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EUTB Vogelsberg gründet „Fachbeirat Teilhabeberatung im Vogelsbergkreis“ zur Unterstützung ihrer Tätigkeiten„Inklusion kann man nicht mit sich allein ausmachen“

ALSFELD (ol). Seit März 2018 gibt es die Ergänzende Unabhängige Teilhabeberatung (EUTB) im Vogelsberg als Anlaufstelle für Menschen mit Fragen zur Teilhabe, beispielsweise zu Assistenz und Hilfsmitteln, zu Arbeits- und Wohnmöglichkeiten und vielen anderen Themen. Ausgehend von zwei Stützpunkten in Alsfeld und Lauterbach werden zehn Gemeinden im Altkreis Alsfeld und neun Kommunen im Altkreis Lauterbach versorgt.

Darüber hinaus sei die EUTB für angrenzende Kommunen zuständig: Ottrau, Schrecksbach und Neukirchen im Schwalm-Eder-Kreis sowie Großenlüder, Hosenfeld und Bad Salzschlirf im angrenzenden Kreis Fulda. Weiter heißt es in der Pressemitteilung, die Bildung von flächendeckenden Beratungsstellen der EUTB geht auf die Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes zurück. Sie sollen sicherstellen, dass Menschen mit Unterstützungsbedarf ihren Teilhabeanspruch realisieren können. Dazu kooperiere die EUTB mit allen betroffenen Kommunen, biete regelmäßige Sprechstunden sowie in Ausnahmefällen auch aufsuchende Beratung an und suche den Schulterschluss mit Selbsthilfegruppen, die ihrerseits in die Beratungstätigkeit der EUTB einsteigen können.

Seit Ende letzten Jahres unterstützt nun auch ein Fachbeirat die Aktivitäten der EUTB. Besetzt wurde der „Fachbeirat Teilhabeberatung im Vogelsbergkreis“ mit Menschen aus der Region, die meist im familiären Umfeld mit Menschen mit Unterstützungsbedarf zu tun haben, selbst unter einer Behinderung oder chronischen und einschränkenden Erkrankung leiden oder beruflich mit Menschen aus dem Klientenfeld der EUTB arbeiten. Die Mitglieder des Fachbeirats verfügen allesamt über Erfahrungen in den Bereichen Inklusion, Rehabilitation und Teilhabe.

Mehr als 200 Beratungen im Gesamtgebiet

Der Fachbeirat konstituierte sich im Dezember 2019. Eingeladen zu der konstituierenden Sitzung hatten Andrea Schmidt und Berthold Sommer, Teilhabeberaterin und -berater der EUTB. Für sie ist die Begleitung durch einen Fachbeirat konzeptionell von großer Bedeutung und essenzieller Bestandteil zur Weiterentwicklung der Beratung und Begleitung von Ratsuchenden. Nachdem Berthold Sommer die Entwicklung der EUTB kurz vorgestellt hatte – mit mehr als 200 Beratungen im Gesamtgebiet zeigt sich uneingeschränkt die Notwendigkeit dieser Einrichtung – berieten die Mitglieder des einberufenen Beirats über die Satzung ihres Gremiums.

Hierin festgeschrieben ist neben der fachlichen und inhaltlichen Begleitung der EUTB auch die Begleitung und Beratung der Peerberaterinnen und -berater. Darüber hinaus soll der Fachbeirat zur weiteren Vernetzung in der Region beitragen und unterstützend beim Aufbau von Selbsthilfestrukturen tätig sein. Er ist Bindeglied zwischen haupt- und ehrenamtlich in der Beratung Tätigen und seine Mitglieder können zu Informations- und Fachveranstaltungen eingeladen werden.

Erster Treffen nicht nur für Formalia, sondern auch für Erfahrungsaustausch

Als Mitglieder im Fachbeirat wurden ernannt: Matthias Gold vom Beratungszentrum Vogelsberg, Manfred Desch vom Landesverband der Angehörigen psychisch Kranker, Doris Ratz vom Blinden- und Sehbehindertenbund, Beate Faulstich-Reichhardt von autismus mittelhessen und Mutter eines Sohnes im Autismusspektrum, Gerlinde Grebe vom Verein „Barrierefreie Stadt Alsfeld“, Uwe Thöt von der MS-Selbsthilfegruppe „Albatros“ und Traudi Schlitt als Mutter zweier Söhne mit geistiger Behinderung. Das Gremium nutzte das erste Treffen nicht nur für Formalia: Die Mitglieder berichteten von ihren persönlichen Erfahrungen und bemängelten, dass es im Vogelsbergkreis keinen klar erkennbaren Behindertenbeauftragten und keinen Beirat gibt, der sich um die Belange von Menschen mit Behinderungen in der Region kümmere.

