Hoffnung für Vogelsberger Milchbauern?China lockt mit hohen Preisen
VOGELSBERGKREIS (aep). 2,80 Euro für den Liter: Das ist der Preis, den Verbraucher in China derzeit für Milch aus Deutschland zu zahlen bereit sind, behauptet das ARD-Magazin plusminus in einer Reportage und zieht den Schluss: Steigende Nachfrage in China könnte den Milchpreis in Deutschland kräftig anheben. Eher negativ für Verbraucher. Der Rückschluss aber: Von dem Trend könnten Milchbauern profitieren – auch Vogelsberger, die vor Jahren noch protesthalber Milch als „wertlos“ verschütteten. Das Ende der Milchpreiskrisen? Werden Fördermaßnahmen überflüssig? Einen „Silberstreif“ sieht der Vogelsberger Bauernverbandsvorsitzende Kurt Wiegel, Misstrauen herrscht aber bei anderen Vertretern der Branche gegenüber dem fernen Markt, und mancher Landwirt sieht auch darin grundsätzlich eine falsche Entwicklung.
Es waren tödliche Panschereien mit Milchprodukten, die 2008 das Interesse chinesischer Verbraucher an Europa weckten: Heimische Molkereien hatten Milch mit der Chemikalie Melamin gestreckt und den Tod von Kindern verursacht – seither ist in China das Vertrauen in die eigenen Hersteller offenbar drastisch gesunken. Laut plusminus vertausendfachte sich der Export europäischer Milch dorthin jedenfalls seit 2007, und die fernöstlichen Abnehmer zahlen Preise, die in Deutschland undenkbar wären – die jedoch dazu führen könnten, dass Milch auch in Deutschland teurer wird. Erheblich teurer. Teurer noch als die „faire Milch“, für die verständnisvolle Verbraucher bereits heute im Supermarkt einen Euro oder mehr hinlegen.
In der Tat ist der Milchpreis seit der großen Krise in den Jahren 2008/2009 kontinuierlich in Richtung jener Marke gestiegen, die seinerzeit als untere Grenze für Wirtschaftlichkeit galt: 40 Cent. Von rund 23 Cent im Jahr 2009 inzwischen auf 35 bis 38. Vielen Landwirten reicht indes auch dieser Betrag nicht, räumt der Kreisverbandsvorsitzende Kurt Wiegel ein, der den Vogelsberg für die CDU als Abgeordneter im hessischen Landtag vertritt. Grund: „Die Deckungsbeiträge sind je nach Voraussetzungen der Höfe unterschiedlich.“ Aber der Trend sei doch verheißungsvoll, und wenn 2015 die Milchquote wie geplant fällt, dann stünden den Bauern ganz neue Möglichkeiten offen. Unterstützende Projekte wie die „faire Milch“, die in unterschiedlichen Varianten in Supermärkten zu finden ist, sieht er dennoch als wichtig an: Die hätten schon ihre Berechtigung.
Einen Silberstreif mag indes Dieter Müller, hessischer Vertreter in der Vermarktungsorganisation Milch Board mit deutschlandweit 20 000 Mitgliedern, nicht erkennen. Ihn erreicht man in Marburg. Er klingt insgesamt eher pessimistisch, und sein Statement zur aktuellen Situation der rund 1400 hessischen Mitgliedsbetriebe ist deutlich: „Im Moment ist der Preis höher als im Vorjahr – aber immer noch unter dem von 2007, und schon zu DM-Zeiten bekamen wir 80 Pfennige pro Liter!“ Das wären also auch jene 40 Cent. Dabei, so betont Müller, seien die Kosten für die Bauern im gleichen Zeitraum erheblich angewachsen: „Beim Zukauffutter und bei der Energie hat es eine Kostenexplosion gegeben.“ 43 bis 50 Cent: Das sei der Stand der Produktionskosten pro Liter. Tatsächlich lebten die meisten Vogelsberger Milchviehbetriebe längst von der Substanz – und von der Hoffnung, dass sich noch rechtzeitig etwas tut, ehe alle Reserven aufgezehrt sind.
