Gesellschaft1

Schön und ruhig ist die Heimat - laut und dreckig dagegen die Großstadt - dennoch hat beides seinen ganz eigenen CharmeOde an den Vogelsberg

SCHOTTEN. Mit dem Frühling erwache auch ich aus einem Zyklus, der vordergründig aus Lesen, Rechnen, akribischen Schokoladentafel-Aufreißen und natürlich auch Essen bestand. Es grenzt nahezu an ein Wunder, dass so langsam wieder Tageslicht durch meine Fenster strömt, war ich doch in den letzten Monaten damit beschäftigt, bei spärlichem Licht dicke Bücher zu wälzen und Sinus-Kurven zu zeichnen.

Zugegeben, die meisten Krokusse habe ich wahrscheinlich schon verpasst und doch packt mich diese enthusiastische Lust an Frühling und an meiner Heimat. Denn mit dem ersten ungestressten Schritt ins Freie realisiere ich erst, wie schön es hier im Vogelsberg eigentlich ist. Zur Rechten der Stausee, zur Linken der Hoherodskopf und dazwischen zart bewaldete Flächen und saftig grüne Wiesen. Kaum werde ich mir der hier ansässigen Schönheit bewusst, brechen wir auch schon prompt zu einem Kurztrip nach Berlin auf. Ich laufe, sehe, denke nach und komme zu dem Schluss, Zuhause ist es doch am schönsten.

Wildparks am Straßenrand

Es mag eine persönliche Präferenz sein, aber das Verkehrschaos in Berlin wird wohl nie meine Sympathie gewinnen. Wild hupend und mit einem grimmigen Blick, der die Autoscheibe eigentlich zum brechen animieren müsste, versucht sich jeder möglichst schnell irgendwo im nirgendwo einzuordnen. Dazwischen huschen dann unzählbare Massen an Fahrradfahrern hindurch, hier und da hält mal eine Straßenbahn, woraufhin von allen Seiten Menschen eilen, um ebendiese zu erreichen. Es ist ja ganz abwegig, dass in zwei Minuten eine neue Bahn herbei fahren wird. Das Bild am Bahnhof gleicht tatsächlich einer Sinus-Kurve. Während einige Menschen behutsam Treppenstufen steigen, sind andere schon im Begriff schwerbeladen herunterzustürzen. Ebenso verhält es sich mit der Stimmung. Manche tanzen übermäßig freudig, andere stehen schwer betrübt am Gleis. Einige reden mit sich selbst, einige suchen unter Fremdeinwirkung diverser Mittelchen durchaus persönliche Gespräche. Ich mag Berlin gerne, aber den Vogelsberg, den mag ich mehr.

Hier scheint alles einer natürlichen Ruhe zu unterliegen. Die Kreuzungen sind übersichtlicher, die Verkehrsregeln auch. Zweispurige Straßen lassen sich viel besser überblicken und statt eilenden Menschen, passieren hier eben kleine Wildparks die Straßen. Wo dies der Fall ist, variiert und so wird deutlich, der Vogelsberg überrascht täglich aufs Neue. Außerdem überkommt mich das Gefühl, dass mich mein Fahrradführerschein auch gar nicht zu mehr befähigt, als eben auf Wiesen und Waldwegen die Welt zu erkunden.

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Wo Fuchs und Hase sich gute Nacht sagen, stört man gelegentlich

Stichwort Welt erkunden. Nun liegt man in der Annahme, dass das Verkehrsnetz in Berlin viel dichter ist, nicht ganz falsch. Dass das jedoch nicht viel zu heißen hat, merkte ich recht schnell. Der Vogelsberger ist darauf ausgelegt weite Distanz zu Fuß zurückzulegen. Nachts mehrere Kilometer von einem Dorf ins nächste zu überwinden, gleicht keinem Wunder. Wer nach Hause muss, der kommt nach Hause. Dabei ist der Weg meistens recht spannend und das größte Risiko das man eingeht, ist Fuchs und Hase vielleicht einmal eine Gute Nacht zu wünschen. In Berlin hingegen können Fußwege ganz schön lang erscheinen. Vielleicht liegt es daran, dass alles flach und eben ist. Vielleicht liegt es auch daran, dass man permanent von dem Gedanken beschlichen wird unpassend angequatscht zu werden. Jedenfalls sollte man nicht den Fehler machen, „mal eben“ vier Tramstationen zu laufen. Man könnte sich durchaus schnell verirren, vor allem wenn einige Straßennamen doppelt vergeben sind.

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Dort, wo die Natur Zuhause ist

Wie dem auch sei, ganz gleichgültig wo ich bin, immer vermisse ich die Vogelsberger Landschaft. Das erklärt dann wahrscheinlich auch mein Verhalten, in Berlin möglichst viele Parks aufzusuchen. Nichts geht über kleine und große Hügel und Berge, die dem Himmel mal näher und mal weiter sind. Wer einmal auf dem Bilstein stand weiß, dass die Natur eine unerschöpfliche Quelle voller Inspiration ist. Dort wo Erde von blühenden Teppichen bedeckt ist, die eben nicht wachsen, weil man sie gepflanzt hat, sondern weil sie wollen, dort ist die Natur zu Hause. Dort wo der See kleine Wellen schlägt, kann kein Schwimmbad dieselben Sommergefühle vermitteln. Dort wo Bäume bedeckt vom Moos im Sonnenlicht erstrahlen, weiß man, dass alles gut ist, wie es ist.

