Zu Besuch bei den Schlosspatrioten in Homberg OhmWo bürgerschaftliches Engagement erlebbar ist
HOMBERG OHM (ol). Die Schlosspatrioten haben von sich reden gemacht und wurden 2017 mit dem Hessischen Ehrenamtspreis ausgezeichnet. Aktuell ist noch eine weitere Auszeichnung hinzugekommen: Die Silberne Halbkugel des Deutschen Preises für Denkmalschutz, die deutschlandweit nur sechsmal verliehen wird. Dazu gratulierte Handlungsfeldsprecherin Rosemarie Müller und dankte für den Empfang an diesem besonderen Ort, an dem bürgerschaftliches Engagement ganz praktisch erlebbar ist.
Die Mitglieder des Handlungsfelds „Bürgerschaftliches Engagement“ im Bündnis für Familie hörten gespannt den Ausführungen von Beate Goßfelder-Michel zur Geschichte des Schlosses und zum Nutzungskonzept zu und ließen sich durch die Schlossanlage und die zum Teil schon restaurierten Räumlichkeiten führen, heißt es in der Pressemitteilung des Vogelsbergkreis.
Dass es in Homberg ein Schloss gibt, sei den meisten Menschen wohl erst in den vergangenen Jahren so richtig bewusst geworden: Denn erst seitdem es 2012 von der Stadt Homberg aus Privatbesitz gekauft und in die Hände der „Schlosspatrioten“ gelegt wurde, sei es aus seinem Dornröschenschlaf erwacht. Besser gesagt: Die vielen rührigen Hände der etwa 280 Vereinsmitglieder erwecken es mit Veranstaltungen, Restaurierungsarbeiten, einem Schlosscafé und wechselnden Ausstellungen zu neuem Leben.
Beate Goßfelder-Michel erklärt Hans Dieter Herget (Sprecher des Bündnisses für Familie im Vogelsbergkreis) die Sonnenuhr. Fotos: Gaby Richter
„Im April 2012 hat die Stadt das Schloss gekauft unter der Bedingung, dass wir ein tragfähiges Nutzungskonzept vorlegen“, erzählt Goßfelder-Michel, „im Oktober haben wir uns als gemeinnützigen Verein gegründet, Crowdfunding betrieben und so unsere ersten Projekte realisieren können.“ Das war dann beispielsweise die Sonnenuhr im Schlossgarten, spätere Spendenaufrufe haben dazu geführt, dass einige Fenster im Erdgeschoss fachgerecht restauriert werden konnten. Ganz viel lernen könne man auch – je nachdem, in welchem der neun Arbeitskreise man sich nützlich macht.
Eine Ausstellung im noch erhaltenen Chorraum der ehemaligen Kapelle.
Für die quirlige Schlosspatriotin war ein Kurs mit Fachleuten zum Streichen der denkmalgeschützten Fenster so ein besonderes Lernerlebnis: „Diese Fenster haben schon mehr als hundert Jahre gehalten. Sie werden nur mit Leinöl und Farbpigmenten behandelt und können alleine damit wieder viele weitere Jahre überstehen. Einmal im Jahr reicht ein Darüberreiben mit der Hand, um zu sehen, ob die Rahmen „kreiden“ – das heißt, Farbe abgeben. Dann würde ein erneutes Streichen mit Leinöl genügen.“ Inzwischen sind einige restauriert, „aber wir haben 48 historische Fenster, also noch genug zu tun“.
