Zum 150. Geburtstag von Prof. Dr. Eduard Edwin Becker ein Nachruf von Michael RudolfDer Mann, der Alsfelds Geschichte eine Ordnung gab
ALSFELD (ol) Wer immer sich mit der langen Geschichte Alsfeld beschäftigt, kann im Archiv nachlesen, wie das war damals, vor vielen Jahrhunderten. Es ist aber nicht selbstverständlich, dass es so eine Sammlung historischer Dokumente gibt. Sie muss angelegt und zugänglich gemacht werden. Prof. Dr. Eduard Edwin Becker hat das vor über 100 Jahren in Alsfeld getan. Zu seinem 150. Geburtstag ist es Zeit, diesen verdienten Sohn der Stadt zu würdigen, der in schwieriger Zeit Großes leistete.
Dem Nachruf auf Prof. Dr. Eduard Edwin Becker, der 1950 in den Mitteilungen des Geschichts- und Altertumsvereins (M. GAVA 8. R. 1950, Nr. 7, S. 1 – 3) erschienen ist, lässt sich auch aus heutiger Sicht beipflichten. Dort heißt es, dass Beckers Name und Person in der Geschichte der Stadt Alsfeld zu allen Zeiten genannt werden müsse. Wer war Prof. Dr. Eduard Edwin Becker (1874 – 1943), welchen Tätigkeiten ging er nach und aus welchen Gründen ordneten ihn Zeitgenossen und Nachruf in die Reihe der wichtigsten örtlichen Persönlichkeiten ein?
Ein Blick in die Biographie
Dr. Becker wurde am 18. August 1874 in Darmstadt geboren, besuchte das dortige Ludwig-Georgs-Gymnasium und studierte nach seiner Reifeprüfung Theologie und Geschichte in Berlin, Greifswald und Gießen. Nach dem Besuch des Predigerseminars in Friedberg, der Militärdienstzeit und der Schlussprüfung erhielt er eine Pfarrassistenz in Zwingenberg a. d. Bergstraße. 1900 kam Becker nach Alsfeld, wurde Verwalter der ersten Pfarrei und promovierte in Gießen. Becker kehrte nach Alsfeld zurück und übernahm die zweite Pfarrstelle, die ihm 1904 übertragen wurde. Neben seiner dienstlichen Tätigkeit als Pfarrer war Becker bis 1914 ehrenamtlich als Archivar und Historiker für das Erschließen der Archivbestände und das Erforschen der ortseigenen Geschichte tätig.
Der Archivar und Bewahrer der Alsfelder Geschichte
Bevor sich Becker 1914 als Religionslehrer nach Offenbach versetzen ließ, die Berufung zum Professor erhielt und ab 1924 bis zur Pensionierung als Lehrer an der Ludwigs-Oberrealschule in Darmstadt tätig war, widmete er sich der Alsfelder Geschichte. Becker kann als „Gründer des heutigen Alsfelder Archivs“ bezeichnet werden. Das hiesige Archiv befand sich bis 1833 in der „Gerbkammer der Walpurgiskirche“. Als eine andere Unterbringung nötig wurde, brachten die Verantwortlichen einen Teil der Archivarien ins Rathaus, den anderen verkauften sie als „Makulatur“ an die Papier- und Tütenmacher. Als Becker das Verbliebene übernahm, stieß er auf einen von Dr. Ebel im Auftrag des Oberhessischen Geschichtsvereins geordneten Bestand alter Pergamente in einer Kiste.
Urkunden und Akten neu geordnet
Dr. Beckers Leistung besteht darin, dass er „die planmäßige Neuordnung des vorhandenen Urkunden- und Aktenmaterials in Angriff“ nahm, so der Nachruf. Es handelte sich um „556 Urkunden sowie um 60.000 bis 80.000 einzelne Akten in 205 Mappen“. Becker legte ein Verzeichnis und einen Zettelkatalog für die Urkunden an, woran sich das Anfertigen eines Findbuches anschloss, womit noch heute gearbeitet werden kann. Unserem Geburtstagskind war es wichtig, das „Archiv“ adäquat zu lagern und zugänglich zu machen. Die Stadtverwaltung richtete zwei Räume im Obergeschoss des Weinhauses ein, in denen der Bestand verwahrt wurde, bis ein Feuer zu Beginn des 20. Jahrhunderts Teile des Archivgutes vernichtete.
In Alsfeld wurde eine Wohnstraße nach Dr. Eduard Becker benannt. Foto: Michael Rudolf
Dr. Eduard Becker als Heimatforscher und Publizist
Was Dr. Becker auszeichnete, war sein Fleiß, seine Akribie, mit der er das geschichtliche Dunkel erhellte, und seine Fähigkeit, das Entdeckte und Erforschte angemessen, fundiert und interessant zu vermitteln. Beckers Arbeiten stießen auf reges Interesse, die Forscherpersönlichkeit wurde geschätzt. 1924 berief ihn die historische Kommission für Hessen und Waldeck zum Mitglied. Becker wurde die Schriftleitung zweier wissenschaftlicher Zeitschriften übertragen, die des „Archivs für hessische Geschichte“ und die der „Beiträge für hessische Kirchengeschichte“. Überdies sind die Mitteilungen des Alsfelder Geschichts- und Altertumsvereins für eine geraume Zeit unter seiner Verantwortung erschienen, wodurch der Gründer des örtlichen Archivs durch sein langjähriges Wirken bis heute eine wichtige „Quelle“ für die Beschäftigung mit der Alsfelder Geschichte ist.
Die „Alsfelder Chroniken des 17. Jahrhunderts“
Im Nachruf wird gewürdigt, dass Beckers Tun verdienstvoll sei, insbesondere durch den Abdruck der „Alsfelder Chroniken des 17. Jahrhunderts“, da der wertvolle Inhalt der Nachwelt erhalten bliebe. Die Durchsicht seiner Publikationen zeigt dessen Leistung, wobei die Vielfalt der Themen auffällt. Unter Beckers Publikationen finden sich mediengeschichtliche Beiträge genauso wie Veröffentlichungen zur Personen-, Familien-, Industrie, Sozial- und Mentalitätsgeschichte oder Arbeiten zu Regesten, Urkunden und Akten. Er dachte mit der Publikation eines Stadt- und Museumsführers sogar an die aktuelle Spurensuche vor Ort. Ein Beitrag über den Jubilar wäre unvollständig, würden abschließend nicht die mit dem „Historischen Verein für das Großherzogtum Hessen“ und dem „Geschichts- und Altertumsverein“ herausgegebenen „Alsfelder Bürgerlisten“ zu Beginn des 20. Jahrhunderts genannt, eine reiche Fundgrube für die Orts-, Berufs- und Familienforschung, in denen der Zeitraum von 1498 bis 1789 berücksichtigt ist.
Dass die Stadtväter Prof. Dr. Eduard Edwin Becker, der 1943 verstarb, mit der Benennung einer Straße nach ihm ein würdiges Denkmal setzten, ist ob seiner Verbundenheit mit Alsfeld und seiner Leistung auf historischem Gebiet mehr als angemessen.
von Michael Rudolf
Schreibe einen Kommentar
Bitte logge Dich ein, um als registrierter Leser zu kommentieren.
Einloggen Anonym kommentieren