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Lob für die Leistung und Forderung nach strukturellen VerbesserungenSommerreise 2023: Vorstandsvorsitzender der Diakonie Hessen Carsten Tag besuchte La Strada

ALSFELD (ol). Der Vorstandsvorsitzende der Diakonie Hessen, Carsten Tag, besuchte die diakonische Einrichtung „La Strada“ und aussichtsreiche Politiker, um auf die steigende Armut in Hessen aufmerksam zu machen. Er und die Vertreter der Kirche betonten die Notwendigkeit struktureller Verbesserungen, wie eine Förderung des sozialen Wohnungsbaus und eine Belebung des zweiten Arbeitsmarktes, sowie eine Reduzierung der Bürokratie, um die Situation der Betroffenen wirksam zu verbessern.

 „Wir sind hier auf der untersten Stufe des sozialen Netzes.“ Mit diesen Worten begrüßte Andreas Wiedenhöft laut einer Pressemitteilung vor wenigen Tagen eine ganze Reihe prominenter Gäste in dem Gebäude der Wohnungsnotfallhilfe „La Strada“ in Alsfeld. Der Sozialpädagoge ist dort Bereichsleiter, und da es sich bei La Strada um eine diakonische Einrichtung handelt, lag diese auf der diesjährigen Sommerreise des Vorstandsvorsitzenden der Diakonie Hessen Carsten Tag. Ihm angeschlossen hatten sich die Politiker Maximilian Ziegler (SPD), Mario Döweling (FDP) und Matthias Riedl (Die Linke). Vom Evangelischen Dekanat nahmen Dekanin Dr. Dorette Seibert, die auch stellvertretende Vorsitzende des Aufsichtsrates der Diakonie Hessen ist, Dr. Carolin Braatz, Referentin für Gesellschaftliche Verantwortung und Ökumene, sowie Holger Schäddel, Diakon und Sozialpädagoge, an dem informativen Nachmittag teil.

Während eines Rundgangs über das Gelände erfuhren die Besucher zunächst einiges über die Einrichtung selbst: An vierundzwanzig Stunden am Tag ist sie an sieben Tagen in der Woche geöffnet, um Menschen in akuten Notlagen aufzunehmen. Die Kapazität von vierzehn Plätzen im Übergangswohnheim kann bei Bedarf flexibel erweitert werden: „Es ist uns wichtig, niemanden abzuweisen, sondern im Anschluss an die Aufnahmen mit jeder einzelnen Person einen Weg zu finden, wie es weitergehen kann“, sagte Wiedenhöft, der die Menschen nach einer gewissen Zeit ins von La Strada betreute Wohnen überführt, anderen Einrichtungen zuweist oder sie auch wieder ziehen lässt. Derzeit seien 75 Menschen bei La Strada in Betreuung, führte der Bereichsleiter auf, manche erst seit wenigen Tagen, andere seit Jahren, wieder andere zum wiederholten Mal. „Wir machen Angebote, aber wir wissen, dass wir viele Probleme der Menschen, die zu uns kommen, nicht lösen können.“ Zu komplex seien die Lagen: Drogen, psychische Probleme, das Unvermögen, einen „bürgerlichen“ Tagesablauf zu gestalten. Wiedenhöft und seinem Team, die sogar während der Pandemie ihre Einrichtung geöffnet hielten, ist kaum ein menschliches Schicksal fremd. Dennoch gelingt es ihnen, sich für ihre herausfordernde Arbeit mit Menschen in schweren Notlagen und problematischen Zuständen gemeinsam zu motivieren, wie Wiedenhöft darlegte. La Strada, so der Bereichsleiter weiter, sei seit der Gründung vor mehr als dreißig Jahren immer noch eines der wenigen Häuser, das Paare und auch Tiere mitaufnimmt.