Korrekterweise müsste man bei der Besuchergruppe vom HANDLUNGS- (nicht Aufgaben-)feld des „Bündnis für Familie“ sprechen, was aber der berechtigten Kritik nicht die Spitze nimmt. Denn gehandelt wird im Handlungsfeld nur so weit, dass man die eigene Existenzberechtigung nur gerade so eben noch nachweisen kann. Dabei wäre die Aufgabe, das bürgerschaftliche Engagement im Vogelsbergkreis anzuregen und voran zu bringen, doch ein Grund für geradezu fieberhafte Aktivitäten. Oder ist die verbale Wertschätzung des Ehrenamts, mit der die Vertreter des Handlungsfelds immer wieder an die Öffentlichkeit treten, am Ende doch nur ein Pflichtprogramm, dessen man sich mehr oder weniger routinemäßig entledigt? Wichtige Impulse oder gar aufrüttelnde Appelle sind jedenfalls von diesem Handlungsfeld des Familienbündnisses nicht bekannt. Im Durchschnitt drei Mal im Jahr tritt man zusammen und hat offensichtlich Mühe, diese Zusammenkünfte mit Inhalt zu füllen. Da stellt dann irgendwer irgendeinen Verein vor, der Inklusion betreibt. Oder hatte eine Idee von Quartiersarbeit, die er selbst wenig später für überflüssig erklärt, weil die Leute im Vogelsberg ja ohnehin besser versorgt sind als in jedem anderen Landkreis. Und einmal jährlich werden die üblichen Projekte ausgekungelt, die man für eine Ehrung in der Sparkassenaula zum Jahresende vorschlagen will. Ruhebänke-Aufsteller oder Betreuer eines Wassertretbeckens erhalten dann für ihren Beitrag zur Dorfverschönerung eine Belobigung, einen kleinen Scheck von einer Stiftung und einen warmen Händedruck vom Landrat. Kaum öffentlich gelobt, sind diese Initiativen dann wenig später schon wieder eingeschlafen und in der Versenkung verschwunden, denn es wird zwar immer gern gelobt, aber nie nachhaltig gefördert.
Das sog. „Familienbündnis“ des Vogelsbergkreises ist ein ziemlich müder „Verein“, der an zweierlei Geburtsfehlern krankt: Erstens ist überall das Bemühen des Landrats Görig spürbar, alle Bürgeraktivitäten möglichst unter die Kontrolle der Verwaltung zu bringen. Und zweitens sitzen in vielen Handlungsfeldern zu viele professionelle Akteure, die dort im Grunde nur die eigenen Interessen vertreten und an irgendwelchen neuen Entwicklungen kein Interesse haben. Den Rest besorgt die Vogelsberger Art, „über den Tellerrand“ zu blicken, nämlich vom Rand auf den eigenen Teller. Und da sieht man nur, was man selbst vermeintlich besser kann als andere. Notfalls kauft man sich eine Studentengruppe aus Fulda oder einen Professor von irgendwoher als Festredner ein, die einem das bestätigen. So bleibt weitgehend alles beim Alten. Und der Vulkan schläft weiter.
Man fragt sich doch immer wieder, unter welchen Bedingungen in manchen Orten bürgerschaftliches Engagement blüht und gedeiht, in anderen aber mehr oder weniger nur symbolisch agiert wird bzw. das Ehrenamt kaum Früchte trägt. Längst ist widerlegt worden, was man lange Zeit gern glauben wollte, nämlich dass es genüge, besonders gelungene Beispiele (Best Practice) wie Blaupausen zu übertragen. Vor allem die „amtliche Engagementförderung“ arbeitet gern mit Leuchtturm-Beispielen, die vermeintlich leicht nachzuahmen seien. Die Erfahrung lehrt aber, dass es an jedem „besonderen Ort“ auch ganz besonderer Bedingungen bedurfte, damit sich der beschriebene Erfolg einstellen konnte. An vielen Orten ist die Bevölkerung politisch gespalten. Hier wirkt sich der Parteien-Einfluss negativ aus. Kein „Lager“ gönnt dem anderen einen Erfolg oder ist bereit, entsprechende Vorschläge vorbehaltlos zu unterstützen.
In der Engagementförderung (soweit diese überhaupt noch eine solche Bezeichnung verdient!) geht man heute nach dem „Good-Practices“-Modell vor. Im Gegensatz zu „Best Practices“ ist hier der Anspruch ein anderer. Man orientiert sich nicht an der vermeintlich besten – also optimalen – Lösung, sondern geht davon aus, dass sich eine gefundene Lösung in der Praxis weiterentwickeln kann. Good Practices stellen also im Gegensatz zu Best Practices kein Versprechen in den Raum, dass durch die Anwendung fortan alles wie von Zauberhand funktioniert. Good Practices betonen das „KANN“ und nicht das „MUSS“. Sie stellen eine Hilfe auf dem Weg zu einer Lösung dar, sie sind nicht die Lösung und sie sind eben keine Blaupause für Nachahmer.