Müsste ich nicht, würde ich Vogelgezwitscher am Morgen nie gegen Verkehrslärm eintauschen. Nie könnte der Geruch von Benzin und ranzigem Fett, gegen den des Vogelsbergs konkurrieren: Im Frühling frisch und im Sommer unglaublich wohltuend, wenn dicke Regentropfen auf dem Asphalt aufschlagen, im Herbst moosig mild und im Winter klar und kalt wie Schnee. Spätestens wenn jemand Kuhdung auf den Feldern verteilt, bleibt mit einem Augenzwinkern zu sagen: Willkommen im Vogelsberg!

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Ein gutes Steak kennt keine Konkurrenz

Zugegeben, der Vogelsbergkreis ist nicht unbedingt der Partyhotspot, der Menschenmassen förmlich anzieht. Dennoch möchte ich die Momente, die ich hier mache und gemacht haben, niemals missen. Denn auch Dorfdiscos können lustig sein – müssen sie aber nicht. Wovon ich rede sind eher die zahlreichen Hauspartys – weil man sich kennt und mag. Vielleicht ist es weniger das Angebot das besticht, sondern eben die Momente und die Menschen, die man damit assoziiert. Da ist es auch gar nicht schlimm, dass man nicht an jeder Ecke Dönerbuden findet. Gut, man müsste sich eher fragen, an welcher Ecke man überhaupt etwas findest. Wie es auch sei, ein frisches gut mariniertes Steak auf dem Grill hat letztendlich wenig Konkurrenz. Und statt abgepackten Früchtebechern to go, sitze ich dann doch viel lieber im Kirschbaum und verzehre Massen, die einem solchen Becher nicht annähernd standhalten würden.

Eine größere Auswahl an Ausgehmöglichkeiten wäre sicher nicht verwerflich. Aber Not macht ja bekanntlich erfinderisch und so haben wir sicherlich alle gelernt, kreativ zu sein.

Denn Bars sind ein schöner Zeitvertreib, doch lauwarme Sommernächte am See mit den liebsten Menschen sind auf ihre Art und Weise schöner.

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Menschen, mit denen man Wurzel schlägt und Flügel entwickelt

Menschen sind eben die, die Orte so einzigartig schön machen. Denn überall auf der Welt gibt es wunderbare, inspirierende Persönlichkeiten und doch hat jeder von uns sein eigenes beständiges Feld. Eine handvoll Menschen, die das Innerste seiner eigenen Welt zusammenhalten. Menschen, mit denen man zusammen Wurzeln geschlagen oder eben auch Flügel entwickelt hat. Wenn ich von einer Ode an meine Heimat rede, rede ich eigentlich von den Menschen. Denn die meisten hier sind unglaublich herzlich, humorvoll und mitreißend. Wer es schafft auf Teichen zu „surfen“ und nachts Berge zu besteigen, der schafft es auch, dass man gerne und in Liebe von seiner Heimat spricht. Denn schlussendlich kommt es nicht drauf an wie viel man wo erlebt, sondern wie und mit wem.

Und dann reicht ein Tagebuch und eine Kamera auch gar nicht mehr aus, denn dann fängt man an Momente im Herzen zu speichern Und so kann auch ich sagen, dass ich trotz meiner Liebe zum Vogelsberg eine sehr schöne Zeit in Berlin verbracht habe. Schlussendlich bleibt zu sagen: „Home is where your heart is“.

von Jessica Haak

Ein Gedanke zu “Ode an den Vogelsberg

  1. Wieder mal ein schöner Beitrag, der auch mich mit Mitte 20 inspiriert und fasziniert.
    Junge Menschen beschweren sich nicht selten dass der Vogelsberg als langweilig erscheint, hier zu wenig Ausgehmöglichkeiten vorhanden sind.
    Sicherlich ist es nicht einfach, eine berufliche Perspektive in der Region zu finden, daran gibt es auch überhaupt nichts schön zu reden.

    Was aber die Freizeitmöglichkeiten betrifft, sollte man sich vor Augen führen, dass wir eine Region mit über 110.000 Einwohnern sind.
    Startet eigene Projekte, beginnt den Vogelsberg tatsächlich zu erkunden, den egal ob ihr aus Schotten, Lauterbach, Alsfeld, Schlitz, Herbstein, Homberg, Mücke, Ulrichstein oder wo auch immer her kommt – der Vogelsberg ist all das zusammen. Gerade im nördlichen Vogelsberg, also Lauterbach und Alsfeld, gibt es mehr Freizeitmöglichkeiten, als euch vielleicht bewusst ist.

    Unterstützt unsere Region und lasst uns gemeinsam mit unserer Energie und Kreativität das Maximum aus dem Vogelsberg holen :)

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