Inklusion als die selbstverständliche Teilhabe von Menschen mit Einschränkungen und Behinderung im alltäglichen Leben stecke noch in den Kinderschuhen, war man sich trotz vieler Fortschritte einig: „Inklusion können die betroffenen Menschen ja nicht mit sich alleine ausmachen.“ Als eine Anregung gab der Fachbeirat der EUTB mit auf den Weg, eine öffentliche Diskussion über die Bedeutung des Wortes „Teilhabe“ anzustoßen und ihr Tun auch dort vorzustellen, wo Menschen mit besonderem Beratungsbedarf sind: an Schule mit Förderschwerpunkt geistiger Entwicklung beispielsweise, in Werkstätten oder Wohnheimen. Mehr Infos unter www.eutb-vb.de und info@eutb-vb.de

3 Gedanken zu “„Inklusion kann man nicht mit sich allein ausmachen“

  1. Sicherlich ist es richtig, wenn die Inklusion in Deutschland noch in den Kinderschuhen steckt. Andere Länder sind bereits erheblich weiter im Umgang mit Behinderung und be-hinderten Menschen. Das liegt aber sehr oft an dem persönlichen Umfeld eines jeden Betroffenen. Der Staat, die Länder, die Kreise und die Kommunen bieten allerlei Gesetze, Vereinfachungen und Hilfen für gehandicapte Menschen. Weiß denn ein jeder welche Hilfe, welche Mittel ihm zustehen? Sicherlich sind diese Erleichterungen zunächst keine Erleichterungen weil oftmals nur ein langer, teilweise streitbarer Weg zum Ziel, zur Erlangung der ihm zustehenden Erleichterungen führt. Zudem sind die angebotene Gesetze und Hilfen oftmals aus der Not heraus im Zugzwang entstanden, undurchdacht, unsinnig und teilweise nicht nachvollziehbar. Unser Ziel ist es gesammelte Erfahrungen von Betroffenen und Selbsthilfegruppen zusammenzutragen, Ausführungsverordnungen und viele Tipps an Betroffene weiterzugeben und beratend mentale Unterstützung als Hilfestellung zu einer nicht einfachen Lebenssituation anzubieten.
    Sehr geehrte Dame oder sehr geehrter Herr, Ihr Brief ist außerordentlich interessant ge-schrieben. Teilweise gehen wir vom Fachbeirat Teilhabeberatung mit dem Inhalt konform. Wir meinen zu erkennen, das Sie ein gutes Wissen in der Behindertenarbeit und dem Thema Inklusion haben und möchten Ihnen anbieten Kontakt mit uns zu einem persönlichen Gespräch aufzunehmen.
    Sie können den Fachbeirat unter der eutb Telefonnummer 06631 8026718 oder unter der e-mail adresse b.sommer@eutb-vb.de erreichen. Wir freuen uns auf das Gespräch mit Ihnen.

    Berthold Sommer (eutb vb) Uwe Thöt (MS Gruppe ALBATROS Alsfeld)

