gegangen. Doch nur für ganz kurze Zeit, denn er kehrte zu M. zurück und hat nach eigener Aussage wieder auf ihn eingeschlagen. Mehrmals. Immer wieder. Ob das Opfer nach dem ersten Schlag bereits am Boden lag, das wisse er nicht. „Ich habe richtig mit Kraft zugeschlagen. Ich war nicht normal, ich war nicht bei mir“, sagt er. Ihm tue es leid. B. sieht aufrichtig und tief traurig aus, als er das sagt. Dass es im leid tue, schrieb er auch in einem Brief an die Familie des Opfers, den sein Verteidiger Ralf Alexander Becker im Gerichtssaal vorlas. Die Familie war an diesem Tag allerdings nicht da – auch wenn die Witwe in diesem Prozess als Nebenklage auftritt. Der Platz neben dem Nebenklage-Verteidiger Ralf Kuhn war leer.

Es ist nicht das erste Mal, dass Ali B. die Sicherungen durchbrannten. Schon als Kind sei er schnell wütend geworden, wenn seine Eltern zu streng mit ihm waren. Da sei es schon mal vorgekommen, dass Tische, Teller und Tassen zu Bruch gingen, erzählt er. Auch Körperverletzung ist für ihn nichts neues. Er erzählt, wie er beispielsweise mal einem Besucher seines ehemaligen Mitbewohners eine Bierflasche auf den Kopf geschlagen habe, er Spielzeug nach seiner Tochter geworfen oder die Balkontür seines Nachbarn zerstörte. Das seien diese sogenannten Ausraster gewesen, wo plötzlich seine Beine anfangen zu zittern, sein Herz anfängt zu rasen. Ali B. erzählt, dass er diese Wutausbrüche behandeln ließ – einmal stationär, was seiner Meinung nach nicht wirklich etwas gebracht habe, und einmal in einer Tagesklinik. Die habe ihm geholfen. Und auch die verschriebenen Medikamente hätten das getan. Eines der Medikamente habe er dann aber abgesetzt. Wann das genau war, wusste er nicht – vielleicht vor einem oder zwei Jahren, gegen den Rat seiner Ärztin.

Seit 2015 besitzt der Angeklagte die Parzelle in der Alsfelder Beerenwiese, direkt neben der des Opfers. Großartigen Kontakt hätte man miteinander nicht gehabt, man habe sich aber gegrüßt. Im Sommer 2018 sei es dann zu einem Streit zwischen den beiden gekommen, der in einer Prügelei geendet habe. B. habe sich einige Zeit später entschuldigen wollen, doch M. habe die Entschuldigung nicht annehmen wollen. Von diesem Zeitpunkt an soll zwischen den Beiden Funkstille geherrscht haben – bis zum Tattag, als er das klärende Gespräch suchen wollte, wie B. erzählt.

Aussage von drei Zeugen

Zum Prozessauftakt waren an diesem Freitag auch drei Zeugen eingeladen. Eine ältere Frau, die die Parzelle neben dem Angeklagten besitzt, erinnert sich, wie sie an diesem Tag mit ihrer Tochter vor der Gartenhütte saß. „Ich hörte einen Disput zwischen den beiden. Habe aber nur Wortfetzen verstanden. Dann war es wieder ruhig“, erzählt sie. Dann habe sie plötzlich ein dumpfes, ständiges Klopfen gehört, sich aber nichts dabei gedacht. „Auf einmal haben mehrere Menschen aus dem hinteren Bereich geschrien: ‚Ali, was machst du da, Ali, hör auf.“

Sie erzählt, dass sie gesehen habe, wie der Angeklagte über dem Opfer gebeugt stand, immer wieder auf den Mann eingeschlagen habe. Das bezeugte auch ihre Tochter. Doch während ihre Tochter nur wie versteinert in der Parzelle stand – „Ich habe meine Nerven verloren, ich war wie gelähmt“, sagte die Tochter. Die Mutter hingegen ging zum Angeklagten rüber. „Ich wusste er würde mir nichts tuen“, erzählt sie. Immer wieder habe sie gesagt, dass er aufhören solle, doch B. habe weiter geschlagen und nicht reagiert. Immer wieder habe er im gleichen Rhythmus auf sein Opfer eingeschlagen. Zwischenzeitlich sei B. wieder zurück in seine Parzelle, doch nur einen kurzen Augenblick später sei er wieder gekommen und habe weiter auf das Opfer eingeschlagen. „Vom Wesen her ist er ein Ruhiger. Diese Augen, dieser Blick, es war so, als würde er durch mich durchgucken“, sagt die Zeugin.

Blumen am Tatort, kurz nach dem Verbrechen. Foto: ol/Archiv

Auch ein weiterer Zeuge, ein älterer Herr aus der Kleingartenanlage, der Ali B. als hilfsbereiten Menschen beschreibt, war an diesem Tag geladen. Er sei ebenfalls durch die Schreie aufmerksam geworden, habe versucht, Ali B. davon abzuhalten, weiterhin mit dem 1,2 Kilogramm schweren Hammer auf das Opfer einzuschlagen. Er habe Leszek M. nur noch an seiner schwarz-weißen Trainingsanzugshose erkennen können. „Ich dachte ja erst, es hätte irgendwas mit Leszeks Hund zu tun“, erzählt er. Doch es war nicht der Hund. Es war Leszek selbst.

Als letztes war das Gutachten des Rechtsmediziners an der Reihe. Dieser berichtete unter anderem über die inneren und äußeren Verletzungen, die das Opfer erlitt – und das waren einige. Welche Verletzung allerdings zum Tode führte, das könne man nicht sagen. „Bis auf eine Verletzung hätten alle anderen tödlich sein können“, erzählt er und merkt an, dass bereits der erste Schlag hätte tödlich enden können – es aber letztendlich nicht gewesen sei.

Am 16. Oktober wird der Prozess fortgesetzt.

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