Carsten Tag zollte ihm und allen Mitarbeitenden bei La Strada großen Respekt und dankte ihnen für ihre außergewöhnliche, engagierte Arbeit. „Armutspolitik ist ein wichtiger Bereich in der Diakonie“, führte der Vorstandsvorsitzende aus und verwies auf einen aktuellen Armutsbericht, nach dem die Armut in Hessen im vergangen Jahr gestiegen ist: „Mit einer Armutsquote von mehr als 18 Prozent nimmt Hessen im Vergleich mit anderen Bundesländern einen sehr schlechten Platz ein.“

Dass die Armut wächst, kann auch Andreas Wiedenhöft bestätigen: Die Zahl der Notleidenden, die seine Einrichtung aufsuchen, steige. Auch der Anteil der Frauen werde größer. Als Gründe dafür machte er fehlenden Wohnraum, hohe Mieten, Verarmung aufgrund von Niedriglohn und Zeitarbeit, sozialpolitische Strukturen bei Hartz IV und Bürgergeld, fehlende Beschäftigungsprogramme sowie eine teilweise große Liberalität der Hilfesysteme aus. Er und Carsten Tag waren sich – wie letztlich auch die Vertreter der Politik – einig, dass der Gesetzgeber für strukturelle Verbesserungen sorgen muss: „Hilfe im akuten Notfall ist das eine, eine notwendige Verbesserung der Situation das andere“, betonte der Vorstandsvorsitzende. Als konkrete Maßnahmen sahen er und die Vertreter der Kirche eine Förderung des sozialen Wohnungsbaus und eine Belebung des zweiten Arbeitsmarktes: „Aus staatlichen Mitteln geförderte Arbeit ist für die Menschen allemal besser als ohne Tagesstruktur, ohne Kollegen und ohne das Gefühl etwas getan zu haben, Bürgergeld zu bekommen“, betonte Dorette Seibert.

Im Lauf eines sehr angeregten Gesprächs stellte Wiedenhöft dar, wie Hilfe im Einzelfall organisiert sein könnte. Seine Botschaft: „Es gibt in Deutschland für jeden Fall eine Regelung, man muss sie nur finden und gemeinsam mit den mitwirkenden Akteuren für die Betroffenen nutzen. Und wir finden immer einen Weg.“ Dieser sei aber in der Regel von den Vorstellungen eines „bürgerlichen Happy Ends“ weit entfernt. Dazu liege bei den Hilfesuchenden viel zu lange viel zu viel im Argen. Funktionierende Netzwerke und ein großer Erfahrungsschatz seien das A und O, so der immer noch von seinem Arbeitsfeld begeistere Sozialarbeiter. Bilder, wie man sie aus einschlägigen Fernsehdokumentationen sehe, entsprächen keineswegs der Realität. „Wir telefonieren viel und wir füllen viele, viele, viele Formulare aus“, berichtete Wiedenhöft weiter. Neben strukturellen Verbesserungen könne er sich auch weniger Bürokratie vorstellen.

Auch die drei anwesenden Politiker zeigten großes Interesse und lobten die Arbeit des La-Strada-Teams. Viele der von den Beteiligten angesprochenen notwendigen Änderungen könnten jedoch nur auf Bundesebene angestoßen werden, hieß es. Carsten Tag appellierte dennoch an sie, ihr politisches Gewicht bei ihren Parteigenossen in Berlin einzubringen und vorzutragen, was sie an diesem Nachmittag in der Wohnungsnotfallhilfe gesehen haben.

Die Menschen so zu behandeln, dass sie sich geschützt und aufgehoben fühlen, sie nicht mit unnötigen Vorschriften zu gängeln, das Beste für sie und ihre Situation herauszuholen – dies zu tun werde man im La Strada trotz aller Herausforderungen nicht müde. Andreas Wiedenhöft: „Es ist eine Frage der Würde.“

Die Wohnungsnotfallhilfe La Strada finanziert sich zum größten Teil aus Mitteln der Landeswohlfahrt und des Vogelsbergkreises. Man kann ihre Arbeit und die Menschen vor Ort mit Sach- oder Geldspenden unterstützen. Mehr Informationen dazu gibt es unter https://diakonie-vogelsberg.de/unsere-angebote/wohnungsnotfallhilfe-la-strada.

Fotos: Schlitt

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