Was macht Corona mit der Jugend? Erfahrungsbericht von OL-Praktikantin Natalie Behlen„Mir fehlte schon nach wenigen Wochen die Normalität und Struktur“
ALSFELD. Monate lang gab es kaum soziale Kontakte, Ungewissheit, Wut und Ängste. Die Corona-Pandemie wirkte sich auf viele Menschen aus – positiv, wie auch negativ. Für OL-Praktikantin Natalie Behlen war die Zeit bislang eine Achterbahnfahrt zwischen Hochs und Tiefs mit ganz unterschiedlichen Gefühlen. Welche Auswirkungen hatte Corona auf Schule und Psyche? Ein Erfahrungsbericht.
Ich bin eine 16-jährige Schülerin der Geschwister-Scholl-Schule in Alsfeld. Mittlerweile liegt über ein Jahr zwischen dem Beginn der Pandemie und dem ersten Lockdown und den zurückgewonnen Freiheiten, die wir in diesem Sommer ein Stück weit genießen dürfen. Beim Nachdenken über die Zeit habe ich gemerkt, wie sehr Corona mein Leben und das vieler anderer Schüler in meinem Alter beeinträchtigt und verändert hat.
Zum Anfang der Pandemie freute ich mich, dass wir zwei Wochen nicht in die Schule müssen, dann begann der Onlineunterricht, vieles war neu und ungewohnt – für die Schüler und auch für die Lehrer. Da wussten einige Lehrer nicht, wie sie Aufgaben hochladen oder in eine Videokonferenz einladen. Das war ein Vorteil, weil ich mich so sehr gut und schnell durch die wenigen Aufgaben arbeiten konnte, die ich zugeschickt bekam.
Dinge über das Internet verstehen
Als ich in den Nachrichten hörte, dass die Schulen nach der zweiwöchigen Schließung weiterhin geschlossen bleiben sollten, fing ich an, mir langsam Gedanken zu machen und die Freude über das Homeschooling wurde weniger, auch wenn viele Mitschüler die Schule nicht wirklich vermissten. Das war allerdings eine Sache, die ich nie verstand: Mir fehlte schon nach wenigen Wochen die Normalität und Struktur in meinem Leben. Irgendwie war da eine Unordnung in meinem Kopf, die sich mir nicht erklärte. Meine Freundin Josephine, die ebenfalls in meine Klasse geht, fand im Gegensatz zu mir den Onlineunterricht weniger schlimm.
Es fiel ihr wesentlich leichter, Dinge über das Internet zu verstehen. Dadurch verbesserten sich ihre Noten während dieser Zeit sehr. Doch meine Noten verschlechterten sich. Wie ich, fühlte auch sie sich ebenfalls alleine. Das Schlimmste war für uns allerdings, dass wir weniger Freiheiten genießen und unsere Freunde nicht sehen konnten. Nicht alle Freundschaften hielten das aus.
Als nach einigen Wochen die Hoffnung immer weniger wurde, bekam ich die Nachricht, dass der Unterricht endlich wieder in Form eines Wechselunterrichts stattfinden sollte. Es war zumindest schon einmal ein Schritt in die richtige Richtung, aber meine Freunde konnte ich dadurch in der Schule auch nicht wiedersehen. Nach vielen tatsächlich sehr ertragbaren Wochen im Wechselunterricht kam der nächste Lockdown, die Schulen wurden wieder geschlossen. Teilweise wusste ich nach geraumer Zeit gar nicht mehr, im wievielten Lockdown ich mich befand oder die wievielte Schulschließung gerade war.
Zwischen Streit mit den Eltern, schlechter Laune und fehlender Motivation
Ich ging wenig raus, verbrachte die Tage hauptsächlich vor dem Laptop oder im Bett, es fehlte einfach die Abwechslung und irgendwann fehlte mir die Motivation, raus zu gehen. Dadurch kam es natürlich immer wieder mal zu Streitereien mit meinen Eltern, auch Josi ging es so. Durch die Arbeit waren sie viel beschäftigt und mussten außerdem für mich mitdenken – so konnten weder sie noch ich abschalten. Verschärft hat sich das Ganze dann noch dadurch, dass man die Situation nicht einschätzen konnte: Meine Eltern wollten dafür sorgen, dass wir gesund bleiben.
Dadurch haben sie mir öfter verboten, mich mit Freunden zu treffen. Also war ich mehrere Monate lang alleine und schlief viel. Wenn ich mich über soziale Medien ablenken wollte, sah ich dort oft, dass viele wieder anfingen, sich mit Freunden zu treffen. Zugegeben: Da war ich manchmal neidisch. Für mich war es schwer, dass ich mich nicht mit meinen Großeltern treffen konnte, ich vermisste die Menschen auf der Straße.
Das führte im Umkehrschluss dazu, dass es Tage gab, an denen ich wenig bis keinen Antrieb, schlechte Laune und wenig Interesse hatte – und das wiederum machte sich in meinen schulischen Leistungen bemerkbar. Die Aufgaben wurden nämlich, je mehr die Lehrer mit den Online-Programmen arbeiteten, mehr und ich hatte das Gefühl, dass sie sich nicht über die Menge der Aufgaben austauschten.
Hoffnung auf ein normales Jahr
Irgendwann kam dann der zeitliche Druck und ich wusste nicht mehr, wie ich das alles schaffen sollte – und dann entwickelte ich meine eigenen Struktur: Ich saß mit meinen Mitschülern teilweise bis spät abends oder nachts an unseren Aufgaben, wir diskutierten in der Klassen-Chatgruppe über die Schulaufgaben unserer Lehrer, um pünktlich abzugeben und um keine schlechte Note zu erhalten. Nicht nur der Zeitdruck war eine Belastung, sondern auch der Fakt, dass einige der Aufgaben sehr unverständlich waren und ich wesentlich schlechter nachfragen konnte, als wenn ich diese Zeit in der Schule verbracht hätte.
Über ein halbes Jahr war ich da schon im Homeschooling und es war immer noch keinerlei Besserung in Sicht: Manchmal fühlte ich mich, als ob alles nur bergab ging, fing an mich selbst anzuzweifeln. Im Endeffekt war ich enttäuscht über mich selbst. Zum Glück kam dann die Zulassung der Impfstoffe und auch die Menge der geimpften Leute wurde mehr. Langsam sanken dann die Zahlen und die Schulen öffneten – mit Corona-Schnelltests. Zweimal pro Woche haben wir uns getestet das war eine gute Absicherung.
Ich hoffe sehr, dass weitere Lockerungen in der nächsten Zeit möglich sind und ich einiges in den sechs Wochen Sommerferien unternehmen und nachholen kann. Ich bekomme bald schon die zweite Corona-Impfung und bin abgesichert, zumindest für den Moment, denn trotz allem schwingt irgendwie auch schon die Verunsicherung vor der Delta-Mutation mit, auch wenn die Zahlen im Vogelsberg gerade noch überschaubar sind. Ich hoffe das kommende Jahr wird wieder normaler.
Von Natalie Behlen
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