Wirtschaft2

Lack-Diegel aus Alsfeld produziert Desinfektionsmittel für die StadtDesinfektionsmittel aus Alsfeld, für Alsfeld

ALSFELD (ls). Eigentlich ist das Alsfelder Traditionsunternehmen Ernst Diegel, in der Stadt bekannt als „Lack-Diegel“, ein Spezialist für Lacke aller Art. Doch die Corona-Krise setzte neue Ideen frei: Das Unternehmen produziert Desinfektionsmittel – aus Alsfeld, für Alsfeld. Wie es dazu kam und wo genau dabei jetzt die Herausforderungen liegen, OL hat bei Standortleiter Daniel Bindewald nachgefragt.

Glas- und Kunststofflacke sind es eigentlich, die in der Traditionsfirma Ernst Diegel in Alsfeld hergestellt werden – insbesondere solche, die in der Glas-, Kosmetik- und Automobilindustrie genutzt werden. Seit vielen Jahren ist die Firma Spezialist für Lacke und wurde im Dezember 2018 an den US-Konzern Ferro verkauft. Der Standort in Alsfeld blieb erhalten und hätte eigentlich in diesem Jahr sein 150 Jubiläum mit einigen Events feiern wollen. Eigentlich, denn dann kam die Corona-Krise – und die bekommt auch die Traditionsfirma zu spüren.

Messeauftritte und Events wurden abgesagt oder verschoben, die Nachfrage nach den Lacken ging durch die weltweite Krise zurück. Genau das führte allerdings auch zu vielen neuen Ideen, wie man der Stadt helfen kann. Erste, regionale Anfragen lagen bereits vor und naheliegend für ein Unternehmen der chemischen Industrie war es auch: Statt Lacken stellt die Firma seit einiger Zeit Desinfektionsmittel her.

Wie es dazu kam, wie sich die Arbeit seither verändert hat und wo genau die Herausforderungen liegen, das hat Daniel Bindewald, der Standortleiter bei Diegel in Alsfeld, im Interview erklärt.

Interview mit Daniel Bindewald

Oberhessen-live: Desinfektionsmittel statt Lacke. Herr Bindewald, wie genau kam es dazu, dass Lack-Diegel umgestellt hat? Woher kam die Idee dazu?

Wir haben zur Herstellung unserer Produkte viele verschiedene Alkohole und Lösemittel als Rohstoffe lagernd, sodass wir schnell feststellten, dass wir alle zur Herstellung von Desinfektionsmittel benötigten Rohstoffe vorrätig hatten. Die ersten kleineren Mengen haben wir für die anderen Ferro-Werke hergestellt. Im Anschluss kam die Anfrage von der Stadt Alsfeld und dem hiesigen Krankenhaus.

Zusammen haben wir besprochen wie man möglichst schnell die Betriebe in der Region unterstützen kann. Auf „kurzem Dienstweg“ mit der Stadt war schnell klar, dass von dort aus die Verteilung gemacht werden kann.

Das klingt, als sei es sehr schnell gegangen.

Nein, ganz so schnell konnte es dann doch nicht gehen, wir sind ja schließlich in Deutschland. Nicht jeder Betrieb darf einfach so Desinfektionsmittel herstellen, dazu benötigt man erstmal die fachliche Eignung und natürlich eine Genehmigung. Die hatten wir schon beantragt und mussten erst auf die Erteilung warten. Aber jetzt ist alles safe und es darf offiziell produziert werden.

Eine große Lieferung ist gerade fertig geworden. Die geht an die Alsfelder Unternehmer. Alle Fotos: Ernst Diegel GmbH

Jetzt wird also Desinfektionsmittel hergestellt. Wie lief die Umstellung?

Wir haben uns mit dem Labor und der Produktion per Telefonkonferenz besprochen, welche Arbeitsschritte wir gegenüber unserer regulären Fertigung anpassen müssen. Das war schnell klar und konnte unkompliziert gemacht werden. Insbesondere mussten die Ansatz- und Abfüllbehälter geändert werden. Es ist klar, dass so ein sensibles Produkt nicht in unseren Lackgefäßen hergestellt werden kann.

Ist die Herstellung also eine Herausforderung?

Die Herausforderung liegt für uns weniger in der Herstellung. Das ist für uns ja Alltag, da wir immer leichtentzündliche Materialien verarbeiten und lagern. Vielmehr ist die Rohstoffbeschaffung zurzeit eher schwierig.

Wenn wir aktuell bei unseren Lieferanten Alkohol in Großmengen bestellen wollen, winken die sofort ab. Allerdings haben wir ein großes internationales Lieferantennetzwerk und einen sehr guten Einkauf, sodass wir bislang die benötigen Mengen beziehen konnten. Weitere Rohstoffe sind von den Großhändlern bereits mit Liefertermin bestätigt.

Es gibt also auch Gemeinsamkeiten zwischen der Lack- und der Desinfektionsmittel-Herstellung. 

Genau. Eine unserer Haupttätigkeiten bei der Lack- und Verdünnerproduktion besteht in der Konfektionierung und im Mischen von Stoffen. Sehr genaues Wiegen ist zum Beispiel dazu erforderlich. Ähnlich ist es bei der Desinfektionsmittelproduktion. Wir haben die Rezeptur in unserem System gespeichert und arbeiten sie Position für Position ab. Vergleichbar mit einem Kochrezept – nur in großem Maßstab.

Was genau ist denn enthalten?

Wir arbeiten nach einer Rezeptur die von der WHO bereitgestellt wurde. Der enthaltene Alkohol in dieser hohen Konzentration tötet Bakterien und Viren ab. Damit das Produkt an sich keimfrei bleibt ist Wasserstoffperoxid enthalten. Das ist im Prinzip nichts Neues. Desinfektionsmittel wird im Allgemeinen so hergestellt.