    1. Manchmal kommt es auf die „sprachlichen Feinheiten“ an. DASS die Inklusion in Deutschland noch in den Kinderschuhen steckt, werden viele bestätigen können, wobei ich Inklusion nicht nur auf Menschen mit Behinderung oder chronischen Erkrankungen beziehe, sondern auf alle Gruppen von Ausgegrenzten und gesellschaftlich Vernachlässigten, die es schwer haben, Anschluss zu finden, egal ob durch „eigene Schuld“ oder die Oberflächlichkeit und mangelnde Sensibilität des Umfelds. Oft reichen ja schon ein bestimmtes Alter, der Familienstand (geschieden, getrennt lebend, verwitwet), die Übernahme pflegerischer Verantwortung (pflegende Angehörige aus!!!) oder der Status als „zugereister“ aus, um zu vereinsamen oder sogar gemieden zu werden. Und entsprechende Erfahrungen führen zu neuen Hürden, indem die Betroffenen sich abgelehnt fühlen, mit dem Selbstvertrauen auch die Kontaktfähigkeit oder im schlimmsten Fall die Hoffnung verlieren, dass sich jemand ihrer Belange annimmt.
      WENN die Inklusion in Deutschland noch in den Kinderschuhen steckt, ist dies nach Jahrzehnten der fachlichen Diskussion auf höchstem Niveau überhaupt nicht richtig, sondern eine Schweinerei. Und ich würde auch nicht unterschreiben, dass dies „an dem persönlichen Umfeld eines jeden Betroffenen“ LIEGT. Natürlich bestimmt das persönliche Umfeld und damit im Grunde das Lebensschicksal eines Betroffenen seine Erfahrungen und letztlich seine Lebensqualität. Aber Inklusion ist ja ein Menschenrecht und nicht in individuelles Belieben gestellt. Von daher gibt es eine PFLICHT bei Behörden, Verbänden, Kirchen, Parteien usw., sich ganz konkret der Verbesserung der Lebensqualität von Betroffenen anzunehmen und sich aktiv dafür einzusetzen. Genau da unterscheiden sich z.B. die skandinavischen Länder von unserem „Sozialstaat“, der Abermilliarden für Strukturen und konkrte Hilfeformen verpulvert, die aber ohne Engagement und Herzenswärme an die „Anspruchsberechtigten“ lediglich „ausgereicht“ werden, sofern sie in der Lage sind, ihren Anspruch in dreifacher Ausfertigung form- und fristgerecht nachzuweisen. Dass jeder die Hilfe-Voraussetzungen versteht, ist keineswegs beabsichtigt. Daher formuliert man sie möglichst kompliziert und wählt einen Schriftgrad zwischen „klein gedruckt“ und „kaum noch lesbar“. Und vielfach gibt es heimliche Sperrvermerke. Da bekommt der Sachbearbeiter versteckte Hinweise, wie viele Anträge er positiv bescheiden darf und wie viele Anspruchsberechtigte er durch Schikanen abzuschrecken hat. Und dann gibt es ja noch die wirklich verabscheuungswürdige Kategorie derjenigen Personen, die sich skrupellos auf Kosten der Hilfsbedürftigen persönlich bereichern (siehe die Vorgänge um die AWO in Frankfurt und Wiesbaden) oder mit dem Ehrenamt nur das eigene Geltungsbedürfnis befriedigen. Und da sitzt dann eben die Mutter mit der behinderten Tochter bei der Jahreshauptversammlung unbeachtet und allein in der äußersten Saalecke, während der örtliche VdK-Vorsitzende sich an der Honoratioren-Tafel johlend mit dem Bürgermeister unterhält. „Wir lassen niemanden allein!“ Selten so gelacht!
      Was mich auch immer wieder tief erschüttert, ist die Menschenverachtung, mit der Krankenkassen, Versicherungen usw. die klar auf der Hand liegenden Ansprüche oft durch das Leben ohnehin schon genügend schwer geprüfter Menschen mutwillig abweist. Da wird einfach gepokert. Schließlich weiß man, wie hoch der Prozentsatz derer ist, die sich einer Klage nicht gewachsen fühlen oder bei genügend langer Prozessdauer während des Verfahrens versterben. Wenn sich dann das Fernsehen einschaltet („Jetzt reicht’s!“), hat sich dann eben ein subalterner Mitarbeiter geirrt oder der Antrag war unter die Schreibunterlage gerutscht. Pech. Aber trotzdem herzlichen Glückwunsch für den nach sieben Jahren dann doch noch genehmigten Rollstuhl!
      Das ist das zentrale Problem dieses Sozialstaats. Es fehlt eine sozialstaatliche MENTALITÄT, die zunächst einmal den Hilfebedarf eines Menschen anerkennt, statt ihn von vornherein als Sozialbetrüger anzusehen. Und es fehlt natürlich ein gesellschaftlicher Zusammenhalt, der aus einem bestimmten Menschenbild heraus entwickelt wird: Empathisch, generös, neidlos, selbstlos. Also das genaue Gegenteil von öffentlicher Charity und lärmenden Spendensammel-Aktionen mit Prominenten!
      Um noch ein letztes Missverständnis auszuschließen: Ich bin absolut gegen die Überhöhung moralischer Forderungen. Jeder muss die Grenzen kennen, die seine Persönlichkeit oder das im Leben bereits Erlebte seiner Fähigkeit setzen, sich ohne Anstrengung und Selbstüberforderung seinem Dienst am Nächsten zu widmen. Und niemand sollte sich moralisch unter Druck setzen oder gar manipulieren und ausnutzen lassen. Ich bin absolut dafür, dass jeder für sich selbst Vorsorge trifft und sich selbst nach Kräften selbst hilft, statt eine entstehende bzw. absehbare Unterstützungsbedürftigkeit bis zuletzt zu verdrängen und dann wie ein auf den Rücken gefallener Maikäfer die Nachbarschaft um Hilfe anzugehen. Deshalb gehört zur Hilfsmentalität auch die Vorsorgementalität und als deren Bestandteil das Interesse an den öffentlichen Belangen (Kommunalpolitik!). Es ist doch nicht vom Zufall abhängig, ob es in meiner Gemeinde einen Seniorenbeirat, eine Vermittlung für Hilfe-Patenschaften, eine Selbsthilfegruppe für pflegende Angehörige oder eine Tagespflege gibt. Da bedarf es öffentlichen Engagements und politischen Drucks!

