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Info-Abend: Feldataler bereiten sich auf die Ankunft vor – Wunsch: Die Menschen mögen bleiben – Beispiel Nieder-Ofleiden: Wo Toleranz Programm ist„Sie werden Ihre Flüchtlinge lieben!“

GROSS-FELDA (mb). Unter dem Motto „Willkommen im Feldatal – Menschen fliehen vor dem Krieg und suchen Heimat in Groß-Felda“ luden Feldatals Bürgermeister Dietmar Schlosser und die Gemeindepfarrerin Susanne Gessner am Dienstag zu einem aufklärenden Gespräch über die bald in Groß-Felda eintreffenden Flüchtlinge ein. Unterstützung erhielten sie von Hans-Ulrich Merle vom Landratsamts sowie Ralf Müller vom evangelischen Dekanat Alsfeld.

 

„Du sollst den Fremden lieben wie dich selbst“, mit diesem Zitat aus dem Alten Testament leitet Pfarrerin Gessner Ihre Worte ein. Sie betont, dass dieses Zitat auch heute noch im Christentum verwendet wird. Sie zeigte sich begeistert vom großen Andrang im Gemeindezentrum Groß-Felda. Über 100 Menschen waren gekommen, um sich über die aktuelle Situation betreffend die ankommenden Flüchtlinge in Groß-Felda zu informieren. Sie zeigt ein Poster auf dem das Wort „Willkommen“ abgebildet ist, allerdings in viele Einzelteile zerbrochen. „Es liegt an uns was wir aus diesem Wort schöpfen. Das Plakat zeigt und was man fürchten kann, aber auch was man willkommen heißen kann.“

Auch Bürgermeister Schlosser begrüßte die Gäste, sowie alle Zuhörer. Der neue Besitzer des Hauses in der Hochstraße, um das es geht, ist ebenfalls vor Ort. Dietmar Schlosser gibt nochmals einen kurzen Überblick über die allgemeine Flüchtlingssituation in der Welt. Insgesamt 60 Millionen Menschen seien auf der Flucht, in Deutschland sei das Thema allerdings erst seit Sommer des letzten Jahres aktuell, kurz nachdem das Griechenland Thema „beendet“ war. „Die Flüchtlinge sind nun da und auch aufs Land werden viele kommen.“  In Ermenrod seien bereits zwölf junge Männer angekommen. Auch nach Köddingen werden wahrscheinlich noch Flüchtlinge kommen. Die alte Praxis Ellermann wird in Groß-Felda die neue Bleibe für insgesamt 30 Menschen sein. Schlosser: „Es werden ehrenamtliche Helfer von Nöten sein.“

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Zahlreiche Menschen nahmen an dem Info-Abend teil.

Als Vertreter des Landratsamts gab Hans-Ulrich Merle einen Überblick über die momentane Situation im Kreis. Er ist für das Sachgebiet Flüchtlinge zuständig, das erst kürzlich neu gegründet wurde. 27.000 Menschen befinden sich in Hessen in einer Erstaufnahmeeinrichtung. Lag die Zahl der Zuweisungen von Flüchtlingen 2013 noch bei 150, so verdoppelte sich diese Zahl in 2014. In diesem Jahr rechne man nun quartalsweise. Im letzten Quartal waren es 465 Zuweisungen. Höchststand.

Ankunft soll am 22. Dezember sein

Allerdings zählen die Flüchtlinge, die zum Beispiel in den Sporthallen in Alsfeld oder Lauterbach unterkommen nicht dazu. Insgesamt werden die Flüchtlinge Deutschlands nach dem Königssteiner Schlüssel sortiert. Dieser besagt, dass 7,2 Prozent aller Flüchtlinge nach Hessen verteilt werden, von ihnen kommen zwei Prozent in den Vogelsbergkreis. Im Vogelsberg ist der Zuweisungstag immer Dienstag – Donnerstag bekommt der Kreis den Bescheid über die Anzahl und Art der Menschen die Ihnen zugewiesen wird. Für Groß-Felda sehr wichtig, denn das Datum an dem die Flüchtlinge kommen, ist nun bekannt: Am 22. Dezember werden sie in der Hochstraße ankommen. Die Flüchtlinge im Vogelsberg werden auf Gemeinschaftsunterkünfte und Wohnungen verteilt, momentan sind es 43% die in einer Wohnung leben. In Ermenrod wohnen sie zum Beispiel in einer Gemeinschaftsunterkunft. Diese können auf bis zu 100 Betten ausgelegt sein.