Wir achten hier allerdings auf besondere Sauberkeit und setzen nur Werkzeuge ein, die ausschließlich dafür benutzt werden. Arbeitsschutz wie Atemmasken und Handschuhe gehören für uns ohnehin zum Standard.

Frau Hofmann, zuständig für die Produktionssicherheit und Daniel Bindewald, der Stadnortleiter bei Diegel/Ferro mit der großen Lieferung.

Wie sieht die Arbeit bei Diegel im Allgemeinen während der Coronakrise aus? Was hat sich geändert im Vergleich zu vorher?

Wir sind im Normalbetrieb ein klassischer Automobilzulieferer. Die Automobilisten wie VW in Deutschland und PSA in Frankreich haben die Produktion eingestellt. Mit etwas Verzögerung haben wir das natürlich auch hier gemerkt, so dass auch wir in Kurzarbeit gehen mussten. Natürlich haben wir Schutzmaßnahmen für unsere Mitarbeiter in unsere täglichen Abläufe integriert. Zum Beispiel dürfen zurzeit keine externen Besucher die Gebäude betreten.

Das ist ja auch der Grund, warum wir dieses Interview per Mail führen. Versetzte Pausenzeiten, vermehrtes Händewaschen und natürlich Desinfizieren gehören ebenfalls dazu. Unsere Reinigungskräfte desinfizieren täglich Türklinken und Oberflächen. Konferenzen laufen hauptsächlich per Skype ab. Wenn es sich nicht verhindern lässt und wir uns persönlich treffen müssen, haben wir unsere Besprechungsräume vergrößert, so dass man mit den bekannten 1,5 Meter Abstand dort sitzen können.

Also geht die normale Arbeit trotz Desinfektionsmittel-Herstellung auch weiter?

Ja genau. Man darf sich jetzt nicht vorstellen, dass wir ausschließlich Desinfektionsmittel produzieren. Wir haben natürlich eine gewisse Vorausplanung, so dass wir genau wissen, wann wir einen Ansatz fahren wollen. Entsprechend können die Arbeitsplätze vorbereitet werden. Die Produktion des Desinfektionsmittels ist sehr gut in unseren normalen Fertigungsablauf integriert.

Wenn man jeden Handgriff betrachtet sind fast alle unsere Abteilungen damit beschäftigt. Von der Bestellung im Customer Service über die Konfektion der kritischen Substanzen im Labor bis zur Fertigung im Tank, der Freigabe des Produktes über unsere Qualitätssicherung zur Abfüllung und schließlich der Kennzeichnung und Kommissionierung in der Versandabteilung. Um eine Zahl zu nennen: Etwa sechs Personen sind in dem Prozess involviert.

Wie viel Desinfektionsmittel entsteht dabei?

Wie bereits erwähnt ist die Rohstoffsituation aktuell sehr angespannt. Wir müssen die Produktionsmengen an die Menge der verfügbaren Rohstoffe anpassen. Bislang konnten mehrere Tonnen hergestellt werden.

Hochkonzentrierter Alkohol und Wasserstoffperoxid sind mit die Hauptbestandteile von Desinfektionsmittel.

Und wo kann man es kaufen?

Wir arbeiten mit der Stadt Alsfeld zusammen. Wenn man Desinfektionsmittel für das eigene Unternehmen benötigt, kann man sich direkt an die Stadtverwaltung wenden. Dort ist das Desinfektionsmittel lagernd. Es ist in zehn Liter Kanistern erhältlich.

Mir liegt aber noch eine wie ich finde wichtige Sache am Herzen. Wir konnten schnell auf die veränderte Situation reagieren. Schließlich wäre das aber durch die wirklich unkomplizierte Handlungsweise der Stadt Alsfeld, insbesondere durch den Wirtschaftsförderer Uwe Eifert und der Mitwirkung des Krankenhauses Alsfeld, durch Herrn Braschoß nicht möglich gewesen. Er hat die nötigen Kontakte hergestellt, sodass wir schnell am virtuellen Tisch saßen und ebenso schnell loslegen konnten. Es ist beeindruckend, dass alle sofort am gleichen Strang gezogen haben. Das gilt nicht nur für die lokalen, sondern auch für die Bundesbehörde die Genehmigung erteilt hat. Nur gemeinsam sind wir stark.

Das hört sich gut an. Wie geht es weiter? Wir Lack-Diegel auch in Zukunft Desinfektionsmittel herstellen?

Unsere Erlaubnis ist befristet. Es wurde vielen Unternehmen damit erleichtert während der Pandemie dringend benötigte Ware herzustellen. Wenn wir die Genehmigung auch in Zukunft erhalten, könnten wir uns vorstellen, das Produkt weiterhin zu produzieren. Das ist aber wie gesagt abhängig von den entsprechenden Behörden.

2 Gedanken zu “Desinfektionsmittel aus Alsfeld, für Alsfeld

  1. Wichtig wäre zu wissen, wie der Endverbraucher das Desinfektionsmittel bekommt. Wo kann man es kaufen?

    1. Wie bereits dem Artikel zu entnehmen ist, darf aus rechtlichen Gründen das selbst hergestellte Mittel nur für die berufliche Verwendung durch Unternehmen erfolgen und keine private Nutzung oder Verkauf an Privat.

      5
      1

Comments are closed.

Schreibe einen Kommentar

Bitte logge Dich ein, um als registrierter Leser zu kommentieren.

Einloggen Anonym kommentieren