  2. Hier wird von Inklusion als „selbstverständliche Teilhabe von Menschen mit Einschränkungen und Behinderungen“ gesprochen. Da liegt einerseits der Unterstützungsbedarf klar auf der Hand (Was Kostenträger aber trotzdem nicht davon abhält, im konkreten Fall alle Register von der üblichen Hinhalte- und Verzögerungstaktik bis zu rechtswidriger Ablehnung von Anträgen zu ziehen!). Andererseits erfordert die Einbeziehung der betroffenen Menschen in das alltägliche Leben ein hohes Maß an fachlicher Schulung und positiver Mentalität, im übrigen natürlich oft auch erhebliche finanzielle Aufwendungen. All dies lässt sich nicht beliebig vermehren oder automatisch voraussetzen.
    Mein Eindruck ist, dass diejenigen den größten Beratungsbedarf haben, die die Rahmenbedingungen für die Inklusion eigentlich zuerst einmal durch eine entsprechende Grundausrichtung in ihrem eigenen Tätigkeitsfeld (Politik, Krankenkassen, Pflegekassen usw.) und die Erzeugung eines entsprechenden gesellschaftlichen Klimas herzustellen hätten. Aber hier haben sich Symbolpolitik und „So-Tun-als-ob“ eingebürgert. Man gibt sich wahnsinnig aufgeschlossen, doch fehlt eine traditionelle Verankerung der Inklusion in der Mentalität zumindest der Eliten. Das erste ist immer der Verdacht, es wolle sich jemand irgendwelche Wohltaten unberechtigterweise erschleichen. Traditionell ging es nie darum, individuelle Lebensrechte anzuerkennen, sondern Ansprüche abzuwehren. Und entsprechend verhielten sich Amtsärzteschaft, öffentliche Verwaltung und Versicherungswirtschaft. Wer den Schaden hatte, wurde schikaniert. Und immer mit der Begründung, unnötige Ausgaben zu Lasten der Allgemeinheit, der Versicherten usw. abwehren zu müssen. Wo kommen wir denn her? Von einem Staatswesen (3. Reich), das von seinen Bürgern selbstverständlich forderte, sich „für ihr Volk“ im „Kampf“ zu opfern, und das die nicht „Erbgesunden“ und „rassisch [angeblich] Minderwertigen“ als unnütze Fresser der Vernichtung preisgab. Nach dem Krieg ging es darum, durch Minimierung der Entschädigungen für riesige Zerstörungen und viele Millionen Gefallener, Kriegsversehrter, seelisch Zerstörter usw. erst einmal wieder „auf die Beine“ zu kommen. Der Streit über Reparationen und Opferentschädigungen ist bis heute virulent. Und wo die Menschen verachtende Gesinnung früher durch den Rassenwahn oder einen aggressiven Imperialismus gespeist war, ist sie heute durch das Profitinteresse – z.B. der Versicherungswirtschaft – bedingt.
    Da nützt es wenig, die Opfer bzw. die Benachteiligten über Angebote zu beraten, die im besten Fall ein Existenzminimum gegenüber dem tatsächlichen Bedarf darstellen. Wer sich im Vogelsberg gut aufgehoben fühlt, ist pumperlgsund, hat eine großartige Familie, die ihn voll unterstützt, ist in 30 Vereinen und hat die Ruhestandsbezüge eines im Dienst ergrauten Landrats. Wer für Angehörige eine gute Versorgung sucht, muss sich vielfach in Nachbarlandkreisen umsehen. Und selbst das hier vorgestellte Beratungsangebot eines freien Trägers führt zwar den VB im Namen, kostet den Vogelsbergkreis aber kaum keinen Cent, sondern wird überwiegend durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales finanziert.

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