Merle betont, dass der Kreis darauf achte, dass die Normen des Asylgesetzes für die Wohnungsbelegungen eingehalten werden. Diese besagen, dass pro Bett pro Zimmer sechs Quadratmeter bereitgestellt werden sollten – plus drei Quadratmeter Verkehrsfläche. Das Haus in Groß-Felda werde mindestens zweimal wöchentlich von einem Sozialarbeiter besucht, in der Anfangsphase aber auch öfter. Das Haus in der Hochstraße sei ebenfalls bereits von der Bauaufsicht und dem Brandschutz begutachtet worden. Leider sehe das Asylgesetz jedoch keine Integration und Arbeit für die Flüchtlinge vor. Er beobachte aber eine große Welle der Bereitschaft der Einwohner, bei genau diesem Thema zu helfen.

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„Sie werden Ihre Flüchtlinge lieben!“ Ralf Müller vom Evangelischen Dekanat.

„Keine fünf Polizeimeldungen eingegangen“

Er betonte, wie wichtig die Integration der Flüchtlinge für den Vogelsberg sei – und sie  auch zum Bleiben zu bewegen. In vielen Gemeinden bieten die Bewohner zusätzlichen Deutschunterricht an und beschäftigen sich mit den Menschen, um etwa herauszufinden, welche Fähigkeiten sich hinter der Sprachbarriere verstecken. Auch in Bezug auf die Sicherheit konnte Merle die Bürger beruhigen. In den Einrichtungen des Kreises seien keine fünf Polizeimeldungen im letzten Jahr eingegangen. Viele der Meldungen über Schlägereien fänden in den Erstaufnahmeeinrichtungen ab, in denen Menschen auf engstem Raum zusammenleben müssen – Schlägereien blieben da auch bei hier nicht aus.

Auch über die Zusammensetzung der Flüchtsgruppe gab er Auskunft. „Von Alleinreisenden bis hin zur elfköpfigen Familie ist alles dabei“. Familien werden vor allem in Wohnungen verteilt, wenn möglich. Und auch Frauen WGs seien bereits gegründet worden. Dies senke natürlich die Chance für die Feldataler Bürger, dass Familien in das Mehrfamilienhaus einziehen würden. Mit Sicherheit werde es aber eine gesunde Mischung geben, denn hier zeigen sich bisher positive Erfahrungen, so Merle. Familien sind damit nicht gleich ausgeschlossen, sondern auch recht wahrscheinlich.
„Nicht vergessen, dass diese Menschen so sind wie ich und du“

Natürlich gab es auch besorgte Bürgerstimmen: „Sind die Menschen denn den ganzen Tag über sich selbst überlassen?“ Die Antwort lautet ganz klar:  „Ja, denn wir dürfen nicht vergessen, dass diese Menschen vorher auch ein selbstbestimmtes Leben geführt haben und zu großen Teilen auch wohlhabend waren oder noch sind.“ Da dürfe man sich keinen falschen Erwartungen hingeben. Auch solle man sich mittlerweile nicht mehr darüber wundern, dass fast alle Flüchtlinge über Handys verfügen: Damit haben sie sich bis nach Europa durchgeschlagen und jetzt diene es als einziges Kommunikationsmittel nach Hause. Dennoch, über Hilfe beim ersten Einkauf würden sich die neuen Mitbürger dennoch sicherlich freuen.

Die Frage, ob es denn Dolmetscher geben werde wurde hingegen verneint. Die Flüchtlinge sollen der deutschen Sprache mächtig werden, und abgesehen davon gebe es einfach zu viele verschiedene Sprachen. Für Arztbesuche und andere offizielle Angelegenheiten werde aber einer zur Verfügung gestellt.

„Die neuen Bürger erst einmal zur Ruhe kommen lassen“

Ralf Müller vom evangelischen Dekanat Alsfeld beruhigte mit der Aussage: „Sie werden Ihre Flüchtlinge lieben“. Er nennt ein Beispiel: Das Dorf Nieder-Ofleiden bei Homberg hat vor kurzem ebenfalls eine Welle von neuen Bürgern willkommen geheißen. Die Nieder-Ofleidener waren so gespannt, dass sie die neuen Mitbürger am liebsten mit einer Blaskapelle begrüßt hätten. Doch Ruhe sei die ersten Tage besonders wichtig.

