Forschungsprojekt zur Frage „Wie empfinden Demenz-Kranke betreuungslose Zeit?“ - Vogelsberg ist PraxispartnerHeilsame Auszeit oder belastende Einsamkeit?
VOGELSBERG (ol). Wie verbringen Personen mit Demenz die Zeit, in der sie alleine sind oder sie kein Betreuungsangebot haben? Sitzen sie stumm und passiv im Sessel oder sind sie unruhig? Ruhen oder schlafen sie? Und wie empfinden sie diese Zeit? Als heilsame Auszeit oder doch eher als Zeit, in denen sie sich einsam fühlen? Belastet sie gar diese Zeit? Um genau diese Fragen geht es in einem neuen dreijährigen Forschungsprojekt der Hochschule Fulda.
Das Projekt FreiZeit wird von Prof. Dr. Helma M. Bleses gemeinsam mit Kollegen der Hochschule OST/ St. Gallen und der Universität Genf in der Schweiz sowie der Hochschule Furtwangen in Baden-Württemberg geleitet. Teilnehmer der Studie sollen übrigens auch Demenz-Patienten, deren Angehörige und Pflegenden im Vogelsbergkreis sein, denn der Kreis ist als sogenannter „Praxispartner“ mit im Boot, teilt dieser in seiner Pressemeldung mit.
„Patienten mit Demenz verbringen einen Großteil ihres Tages ohne Betreuung und Begegnung, das bedeutet: Diese freie Zeit ist nicht ausgestaltet. Wissenschaftliche Untersuchungen dazu gibt es bisher kaum“, schildert Bleses im Gespräch mit Landrat Manfred Görig die Ausgangslage des Forschungsprojektes.
Zum „Feldeinsatz“ kommen die Professorin und ihr Forscherteam nun schon zum zweiten Mal in den Vogelsbergkreis. Schon für RoboLand, einem von 2016 bis 2020 ausgelegten Projekt, hatten sie mit Personen mit Demenz und deren Angehörigen im Vogelsbergkreis gearbeitet. Dabei war es um den Einsatz von Telepräsenz-Robotern um häuslichen Lebensumfeld und in der Pflege von Demenz-Patienten gegangen.
Erneute enge Zusammenarbeit
Beim neuen Forschungsprojekt FreiZeit werden Bleses und ihre Kollegen erneut eng zusammenarbeiten mit der Fachstelle für Gesundheitliche Versorgung beim Vogelsbergkreis und mit dem Pflegestützpunkt. „Die Unterstützung des Vorhabens durch Landrat Manfred Görig ist uns ganz wichtig“, betont Prof. Bleses. „Wir wollen in Pflegeheime gehen, aber auch in die häusliche Lebenswelt der Personen und dabei hoffen wir auf die bewährte Unterstützung der Fachstelle Gesundheitliche Versorgung, des Pflegestützpunktes und der Familien, die uns den Zugang in ihre Häuslichkeit ermöglichen. Ein Pflegeheim hat seine Unterstützung bereits bekundet.“
In vielen Gesprächen und Beobachtungen werden Helma M. Bleses und ihre Kollegen erkunden, wo, wann, wodurch, wie und wie oft betreuungs- und begegnungsfreie Zeiträume auftreten und wie sich diese aus den verschiedenen Sichtweisen darstellen. Sie werden unter anderem fragen, wie Personen mit Demenz betreuungsfreie Zeit empfinden und beschreiben.
Auch die Frage, wie sich Personen mit Demenz nonverbal ausdrücken, wird eine Rolle spielen. Vor allem aber auch, welche Deutungen, Wünsche, Absichten und Interessen die Betroffenen dabei zum Ausdruck bringen wollen? „Wir wollen auch wissen, was sie in den freien Zeiträumen tun und wie sie sie nutzen“, betont Helma M. Bleses. Analog sollen diese Fragen auch den pflegenden Angehörigen und Pflegedienstmitarbeitern gestellt werden.
Eine Herausforderung im ländlichen Raum
„Wir unterstützen das Projekt gerne und sind gespannt auf die Ergebnisse und die sich daraus ableitenden Konsequenzen“, unterstreicht Landrat Manfred Görig. „Die Gesellschaft wird älter, über die sich daraus ergebenden Auswirkungen und Herausforderungen diskutieren wir im Vogelsbergkreis schon länger. Personen mit Demenz und ihre betreuenden Angehörige stehen im Mittelpunkt unserer Aktivitäten“, so der Landrat.
