KOLUMNE des Vermögensmanagers Ralf ScheuerJahresausblick 2021 – sind Aktien jetzt zu teuer?
ALSFELD (ol). Noch wenige Wochen und ein außergewöhnliches Jahr 2020 neigt sich dem Ende zu. In der letzten Kolumne für 2020 wirft Ralf Scheuer, Vermögensmanager bei Aurum Vermögensmanagement, einen Blick auf das kommende Jahr. Die Kolumne im Wortlaut.
Hinter uns liegen weltweite Corona-Lockdowns mit teilweise leergekauften Supermarktregalen, schwelende politische Spannungen zwischen China und den USA, die US-Präsidentschaftswahl mit knappem Ausgang in einem tief gespaltenen Land, ein für die globalen Wirtschaftsmachtverhältnisse sehr bedeutsames asiatisches Freihandelsabkommen, hohe Börsenschwankungen und zum Jahresabschluss ein Impfstoff als Hoffnungsträger.
Wer hätte vor gut einem Jahr gedacht, was uns in den folgenden zwölf Monaten mit all seinen Auswirkungen auf Wirtschaft, Kapitalmarkt und Gesellschaft erwartet? Und wer hätte im März damit gerechnet, dass der DAX sich von seinen Tiefstständen wieder auf die Vorjahreshochs erholt während der US-Aktienmarkt sogar neue historische Hochs erklimmt?
Der Monat der Prognosen
Der Dezember ist traditionell der Monat der Prognosen für das folgende Jahr. Namhafte Banken und Investmenthäuser versuchen anhand eigener Bewertungsmodelle die Zukunft zu antizipieren und veröffentlichen ihre von den Medien gerne aufgegriffenen Studien. Diese entstehen natürlich auf Grundlage von unterschiedlichen Schätzungen, so dass die ausgerufenen Kursziele sich stark voneinander unterscheiden.
Am Jahresende wird dann doch vermutlich wieder alles anders kommen als zuvor gedacht. Denn: „Prognosen sind schwierig, besonders wenn Sie die Zukunft betreffen“ (Mark Twain). Auch wenn der Blick in die Glaskugel stets mit Vorsicht zu genießen ist, so ermöglicht er, losgelöst von konkreten Kurszielprognosen, zumindest eine Orientierung über die wichtigsten Einflussfaktoren und wahrscheinlichsten Tendenzen. Hierbei ist ebenso der Vergleich unterschiedlicher Anlageklassen ratsam, etwa bei der Beantwortung der Frage, ob der Aktienmarkt nicht schon viel zu teuer bewertet ist. Ob eine Investition vergleichsweise teuer oder preiswert ist, lässt sich vereinfacht durch das Verhältnis des erwarteten Jahresgewinns zum aktuellen Kaufpreis ermitteln:
- Beim Erwerb einer Mietwohnung in Frankfurt/Main zum Kaufkurs von 500.000 Euro ergibt sich demnach bei einer Jahresmiete von 15.000 Euro (Mietrendite drei Prozent) ein Kursgewinnverhältnis (KGV) von 33,33. Ein Käufer würde also nach circa 33 Jahren seinen Kaufpreis in Form der Mieteinnahmen zurückerhalten.
- Beim Kauf einer DAX-Aktie ergibt sich derzeit auf Basis unserer Gewinnschätzungen für das Jahr 2021 ein durchschnittliches KGV von 15 bis 16 (Gewinnrendite 6,4 Prozent), so dass anhand der Gewinne des Unternehmens der Aktienkaufpreis nach rund 16 Jahren an den Aktionär zurückgeflossen wäre.
- Der Käufer einer (vermeintlich sicheren) Bundesanleihe erleidet derzeit bei einer Rendite von minus 0,58 Prozent sogar einen Verlust, so dass diese Investition ökonomisch nachteilig ist.
Das Beispiel zeigt anhand aktueller Zahlen, dass Aktien im Vergleich zu Immobilien und Anleihen relativ preiswert sind und aus heutiger Sicht für den längerfristig orientierten Investor das beste Verhältnis zwischen Chancen und Risiken bieten.
