VideoGesellschaft9

Im Interview mit Prof. Dr. Gerald Lembke zur Digitalisierung in der Corona-KriseDie Chancen und Risiken der Corona-Digitalisierung

ALSFELD/REGION. Seit Jahren ist die Digitalisierung ein Dauerthema in Politik und Wirtschaft. Nun wirkt die Corona-Krise als Katalysator des digitalen Fortschritts: Kleinere Unternehmen mussten sich mit Home-Office auseinander setzen, Schulunterricht fand über Videochats statt und die Freunde traf man per Skype. Im Interview mit dem Experten für Digitalisierung, Prof. Dr. Gerald Lembke, sprechen wir über Chancen, Risiken und über Tipps, wie man sich digital durch die Krise manövriert. 

Unser Gast

Der Betriebswirt Prof. Dr. Gerald Lembke gilt in der Medienbranche als Experte für den Umgang mit digitalen und sozialen Medien. In den letzten 25 Jahren wirkte er an über 1.000 Digitalprojekten mit und ist seit 2009 Studiengangsleiter für Betriebswirtschaftslehre und Medienmanagement an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Mannheim. 2020 wurde er vom ERFOLGmagazin zu einem der 500 wichtigsten Köpfe der Erfolgswelt ernannt.

9 Gedanken zu “Die Chancen und Risiken der Corona-Digitalisierung

  1. „Corona-Digitalisierung“? Was soll das sein? Wie wir aus dem Gespräch erfahren, gab es rund um Wirtschaft 2.0 bereits lange vor Corona erhebliche Defizite. Und nicht nur die Politik hat sich – etwa beim Ausbau schneller Datennetze als Infrastruktur-Aufgabe – erstaunlich viel Zeit gelassen. Auch seitens der Wirtschaft wurde nicht gerade gedrängt. So heißt es in einem Zeitungs-Artikel aus dem Jahr 2015: „Der digitale Umbruch bringt die deutsche Wirtschaft unter Zugzwang: Geschäftsmodelle und Produktionsprozesse müssen teilweise umgekrempelt werden. Doch vor allem Mittelständler reagieren noch behäbig auf die Herausforderungen, mahnen Experten. Dabei ist Eile geboten, um den Anschluss nicht zu verpassen.“ – Quelle: https://www.shz.de/9173406 ©2020
    In der Pandemie-Krise hätte man auf entwickelte Netzstrukturen, Home-Office, E-Learning, Tele-Medizin und, und, und dann schon zurückgreifen können. Es wären vielleicht die Benachteiligungen der in Armut lebenden Kinder und Jugendlichen, von denen aktuell die Rede ist, gerade im Hinblick auf die Teilhabe an digitalisierten Lehr- und Lernangeboten (https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/themen/aktuelle-meldungen/2020/juli/kinderarmut-eine-unbearbeitete-grossbaustelle) bereits ein Stück weit abgebaut gewesen, ehe man sich angesichts des schulischen Lockdowns Knall auf Fall in Maßnahmen des Home-Schooling stürzte. Auch die Kinderarmut ist ein Problem, das lange vor Corona ungelöst geblieben war, obwohl die Regierung den Vorwurf, hier nicht genug getan zu haben, gebetsmühlenartig zurückwies. Ursache des jahrelangen Aneinander-Vorbeiredens von Politik und Experten ist die eher formale Betrachtung der Kinder- und Jugendarmut am Maßstab der relativen Einkommensarmut, die sich kaum eignet, um die erheblichen Folgen prekärer Lebensumstände für Wohlbefinden, Aufwachsen, Bildung und Zukunftschancen der Betroffenen abzubilden. Diese treten nicht erst bei Grundsicherungsbezug oder einem Familieneinkommen unterhalb von 60% des Durchschnittseinkommens ein.
    Nun also wird nach den zusätzlichen Risiken infolge Corona, aber auch nach vermeintlich sich auftuenden „neuen Chancen“ gefragt.
    Bei den Risiken ist die Sache weitgehend klar: Die durch Corona ausgelöste Wirtschaftskrise führt zu einem deutlichen Armutsanstieg. Sichtbare Zeichen sind die Einbrüche bei Minijobs, Teilzeitjobs, irregulärer Beschäftigung usw., auf die Eltern benachteiligter Kinder häufig angewiesen sind. Insbesondere allein erziehende Mütter sind unter den Ersten, die ihre Arbeit verlieren, die wenig oder überhaupt kein Kurzarbeitergeld erhalten. Als „Chancen“ sehen Experten die Schärfung des Blicks auf die konkreten Probleme der Betroffenen und die Entwicklung des politischen Willens zu strukturellen Änderungen. Aber damit sind ja nicht einmal die Weichen gestellt. Angesichts der massiven Neuverschuldung im Rahmen der wirtschaftlichen Aufbaumaßnahmen innerhalb der EU steht zu befürchten,
    dass die Bekämpfung der Kinderarmut sich weiterhin auf „Feuerlöscharbeiten“ ohne nachhaltige Verbesserungen beschränkt.
    In dem obigen Interview wird zwar nach „Chancen und Risiken“ gefragt, doch sind die notwendigen gesellschaftspolitischen Maßnahmen unter einem Begriff wie „Corona-Digitalisierung“ nur schwer zu fassen. Es geht nicht nur um Unternehmensberatung, Risikobereitschaft und digitale Strategien. Und deshalb wäre es notwendig gewesen, dass der Moderator die Antworten des Talk-Gastes stärker hinterfragt hätte, anstatt nur Stichwortgeber für dessen Lieblingsthemen zu sein.