Die Versorgung dieser Personengruppe stelle gerade im ländlichen Raum eine Herausforderung dar. „Wir stehen immer wieder vor der Frage, wie geeignete Konzepte für die Versorgung von Personen auszusehen haben, die wegen einer Demenz eingeschränkt und auf vielfältige Hilfe angewiesen sind.“ Landrat Görig weist auf einen weiteren Aspekt hin: „Wir sehen auch die Belastung der Angehörigen, die teilweise selbst in einem Alter sind, in dem sie Unterstützung benötigen, oder die die Betreuung neben ihrem Beruf übernehmen müssen.“ Wenn nun betreuungs- und begegnungsfreie Zeiten identifiziert und Lösungsmöglichkeiten gefunden würden, „dann ist das in unserem Sinn und Interesse“, so Görig abschließend.
Hintergrund:
Das Forschungsprojekt „Betreuungs- und begegnungsfreie Zeiträume: Methodenplurale Erkundungen zum Erleben von Personen mit Demenz (FreiZeit)“ wird vom Schweizer Nationalfond/SNF und der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Rahmen eines im Rahmen eines Lead-Agency-Verfahrens für drei Jahre gefördert. Der Vogelsbergkreis, vertreten durch Landrat Manfred Görig, ist Praxispartner.
Das Forschungsprojekt wird von Prof. Dr. Helma M. Bleses am Fachbereich Gesundheitswissenschaften der Hochschule Fulda gemeinsam mit Ihren Kollegen Prof. Dr. Thomas Beer und Prof. Dr. Sabina Misoch, beide an der Hochschule OST/St. Gallen und Prof. Dr. Matthias Kliegel an der Universität Genf in der Schweiz sowie von Prof. Dr. Peter König an der Hochschule Furtwangen in Baden-Württemberg geleitet.
Wo, wann, wodurch, wie und wie oft betreuungs- und begegnungsfreie Zeiträume auftreten? Um das zu beantworten, braucht man doch keine Frau Professor und keine wissenschaftliche Studie!
Wo? Im gesamten Vogelsbergkreis.
Wann? 7/24.
Wodurch? Durch Jahrzehnte der Untätigkeit, Verdrängung und Schönfärberei.
Wie? Flächendeckend und auf Kosten der Lebensqualität von Betroffenen und pflegenden Angehörigen.
Wie oft? So oft, wie Betreuungsbedarf entsteht, der durch keinerlei wohnortnahe Angebote (z.B. Einrichtungen zur Tagesbetreuung) abgedeckt ist.
Auf die „methodenpluralen Erkund(ig)ungen“, wie Personen mit Demenz bzw. pflegende Angehörige im Vogelsbergkreis „betreuungs- und begegnungsfreie Zeiträume“ erleben, darf man wirklich gespannt sein. Größte Herausforderung für den Landrat dürfte sein, alles wieder schön zu reden oder zu erklären, warum während der „fetten Jahre“, die laut Wirtschaftsdezernent und Vizelandrat Jens Mischak ja neuerdings vorbei sein sollen (https://www.oberhessen-live.de/2021/11/09/mischak-die-fetten-jahre-sind-vorbei/), nicht für eine bessere Daseinsvorsorge eingesetzt wurden. Der Grund lag wahrscheinlich darin, dass dank der bewährten Zusammenarbeit mit Frau Prof. Bleses von der Hochschule Fulda bereits eine Studie vorlag (siehe https://www.osthessen-zeitung.de/einzelansicht/news/2015/juli/gutes-leben-mit-demenz-aus-studenten-praesentieren-ergebnisse.html), wie im Vogelsberg ein „gutes Leben mit Demenz“ auch ohne aufwändige Daseinsvorsorge gelingen kann bzw. Demenzpatienten und Angehörige mit Hilfe eines famosen Ratgebers ( https://www.hs-fulda.de/fileadmin/user_upload/FB_Pflege_und_Gesundheit/Meldungen/Demenz/20160628-TZ-_-_Schlitzer_Bote_-_RatgeberDemenz.pdf ) die notwendigen Instruktionen erfuhren, „wie Personen mit Demenz noch stärker in die Gesellschaft – also in ihr soziales Umfeld – eingebunden werden können“. Allerdings genügte die erwähnte „Studie“ nicht einmal wissenschaftlichen Mindestanforderungen. Und der „Ratgeber“ bestand in einer Aufbereitung von Daten, die der Vogelsbergkreis zur Verfügung gestellt und gefällig präsentiert hatte.