Man begegnet immer wieder diesen zwei Welten:
Auf der einen Seite echtes bürgerschaftliches Engagement, das von der Kommune auch real gefördert wird (wie bei dem Schlossprojekt in Homberg). Da sieht man auf den ersten Blick: Es wird Geld in die Hand genommen und neues generiert (Spenden, Crowdfunding usw.). Zudem fließen Werte in Form von unentgeltlicher Arbeitsleistung zu. Es gibt einen Plan. Es gibt ein Ziel. Es gibt Bewegung. Und es gibt messbaren Fortschritt.
Auf der anderen Seite „amtliche Engagementförderung“ als eine Art Schattenboxen. Wenn Geld investiert wird, dann aus Fördertöpfen. Daraus finanziert man Scheinaktivitäten, die genau so lange dauern, bis das Fördergeld verbraucht ist. Ansonsten nur scheinbare Betriebsamkeit. Hauptsache, es entstehen keine Folgekosten. Also gibt man sich engagiert und schafft Strukturen und Aktivitäten mit minimalem Aufwand, bestens geeignet, um dort als öffentlich Bediensteter ohne großen Kräfteverschleiß seinen Job abzubummeln und potemkinsche Dörfer zu errichten, die die Akteure aus Parteien, politischen Gremien und Verwaltung gut aussehen lassen.
Man muss sehr genau hinsehen, um dieses „virtuelle“ System zu verstehen. Jahrzehnte gehen ins Land. Und immer wieder gibt es Auftaktveranstaltungen für immer neue Impulse und Projekte immer neuer Akteure aus immer neuen ministeriellen Abteilungen oder zeitlich begrenzten Verwaltungsstellen. Ein System, das sich selbst erhält und am Ende nur die Fördertöpfe geleert hat, dem es seine Entstehung verdankt. Unter dem Strich hat sich nichts bewegt, aber alle waren irgendwie beschäftigt und sind mit sich zufrieden.
Der Fake als Mittel der Politik hatte sich im Vogelsbergkreis bereits etabliert, da war von Donald Trump und Konsorten noch längst keine Rede. Es hat mich immer gewundert, warum der „Zusammenhalt“ und das „gute Vernetztsein“ der Vogelsberger in der Rhetorik der Politiker eine so große Rolle spielte. „Arm, aber sexy“ sagte man in Berlin, „arm, aber gut vernetzt“ war man im Vogelsberg. Und so konnte sich mancher, der es vielleicht faustdick hinter den Schlitzohren hatte, aber ansonsten nicht gerade das hellste Licht auf der Torte war, über Jahre behaupten. Da wurden – vornehmlich in der Kreispressestelle – Kommunikationsstrukturen geschaffen, die einen deutlichen Unterschied machten zwischen Wahrheit und Wirklichkeit. Konstruktivistisches Denken hielt Einzug, das eine objektive Realität (Wahrheit) leugnete und an deren Stelle die subjektive Konstruktion der Wirklichkeit setzte, die dann mit Hilfe einer devoten Lokalpresse in Form von Pressemeldungen unter das Volk gebracht wurde. Dazu passend entstanden politische „Aktivitäten“ (siehe Gründung des Bündnis für Familie), die sich in hohlen Deklarationen und regelmäßigen Zusammenkünften erschöpften, deren Sinn lediglich darin bestand, Sitzungen abzuhalten und darüber Protokolle zu verfassen, aus denen dann Pressemeldungen wurden. Ein vollkommen hohles und nutzloses Treiben, das aber emsige Daseinsvorsorge vortäuschen soll.
…zähle die Leuchtturmprojekte nur. Und sonne dich in dem, was andere auf die Beine gestellt haben.
Vergleicht man das, was durch kommunales Engagement und breite Bürgerbeteiligung in Homberg auf die Beine gestellt wurde, mit dem, was das „Bündnis für Familie, Aufgabenfeld bürgerschaftliches Engagement“ während der zehn Jahre seines Bestehens bewirkt hat oder – gemäß üppigem Eigenlob – bewirkt zu haben glaubt, wird man wohl beschämt den Blick senken. Doch lustig hüpft das Kreisverwaltungskänguru mit leerem Beutel von einem Aufgabenfeldtreffen zum nächsten. Vielleicht hat ja irgendwo eine andere Initiative die Initiative ergriffen und ein vorzeigbares Projekt realisiert. Und man wird wieder eingeladen.