Ähnlich skeptisch klingt Peter Hamel, Landwirt in Storndorf und Begründer der Organisation „Zivilcourage“, in der Bauer sich mit Selbstverpflichtungen unter anderem gegen den Einsatz grüner Gentechnik vereinigt haben (siehe auch: http://www.zivilcourage-vogelsberg.de/). Er ist Landwirt mit Herz und Seele und wirkt bedrückt, wenn er den Wandel auf dem Land kommentiert: weg von der gewachsenen und verwurzelten Landwirtschaft hin zur Dörfer leerenden Agrar-Industrie. Doch, so warnt er, auf der Jagd nach immer billigerer Industrie-Produkten gingen der Milch wichtige Inhaltsstoffe verloren – etwa Omega 3-Fettsäuren, die den Körper vor manchen Krankheiten schützen (siehe auch: http://www.greenpeace.de/themen/landwirtschaft/nachrichten/artikel/das_futter_machts_milch_ist_nicht_gleich_milch/). Hamel: „Ein Euro, den der Verbraucher durch den Kauf billiger Milch spart, gibt er dreifach für den Arzt wieder aus.“ Seine Kühe, so versichert er, stehen so lange wie es geht auf der Weide, weil das der Milch gut tue.
Peter Hamel sieht die „faire Milch“ nicht nur wegen des garantierten Abnahmepreises von 40 Cent als unverzichtbar an – sondern auch wegen der Rahmenbedingungen, zu denen diese Landwirte sich verpflichtet haben. Bedingungen, die einerseits das Produkt bekömmlicher und gesünder machen sollen, zugleich auch eine echte bäuerliche Landwirtschaft unterstützen: „Es geht um gesunde, strukturerhaltende Landwirtschaft.“ Heißt unter anderem: regionale Nähe von Produktion und Verkauf, Verzicht auf Gentechnik und Zufutter aus Übersee, wenig Maiseinsatz, bienenfreundliche Bewirtschaftung der Ackerflächen.
Indes: Mittlerweile sind mehrere Arten „fairer Milch“ in den Supermärkten zu finden, die nicht alle hehren Ziele der Anfangszeit mehr erfüllen – teils aus wirtschaftlichen Zwängen. Die „Faire Milch“ mit der schwarz-rot-goldenen Kuh etwa habe den Regionalanspruch aufgeweicht. Den verfolgt „Sternenfair“ neben den Produktionsbedingungen noch konsequent. Regional ist im Grunde auch „Die Hessische“, die sich aber den strengen Produktionsbedingungen nicht verpflichtet fühlt – und übrigens sämtlich auf einem einzigen 300 Kühe-Betrieb bei Gedern, dem Bauernhof Kneipp, hergestellt wird, also mitnichten hessische Landwirtschaft vertritt.
Neue Absatzmärkte in China: Was manchen Landwirt optimistisch stimmen könnte, sieht Milch Board-Sprecher Dieter Müller doch eher skeptisch: „Ich hätte gerne, dass es so ist, aber ich traue dem Frieden nicht!“ Einerseits, so erklärt er, sei der Anteil der Exportmilch noch sehr überschaubar, und zugleich „baut China seine eigene Milchproduktion aus.“ Ob der Run auf deutsche Milch hält, sei daher unsicher. Müller: „Wir hätten gerne mehr Sicherheit für die nächste Krise.“
Zur ARD-Sendung: Milchexporte – China-Ausfuhren boomen
Siehe auch: Interview mit dem Vogelsberger CDU-Landtagsabgeordneten Kurt Wiegel zur Milchpreisentwicklung.
Schreibe einen Kommentar
Bitte logge Dich ein, um als registrierter Leser zu kommentieren.
Einloggen Anonym kommentieren