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Was Vogelsberger Schüler am Schulsystem verändern würdenZeit für Veränderung

VOGELSBERG (lmg). Kreative Lernleistungen anstatt Klausuren, selbst entscheiden, welche Kurse man belegt und Steuererklärung als neues Fach: Vogelsberger Schüler wünschen sich vor dem Start des neuen Schuljahres Veränderungen im Schulsystem. Wie die aussehen können lesen Sie hier.

Die Sommerferien sind fast vorbei, in einigen Tagen geht es zurück auf die Schulbank und dort ist alles so, wie es noch vor sechs Wochen war – oder etwa nicht? Für die Achtklässler der Geschwister-Scholl-Schule in Alsfeld wird das nach dem Sommerferien nicht der Fall sein, denn auf die Schülerinnen und Schüler wartet eine Veränderung: Jeden Mittwoch können die Realschüler dort ihren Unterrichtsstoff nach dem „Lustprinzip“ frei gestalten – jedenfalls in Musik, Kunst, Erdkunde und Sport.

In diesen Fächern können sie sich den Unterrichtsstoff in dem Pilotprojekt nach Belieben erarbeiten und auch die Leistungsnachweise können die Schüler dann erbringen, wenn sie so weit sind. Ganz ohne Klausuren und Noten geht es dann aber nicht und trotzdem wird sich Schule an der GSS im kommenden Schuljahr ziemlich ändern.

Kann das Schulmodell der GSS ein Beispiel für den Unterricht der Zukunft sein? Was würden Vogelsberger Schüler am Schulsystem am liebsten verändern? OL-Praktikantin Lynn Gröger hat nachgefragt.

Die 19-Jährige Ronja T. aus Niederaula hat dieses Jahr ihr Abitur gemacht. Bereits während ihrer Schulzeit hat sie sich viel mit dem Thema „Schule und Schulsystem“ auseinander gesetzt, erzählt sie. „In der Q3 war Schule ein Oberthema meines Leistungskurses, da ist mir erstmal aufgefallen wie problematisch das ganze Thema eigentlich ist“, erklärt Ronja. Aus ihrer Sicht würden die meisten Schüler falsch unterrichtet werden. Sie müssen mehr in ihren eigenen Stärken gefördert werden und sollten ihren Interessen nachgehen können.

Die 19-Jährige schlägt vor, bereits frühzeitig Unterrichtsmodule wählen zu können, in denen die Schüler die Fächer wählen, die ihnen Spaß machen. „Natürlich müssen bestimmte Fächer wie Mathe oder Deutsch auch unterrichtet werden, die könnte man dann nicht abwählen“, sagt sie. Dafür könnte man hier zwischen Anfänger- und Fortgeschrittenen-Kursen wählen, um gezielter auf die Bedürfnisse der Schüler einzugehen.

Viele Probleme die oftmals Übersehen werden

Auch die 18-Jährige Miriam S. aus Alsfeld hat dieses Jahr ihr Abitur bestanden. Erst vor knapp einem Jahr ist die 18-Jährige aus Nordrhein-Westfalen nach hessen gezogen und hatte Schwierigkeiten in den Schulstoff zu kommen. „Da jedes Bundesland einen eigenen Lehrplan hat war es sehr schwer, mich hier einzugewöhnen. In Deutsch hatten wir beispielsweise ganz andere Lektüren. Da hatte ich nochmal eine große Menge Arbeit vor mir“, so die 18-Jährige.

Miriam kritisiert den nicht einheitlichen Lehrplan in Deutschland. Ihrer Meinung nach sollte jedes Bundesland den gleichen Lehrplan haben und auch jeder die gleichen Abschlussprüfungen schreiben. „Das wäre doch nur gerecht. Dann ist es auch egal, ob man sein Abi in Bayern oder in Hamburg gemacht hat, jeder hätte dabei die gleichen Voraussetzungen.“

Anna K. ist 20 Jahre alt und hat vor wenigen Monaten die Schule mit dem Abitur beendet. Auch sie hat einige Punkt die sie gerne am Schulsystem ändern würde. Ein wichtiger Punkt der Anna stört ist der hohe Arbeitsdruck. „Man lernt für eine Klausur und muss parallel schon anfangen Lernzettel für das nächste Fach zu schreiben“, sagt sie. Zwei bis drei Klausuren in einer Woche, Präsentationen vorstellen und bis 17 Uhr in der Schule gehen, seien für sie, wie für viele andere Schüler auch, viele Jahre lang normaler Alltag gewesen.

Die20-Jährige findet es sehr fragwürdig und versteht nicht wie man es schaffen sollte, so viel Leistung in einer so kurzen Zeit zu erbringen. Sie schlägt vor, Klausuren durch andere Lernleistungen zu ersetzen. „In so vielen Fächern hätte man die Möglichkeit statt einer Arbeit etwas anderes als kreative Lernleistung zu erbringen. In PoWi haben wir beispielsweise mal ein Erklärvideo zu den Wahlen in Deutschland gemacht. Klar ist es auch ein gewisser Arbeitsaufwand, dieser ist dabei aber deutlich entspannter und spaßiger und einem wird auch zusätzlich der Druck genommen“, erklärt sie.