Nachdem die Flüchtlinge sich an das neue Dorf gewöhnen konnten, begannen die Nieder-Ofleidener direkt mit der Integration: Der Obst- und Gartenbauverein spendete 50 Euro an die Flüchtlinge, sodass diese sich ihre eigenen Obstbäume ersteigern konnten.  Aber auch die Deutschen ließen sich etwas von der Kultur der neuen Bürger zeigen und so wurde das erste Opferfest in der Geschichte Nieder-Ofleidens gemeinsam gefeiert. Müller: „Toleranz ist in diesem Dorf das A und O.“ Verhaltensweisen würden hinterfragt, bevor die Flüchtlinge kollektiv beschimpft werden. Man gehe aufeinander zu, wechsele nicht die Straßenseite, wenn man sich begegnet – „und es funktioniert“. Als „die Sprache des Herzens“ bezeichnet Müller dieses Verhalten.

Er gibt den Feldatalern Tipps im Umgang mit den neuen Bürgern. „Stellen Sie keine Säcke Kleidung vor die Türen der Bewohner, das sorgt nur für Ärger. Weisen sie die Flüchtlinge lieber darauf hin, dass sie sich beim DRK gegen ein kleines Entgelt Kleidung besorgen können. Geben Sie Ihnen alte Fahrräder, die sie nicht mehr gebrauchen können. Die Restauration werden diese selbst vornehmen und sind danach auch mobil. Sollten Sie noch alte Laptops haben, die zu Hause nur verstauben, geben Sie auch diese gerne ab. Es gibt tolle Selbstlernprogramme im Internet zum Deutsch lernen.“

Empathie und Engagement bei den Feldaern

„Richtlinien einhalten und integrieren“. Das sind die zwei Hauptthemen des Dienstag Abends in Groß-Felda. Die anfängliche Besorgnis der Feldaer schwingt um in Empathie und Mut, dem Neuen mit einem Lächeln zu begegnen. Viele Bürger steuern mit ihren positiven Erfahrungen in der Flüchtlingsarbeit bei. Man solle keine Angst haben und „solche Zustände wie in den Hallen würde keiner von uns ertragen“. Man könne dem Beispiel Ermenrod folgen, die einen runden Tisch gebildet haben, um mit den Flüchtlingen gemeinsam zu kommunizieren. Mittlerweile haben diese sich bei den engagierten Ermenrödern mit einer Kochrunde bedankt.

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Auch sollte man bedenken, dass im Jugendheim Feldatal die Integration der unbegleiteten Flüchtlinge sehr gut verlaufe. Gudrun Grosskopf aus Groß-Felda bietet Deutsch Unterricht für die Flüchtlinge an – ein paar Helfer sind schnell gefunden und auch die Kirche setzt ihren Segen unter das Projekt. Und auch der runde Tisch ist mit spontan 18 neuen Mitgliedern schnell gebildet. Die Bürger fangen an, sich zu sorgen. Haben die Flüchtlinge überhaupt Besteck? Was ist mit Weihnachten, jemand muss sie darauf hinweisen, dass die Geschäfte vier Tage geschlossen sind. Was ist mit Silvester? Die meisten kommen aus Kriegsgebieten, sie werden sehr verängstigt sein. Es stimmt, die Feldaer mögen ihre Flüchtlinge bereits.

Hausbesitzer Weber gibt bekannt, dass man sich am Sonntag,  20. Dezember, das Haus in der Hochstraße gerne anschauen darf, bevor die Flüchtlinge ankommen. Hans-Ulrich Merle wird bis dahin die Gemeinde informieren, auf welche Konstellation von Menschen sich die Gemeinde vorbereiten darf. Ab 15:00 sind die Bürger des Feldatals  dazu eingeladen, sich weitere Eindrücke von der Situation zu machen und es wird bereits über einen Termin zu Kaffee, Tee und Kuchen geredet, um die neuen Bürger willkommen zu heißen.

Die Versammlung wird mit einem großen Applaus beendet und der Andrang bei den Referenten ist im Anschluss groß. Es wird geredet und diskutiert, und zwar nicht, was denn alles passieren könnte, wenn die Flüchtlinge da sind. Sondern wie man diese am besten begrüßen und integrieren kann.

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