    11
    1
  2. Die Schule sollte das Lernen ,Lernen, und das ist viel mehr als digitale Fitness.

    1. Vor allem sollte die Schule das Lernen L-E-H-R-E-N ! Und hierzu gehören eine ganze Reihe unterschiedlicher Fähigkeiten, Fertigkeiten und (Kultur-)Techniken, angefangen von der Beherrschung der Sprache in Wort und Schrift, der Aneignung, Analyse und Deutung von Texten und Textzusammenhängen, des Gebrauchs von Dokumentationsverfahren, verschiedenen Darstellungsformen, des Mediengebrauchs u.v.a.m. Digitale Fitness gehört heute dazu, sonst kann man sich viele Inhalte gar nicht mehr erschließen bzw. geht man unter im Überangebot von Informationen.
      Die Digitalisierung hat das Lernen zudem unendlich viel effektiver und schneller gemacht. Als ich Ende der 1960er Jahre das Studium in Marburg aufnahm, wurden Texte noch im Spiritus-Umdruck-Verfahren (einer Weiterentwicklung des Kartoffeldrucks auf Kartoffelschnaps-Basis!) vervielfältigt und wissenschaftliche Arbeiten mit mechanischen Schreibmaschinen im Zwei-Finger-System hergestellt, wobei Tippfehler mit „Tipp-Ex“ übermalt oder mit Korrekturband überklebt und dann erneut beschrieben werden mussten. Ich habe Jahre meines Lebens mit dem Exzerpieren von Büchern und dem Übertragen von Textzitaten auf Karteikarten verschwendet, ehe mit dem Laser-Kopierer und dem Copy&Paste am PC die technische Revolution Einzug hielt. Hätte es all dies schon damals gegeben, wäre ich sicherlich Nobelpreisträger und Stifter einer nur aus selbst verfassten Werken bestehenden eigenen Bibliothek geworden. So aber blieb mein Lebenswerk unvollendet und füllt heute Archivräume, in denen Papierfischchen und Bücherläuse fröhliche Brotzeiten veranstalten. Ein Trauerspiel!

    2. Digitale Fitness ist ja nicht nur ein Erfordernis für Schüler*innen, also Kinder und Jugendliche, sondern auch für die ältere Generation. Dies gerade unter Lockdown-Bedingungen, wo gerade die Betagten in den Pflegeeinrichtungen oft nur über digitale Medien mit ihrer Verwandschaft noch in Kontakt bleiben oder alle möglichen Apps zur Information nutzen konnten.
      Wie ich einem Bericht von WDR5 entnehme, hat Corona gerade bei der älteren Generation einen starken Schub ausgelöst, sich endlich mal mit Themen wie iPhone, Tablet, Webinar usw. zu beschäftigen.

