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Unterrichtseinheit zu Sterben, Tod und Trauer im Religionsunterricht an der Albert-Schweitzer-SchuleTrauer zulassen, schweigen und lachen

ALSFELD (ol). In einer besonderen Unterrichtseinheit zum Thema Sterben, Tod und Trauer haben sich Neuntklässler der Albert-Schweitzer-Schule offen mit ihren Erfahrungen auseinandergesetzt. Die Trauerbegleiterin Melanie Schürer sprach mit den Jugendlichen über Gefühle, Rituale und den Umgang mit Verlusten. Die Vergabe von Vergissmeinnicht-Samen bildete den emotionalen Abschluss einer Stunde, die viele nachhaltig berührte.

Der Tod, der Umgang mit dem Sterben und die Bewältigung von Trauer sind große Themen, über die kaum gesprochen wird – schon gar nicht mit Kindern und Jugendlichen. Doch gerade sie machen sich ihre eigenen Gedanken, wenn es in der Familie oder im Freundeskreis zu einem Todesfall kommt. Auch im Schulalltag kann dieses Thema von einer Minute zur anderen aktuell werden, wie die Albert-Schweitzer-Schule vor wenigen Tagen schmerzlich erfahren musste. Die Unterrichtseinheit im evangelischen Religionsunterricht in der neunten Klasse schafft Raum für Gespräche und Fragen rund um diesen Themenkomplex, berichtet das Alsfelder Gymnasium in einer Pressemitteilung.

Zum Abschluss der Reihe hatte Fachlehrerin Christiane Kasper einen Gast in ihren Unterricht eingeladen, der sich persönlich und ehrenamtlich mit den Facetten des Sterbens und der Trauer beschäftigt: Melanie Schürer, Vorsitzende des Vereins „Helles Haus“ und Initiatorin von verschiedenen Trauergesprächsangeboten in der Region, will gerade der Trauer um liebe Menschen mehr Raum in der Gesellschaft einräumen; sie weiß: „Trauer kann man nicht abschalten oder sich vornehmen, dass jetzt wieder alles gut ist. Mühe geben hilft nicht.“

Mit diesem Gedanken lud sie die Schülerinnen und Schüler zum Gespräch darüber ein, wie sie in ihrem jungen Leben bisher Trauer erlebt haben: Waren sie aufgehoben? Konnten sie mit ihren Familien oder Freunden darüber sprechen? Was haben sie vermisst? Was schmerzt noch immer? Die Jugendlichen gingen in dieser Runde ganz offen mit ihren Erfahrungen um und lauschten den Gedanken von Melanie Schürer intensiv.

Beispielsweise, als es darum ging, auch widersprüchliche Empfindungen auszuhalten. „Man kann sich Nähe wünschen, wenn man traurig ist, aber es kann einem dann auch schnell wieder zu viel werden“, weiß sie aus eigener Erfahrung. Dann sei es ein Geschenk, den Menschen um einen herum dies mitteilen zu können und genau so viel Nähe zu bekommen, wie man sich wünscht. Wenn man selbst einen Trauernden besucht, müsse man nicht um die richtigen Worte ringen – man könne auch gemeinsam schweigen.
Gerade Gemeinschaft könne guttun: Wenn man im Familienkreis über die verstorbene Oma spreche, habe jeder ein anderes Bild von ihr vor Augen: als Tochter, als Schwester, als Enkel oder als Ehemann. „Im Gespräch und aus den Erinnerungen anderer Menschen kann man jemanden noch einmal von vielen anderen Seiten kennenlernen.“ Es dürfe auch gelacht werden, selbst in der größten Trauer.

Gemeinsam mit Christiane Kasper riss Melanie Schürer verschiedene Themen rund um das Trauern an, beispielsweise, dass man auch nach dem Tod eines Menschen, mit dem nicht alles geklärt war, seinen Frieden machen könne. Melanie Schürer fand auch ein Symbol für die Trauer: Man könne sie als Murmel sehen, die in einem kleinen Glas alles ausfülle. Mit der Zeit werde nicht die Murmel kleiner, sondern das Glas, der Raum, in dem sie sich bewegt, größer. „Immer mal wieder kann sie aus diesem größeren Raum an die Oberfläche kommen und einen erwischen, aber man kann lernen, damit umzugehen“, sagte Schürer.

Trauern könne man durchaus nicht nur um einen Menschen, sondern auch um ein liebgewonnenes Tier, um einen Traum, der sich nicht erfüllt, um einen Lebensplan, der vielleicht durch Krankheit zerstört wird, auch um einen selbst, als der Mensch, den man einmal war und nicht mehr ist.

Trauer sei durchaus auch ein biologischer Prozess im Körper, lernten die Jugendlichen: Wenn der Cortisolspiegel steige, dann passierten mitunter „merkwürdige Dinge, auch ‚Trauerdemenz‘ genannt“, berichtete die Trauerbegleiterin. Erst wenn sich dieser Wert wieder normalisiert habe, könne man wieder klarer denken und versuchen, neue Wege finden.

Zum Abschluss dieser Einheit verteilten die beiden Pädagoginnen Vergissmeinnicht-Samen – eine Idee, die Melanie Schürer beim Tod ihres Mannes hatte: Sie schenkte Freunden den Samen, mit der Bitte, ihren Mann nicht zu vergessen. „Noch heute bekomme ich Fotos von Vergissmeinnicht, die aus diesem Samen aufgegangen sind“, erzählte sie. Die Schülerinnen und Schüler verstreuten den Samen rund um das Schulgelände in der Krebsbach. „Vielleicht werden ihr beim Anblick der Blümchen dann an diese Stunde zurückdenken.“

Fotos: Traudi Schlitt

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