Kritiker könnten zu Recht einwenden, dass sich die Bewertungen im historischen Vergleich über die allermeisten Anlageformen deutlich verteuert haben und über ihrem langjährigen Durchschnitt liegen, jedoch muss hierbei auch der zwischenzeitlich massive Rückgang des Zinsniveaus (als Preis des Geldes) berücksichtig werden. Hier gilt anhand finanzmathematischer Bewertungsmethoden, dass bei fallendem Zinsniveau der heutige Wert einer Investition anhand ihrer künftig zufließenden Einnahmen (Gewinne) deutlich steigt.
Solange also das Zinsniveau weiterhin niedrig bleibt, darf auch der Preis für Investitionen wie Aktien oder Immobilien höher ausfallen, ohne dass eine Überbewertung vorliegen muss. Aufgrund der hohen Schuldenlast vieler Staaten und Unternehmen ist es sehr wahrscheinlich, dass die Zentralbanken zur Stabilisierung des Finanzsystems für lange Zeit bestrebt sein werden (beziehungsweise sein müssen), die Zinsen ungefähr auf dem gegenwärtigen Niveau zu halten, flankiert durch weiteres Gelddrucken, etwa in Form der Fortsetzung von Wertpapierankaufprogrammen.
Hauptfaktoren, die für Aktienanlagen sprechen
Das extrem niedrige Zinsniveau, die immens hohe nachfragewirksame Liquidität, der Mangel an sicheren Anlagealternativen sowie die Aussicht auf eine impfstoffbedingte Entspannung des Pandemiegeschehens sind also die Hauptfaktoren, die auch im kommenden Jahr, trotz allgemein hoher Bewertungen, für Aktienanlagen sprechen. Von einer Fortsetzung dieser Entwicklung dürften insbesondere fair bewertete Unternehmen profitieren, die mit einem stabilen und zukunftsfähigen Geschäftsmodell, gut prognostizierbaren Gewinnen, einer soliden Bilanz sowie einem „einmaligen“ Produkt in einem attraktiven Markt agieren.
Besonders aussichtsreich erscheinen vor diesem Hintergrund die Branchen Pharma & Healthcare, (digitale) Infrastruktur, Technologie, Internet, E-Commerce, erneuerbare Energien & Clean-Tech sowie im Zuge seiner sich aufhellenden konjunkturellen Stimmung ausgewählte klassische Zykliker aus Industrie und Chemie.
Den vorgenannten Chancen stehen getreu dem Motto „there is no free lunch“ natürlich auch Risiken gegenüber, zum Beispiel einer Verschlimmerung der Pandemie und neue Lock-Downs (etwa ausgelöst durch Virusmutationen und einen wirkungslosen Impfstoff), Pleitewellen, geopolitische Spannungen oder ein vollkommen unerwartetes Ereignis in Form eines sog. schwarzen Schwans. Eins ist sicher: Mr. Market wird mit seinen Stimmungsschwankungen zwischen Gier und Angst auch im kommenden Jahr für genügend Abwechslung sorgen.
Anleger sollten daher nicht nur bei ihren Aktieninvestments eine ausgewogene Auswahl treffen, sondern daneben ebenfalls Immobilien und Edelmetalle wohl gewichten sowie entsprechende Liquiditätsreserven, etwa zum dosierten Nachkauf bei vorübergehenden Angstzuständen von Mr. Market, nicht vergessen.
Disclaimer: Der obige Marktkommentar gilt nicht als Finanzanalyse i.S.d. § 34 b WpHG und spiegelt lediglich die Meinung des Verfassers wider. -Insbesondere stellt der Marktkommentar weder eine Anlageberatung noch eine Aufforderung zum Erwerb oder zur Veräußerung von Finanzinstrumenten dar. Er dient ausschließlich zu Informationszwecken.
Anmerkung der Redaktion: Die Kolumne spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung von Oberhesssen-Live wider.
Der Verfasser und redaktionell Verantwortliche ist: Aurum Vermögensmanagement GmbH, Ralf Scheuer, Bürgermeister-Haas-Str. 5, 36304 Alsfeld
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