  3. dass der Herr Professor schon viele Bücher zum Thema Digitalisierung und ihren Folgen geschrieben hat, aus denen er sich dann auch gerne selbst zitiert. Vor allem aber schmeißt er deren Themen wild durcheinander bzw. springt die Moderation von einem zum anderen, ohne die notwendigen Abgrenzungen vorzunehmen. So entsteht der Eindruck, als gäbe es keine ausreichenden Konzepte zur Vermittlung von Medienkompetenz in der Schule (https://www.medienundsozialpaedagogik.ch/public/Dokumente/07_medienundsozialpaedagogik/fachinhalte/Definition_Medienkompetenz.pdf) beziehungsweise, hiervon abzugrenzen, für den Einsatz digitaler Medien in der Berufswelt.
    So entsteht der Eindruck, dass der suchtartige iPhone- oder Computer-Dauermissbrauch irgendwelcher autistischen Gamer-Kids sich ähnlich negativ auswirke wie die regelmäßige Nutzung von Internet, Lernprogrammen oder Programmierkenntnissen in kreativen Anwendungen, in deren Zusammenhang die Lernenden zugleich auch die Fähigkeit erwerben, Inhalte gezielt zu recherchieren, in Zusammenhängen zu denken und Medienquellen kritisch einzuschätzen.
    Ich beziehe mich insbesondere auf das Interview ab Zählerstand 13:30. Die Aussagen der BLIKK-Studie von 2017 zu den Auswirkungen übermäßigen Medienkonsums, die hier erwähnt werden, haben mit gezieltem Einsatz digitaler Medien im Rahmen von die Medienkompetenz bewusst aufbauenden Lernprozessen rein gar nichts zu tun!

    11
    1
    1. Dauergedaddel ist nicht so schädlich, wie viele das unterstellen. Zumindest sind dauerdaddelnde Gaming-Kids im Durchschnitt nicht fetter als die für das Deutsche Sportabzeichen trainierende Vergleichsgruppe, die sich dem Digital-Fasten verschrieben hat.

      7
      2
  4. wenn man Risikobereitschaft dann auch effektiv belohnte und den Wummps dann auch mal in die Richtung neue Geschäftsideen, Starthilfe für Startup-Unternehmen usw. lenkte und einmal nennenswerte Summen aus dem jetzt in Brüssel beschlossenen Billionen-Wiederaufbau-Programm auch tatsächlich in die Zukunft investierte! Dabei sollten sich nicht nur absolute Newcomer bewerben dürfen, sondern auch Gründer und Gründungen, die noch vor dem Lockdown gestartet waren, ihre Tauglichkeit bereits während einer mehrjährigen Anlaufzeit bewiesen hatten, aber dann durch ihre Zwangsschließung brutal abgewürgt wurden. Gerade in der Gastronomie gibt es zahlreiche Beispiele für mutige Gründer, die eine nachträgliche Unterstützung verdient hätten.