Lena R. ist ebenfalls 20 Jahre alt und macht derzeit eine Ausbildung zur Sozialassistentin in Lauterbach, wobei sie fünf Tage die Woche die Berufsschule besucht. „Erst hier hab ich gelernt wie ich richtig koche“, sagt sie- Die 20-Jährige wünscht sich, dass alltägliche Dinge wie Kochen, Wäsche waschen, Steuern oder der richtige Umgang mit Geld mehr thematisiert werden. „Niemand kann von einem Jugendlichen erwarten, dass er direkt weiß, wie man eine Versicherung abschließt oder wie man sich alleine um den Haushalt kümmert“, sagt sie. Zusätzlich hätte man bei solchen Fächern auch einen Praxisbezug.

Fächer wie Kunst, Musik oder Sport sollten auch wieder mehr an Bedeutung gewinnen und als Wahlpflichtkurse angeboten werden. „Diese Fächer dienen der Kreativität und der eigenen Persönlichkeitsentwicklung. Viele vernachlässigen das“, findet die junge Frau. Dabei ist ihr wichtig, dass diese Fächer nicht benotet werden. „Nicht jeder kann malen oder Fußball spielen. Bei den Fächern geht es rein um das kreative Arbeiten und um den Spaß dabei. Wenn man ein Bild gemalt hat und total stolz darauf ist, warum sollte ein Kunstlehrer, der einen anderen Geschmack hat, dieses Bild dann bewerten. Das demotiviert Schüler und nimmt ihnen jegliche Motivation sich kreativ weiter zu entwickeln.“

„Es fehlt die nötige Unterstützung“

Ähnlich sieht das auch die 17-Jährige Schülerin Theresa G. aus Ulrichstein. „Damals habe ich mich immer auf den Kunstunterricht gefreut. Als wir dann aber eine neue Lehrerin bekamen hatte ich statt meiner 1 im Zeugnis nur noch eine 3 bis 4“, sagt Theresa. Wenn es nach ihr geht, sollte es in diesen Fächern keine Benotung geben, weil der persönliche Geschmack hier eine große Rolle spielt.

Stattdessen sollten Lehrer versuchen, die Schüler zu unterstützen, die sei nämlich in den vergangenen Jahren zu kurz gekommen. „Besonders in der Corona-Zeit habe ich mich von meinen Lehrkräften sehr alleine gelassen gefühlt. Kaum ein Lehrer kannte sich mit Teams und Co. aus“, sagt sie. In dieser Zeit habe sie sich eine besseren Austausch zwischen Schülern und Lehren gewünscht.

Das bestätigen auch Elias und Paul. Beide sind 15 Jahre alt und Teil einer iPad-Klasse. Auch sie berichten, dass ihnen während der Corona Pandemie viel Unterstützung von ihren Lehrkräfte gefehlt habe. Obwohl sie tagtäglich alle gemeinsam in der Schule mit ihren iPads gearbeitet haben, kam es im Homeschooling dann doch zu einigen Komplikationen.

„Ein Klassenkamerad hat nie seine Aufgaben gemacht, er hat immer nur leere Dokumente verschickt. Erst drei Monate später ist es unserem Lehrer aufgefallen. Auch unserer Englischlehrerin haben wir immer unsere Aufgaben schicken müssen, diese kamen dann immer mit einem „Gut gemacht“ zurück obwohl total viele Fehler drin waren.“ Insgesamt wünschen sie sich eine ausgewogenere und nachvollziehbarere Kritik an ihren Leistungen.

Die Vogelsberger Schüler haben also verschiedene Verbesserungsvorschläge, doch bei zwei Punkten sind sie sich einig: Mehr Freiraum und individuellere Unterstützung. Vielleicht dient die GSS in Zukunft mit ihrem neuen Modell als Beispiel für viele andere Schulen.

2 Gedanken zu “Zeit für Veränderung

  1. „Steuererklärung als neues Fach“ <-wem soll das nutzen? Damit lassen sich nur "normale" Fälle abdecken – alles was spezieller wird kann hier gar nicht behandelt werden. Sinnvoller wäre ein Fach "Finanzen" in dem der Umgang mit Geld generell, Wertanlagen, mögliche Fehler, Haushaltsführung etc. bespreochen wird – das – beneidenswert komplizierte – Steuersystem mal erwähnt wird und vielleicht auch mal eine Mustererklärung gezeigt wird. Alles andere kann dort gar nicht aufgefangen werden.

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    1. Also zu meiner Schulzeit (Schülerbewegung der späten 1960er Jahre) sind den Jugendlichen aber noch spannendere „Schulreformen“ eingefallen. Die gute alte Unterrichtsdisziplin wurde radikal in Frage gestellt, und der „Jugendoffizier“ von der Bundeswehr warb vergeblich um „freiwillige“ Offiziersanwärter. Und natürlich wurden spezielle Räume zum Rauchen und zur „sexuellen Selbstverwirklichung“ eingefordert. Schülerzeitungen waren revolutionäre Pamphlete, so dass ihr Vertrieb auf dem Schulgelände verboten wurde. Und das „Go-In“ beim Direktor oder im (verrauchten) Lehrerzimmer musste manchenorts durch massive Polizeikräfte aufgelöst werden.
      „Das Kapital“ von Karl Marx forderte man als Schullektüre. Und heute? Da reicht den jungen Leuten schon ein Kurs zur Anfertigung einer Steuererklärung?

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