Landrat Manni Görig, ja so heißet unser Held
Weil er immer wieder mal ’ne Studie bestellt
Die entweder beweist, dass da doch irgendetwas ist
Wo’s eigentlich nichts gibt, so dass den Bürger man vergisst
Oder umgekehrt gefeiert wird, dass es zwar noch nichts gebe
Doch man trotz dieses Defizits im VB so gut lebe
Demenzkranke zum Beispiel sieht man ständig hoch erfreut
Über die dank fehlender Angebote betreuungsfreie Zeit
Für die immer gesorgt ist, indem die Ausgaben man scheut
Und eben drum keine Sau da ist, die sie mal gut betreut
Und weil dies der Beweis schon ist für ganz betreuungsfrei
Lockt dies sogleich aus Fulda wieder Wissenschaft herbei
Und die lässt bunte Blumen blüh’n wie hinterm Schlitzohr Schorf
Und schon treibet eine Studie man neu durchs potemkin’sche Dorf
Und der Praxispartner Görig wie der brave Soldat Schwejk
Bastelt daraus für die Zeitung wieder mal ’nen schönen Fake
Kunst soll man angeblich daran erkennen, dass Form und Inhalt sich entsprechen. Insofern ist der Beitrag gelungen. Denn das sehr holperige Gedicht behandelt die ebenfalls wenig geschmeidige Zusammenarbeit zwischen der um wissenschaftliche Reputation bemühten Sozialpolitik des Landkreises und der um praxisorientierte „Feldarbeit“ bemühten Hochschule Fulda. Leider ist dabei nämlich noch nicht viel Gutes heraus gekommen. Insbesondere die – im obigen Beitrag unterschlagene – dritte Kooperation zwischen Vogelsbergkreis und Frau Prof. Bleses, ein zweisemestriges „studierendes Projekt (???)“ der Hochschule Fulda (siehe https://www.pflegestuetzpunkt-vogelsbergkreis.de/demenz.html), bei dem zwei Studentenjahrgänge aus dem 4. Semester Pflegewissenschaften einen Ratgeber „Gutes Leben mit Demenz“ für den Vogelsbergkreis entwickelten, der „als Orientierungshilfe“ dienen und „Wege zu Hilfs- und Unterstützungsangeboten im Vogelsbergkreis“ (die es gar nicht gab!) aufzeigen sollte, war forschungsmethodisch und inhaltlich desaströs. Eine ähnliche Katastrophe scheint sich anzubahnen, wenn man folgende Erläuterungen zu dem anstehenden Forschungsvorhaben liest: „In vielen Gesprächen und Beobachtungen werden Helma M. Bleses und ihre Kollegen erkunden, wo, wann, wodurch, wie und wie oft betreuungs- und begegnungsfreie Zeiträume auftreten und wie sich diese aus den verschiedenen Sichtweisen darstellen. Sie werden unter anderem fragen, wie Personen mit Demenz betreuungsfreie Zeit empfinden und beschreiben.“
Besonders stört mich, dass in einer Kommune, die nur minimale Betreuungsangebote für Menschen mit Demenz bzw. Entlastungsangebote für pflegende Familienangehörige bereitstellt und in der demzufolge „betreuungs- und begegnungsfreie Zeiträume“ den Normalzustand darstellen dürften, großartig nach Orten, Situationen usw. differenziert wird, nicht aber nach den verschiedenen Stadien der demenziellen Erkrankung. Aber gerade letztere dürften entscheidend dafür sein, wie viel Betreuung und Begegnung erforderlich ist und wie deren Fehlen von den Erkrankten und ihren Angehörigen erlebt wird.
Geradezu zynisch erscheinen mir die Ausführungen von Landrat Görig als „Praxispartner“:
Zitat: „Wir […] sind gespannt auf die Ergebnisse und die sich daraus ableitenden Konsequenzen.“ Die Tatsache, dass mit der Zahl der hochbetagten Senioren seit Jahrzehnten auch die Zahl der Demenzpatienten dramatisch ansteigt, ohne dass sich im Landkreis mehr tut, als dass man „über die sich daraus ergebenden Auswirkungen und Herausforderungen […] schon länger“ diskutiert, widerlegt doch die Behauptung des im Text des Beitrags direkt folgenden Satzes: „‚Personen mit Demenz und ihre betreuenden Angehörige stehen im Mittelpunkt unserer Aktivitäten‘, so der Landrat.“ Das Gegenteil dürfte zutreffen!