  5. Eine zentrale Fragestellung des Gesprächs war die Corona-Krise als Ausgangspunkt zukünftiger Innovationen in Wirtschaft und Gesellschaft. Hier entwickelt der Gesprächsgast aus Mannheim allerdings nicht gerade überzeugende Thesen.
    Ihm ist sicherlich zuzustimmen, dass sich notwendige Innovationsprozesse nicht automatisch vollziehen und nach Corona nur der erfolgreich sein werde, der sich durch besondere unternehmerische Qualitäten auszeichne. Risikobereitschaft spielt hier im Beratungsansatz des Digitalisierungsexperten eine ganz wesentliche Rolle. Wer sich ängstlich an herkömmliche Geschäftsmodelle klammere, laufe Gefahr, mit den überlebten Strukturen unter zu gehen. Andererseits warnt Prof. Lembke vor blindem Aktionismus und rät zu „digital-strategischem Denken“. Nur ergibt sich aus solchen Schlagworten kein konkretes Handlungskonzept, um sich als Unternehmer*in/Unternehmen in und nach der Pandemie-Krise und zumal in einer strukturschwachen Region wie dem Vogelsberg sicher zu behaupten. Hier gerät der „Berater“ doch schnell in seichtes Fahrwasser. Natürlich rät er dazu, sich rechtzeitig beraten zu lassen und jenseits des sicher geglaubten Hafens nach unternehmerischen Alternativen zu suchen. Davonlebt er schließlich selbst. Doch sein Fabulieren mit Beispielen vom Untergang der Titanic bleibt dann am Ende doch reichlich vage und beliebig. Möglich, dass damals mancher Schiffbrüchige sich zu lange an die Reling seines Luxusdampfers geklammert hat, statt anderweitige Rettungsmöglichkeiten zu suchen und dann eben – wie Prof. Lembke es explizit empfiehlt – auch einfach mal auf gut Glück ins tosende Meer zu springen. Doch was wäre das anderes als blinder Aktionismus, vor dem Lembke gleichzeitig warnt. Als strategisch Denkender hätte man dagegen einkalkuliert, dass die Titanik nur für 1100 Passagiere zugelassen, tatsächlich aber mit 2200 Fahrgästen heillos überbelegt war. Rettungsboote gab es dagegen nur für die reguläre Zahl der Passagiere. Und die in ausreichender Zahl vorhandenen Rettungswesten nutzte am Ende auch nichts, da jeder, der in die eiskalten Fluten sprang, innerhalb weniger Minuten erfror, noch bevor er im günstigsten Fall durch ein Rettungsboot aufgefischt worden wäre. Also Augen auf bei der Auswahl von Krisen-Beratern und ihren allzu forschen Beispielen unternehmerischer Risikobereitschaft.
    Vollends abenteuerlich wird es dann angesichts der von Lembke befürchteten Folgen eines nicht rechtzeitigen „Umswitchens“ auf die neuen Anforderungen der digitalen Arbeitsorganisation, die bereits vor Corona verschlafen worden sei. Da sieht er dann große Massen in „Nichtarbeit“, die durch ein bedingungsloses Grundeinkommen versorgt werden müssten, während auf der anderen Seite nur noch wenige Branchen und Hightech-Unternehmen überlebten, in denen dann „die Intelligenz“ (nach seinen Berechnungen ca. 10-15.000 Hochqualifizierte) arbeite, während der Rest der Bevölkerung subventioniert werden müsse und damit weitgehend ihren Einfluss verliere auf die „politische und ökonomische Entfaltung“ (whatever this is). An dieser Stelle verspielt Prof. Lembke nun allerdings endgültig seinen Ruf als enst zu nehmender Prognostiker. Gerade erst hat uns Corona gelehrt, wie viele systemrelevante Berufe es unterhalb der im Hightech-Bereich arbeitenden geistigen Elite gibt. Auf deren Können und Einsatzbereitschaft wird diese Gesellschaft weiterhin angewiesen bleiben. Und natürlich geht den Beziehern eines bedingungslosen Grundeinkommens, also im Grunde jedem einzelnen von uns, nicht der politische Einfluss oder die gesellschaftliche Teilhabe verloren, sondern er bleibt eingebunden in einen breiten Prozess der Aufteilung gesellschaftlich notwendiger Arbeit (bezahlt, geringfügig entlohnt oder ehrenamtlich), sei es im Bereich sozialer Dienstleistungen, bei der ökologischen Nahrungsmittelproduktion oder wo auch immer.

    15
    2
  6. Ein gut moderiertes Gespräch mit einem hochkompetenten Gesprächspartner! Wer in die mediendidaktische Literatur gut eingearbeitet ist, konnte hier sicherlich gut folgen und fand wesentliche Positionen einer ganzheitlichen Entwicklungs- und Lernpsychologie anschaulich bestätigt. Fazit: Digitale Fitness als notwendige Kernkompetenz in der zukünftigen Berufswelt beruht auf individuellen Eigenschaften und kreativen Fähigkeiten, die nicht durch besonders frühe Digitalisierung schulischer Lernprozesse erworben werden, sondern durch Lebenserfahrungen in einer weitgehend analogen Welt. Vor diesem Hintergrund warnt Prof. Gerald Lembke vor einer digitalen Technisierung der Grundschule ebenso wie vor einer Verarmung der Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen durch exzessiven Konsum digitaler Medien (Videospiele, soziale Medien usw.). Der Beherrschung von PC, Tablet und iPhone kommt von daher nur die Funktion zusätzlicher Kulturtechniken zu, die zwar unverzichtbar sind, die aber für sich weder zur kreativen Bewältigung der Zukunftsprobleme noch zur Entwicklung angemessener Planungs-, Handlungs- und Sozialkompetenzen befähigen. Ein wenig unscharf bleibt allerdings der pädagogische Gegenentwurf einer die Individualität der nachfolgenden Generation fordernden und fördernden Erziehung und Bildung. Hier hätte man gern gewusst, was an die Stelle der Erfolgeorientierung der Generation X treten soll, die Prof. Lembke verwirft.

    13

Comments are closed.

Schreibe einen Kommentar

Bitte logge Dich ein, um als registrierter Leser zu kommentieren.

Einloggen Anonym kommentieren