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Podiumsdiskussion der Flüchtlingsinitiative GemündenWie Integration gelingen kann

NIEDER-GEMÜNDEN (gk). Was der Vogelsbergkreis bisher für die Integration von Geflüchteten getan hat, kann sich sehen lassen. Das zeigte die Podiumsdiskussion, zu der die Flüchtlingsinitiative Gemünden in das Dorfgemeinschaftshaus in Nieder-Gemünden eingeladen hatte. „Wie kann Integration gelingen?“, lautete die Frage, zu der die Fachleute auf dem Podium Stellung nahmen, aber auch weitere Experten, die sich aus dem Publikum heraus beteiligten, lieferten Antworten.

Dabei ging es zunächst um die Frage möglicher Bedrohung durch Asylsuchende im deutschen Alltag. Wie es um die Sicherheit im Vogelbergkreis steht, wollte Moderator Burkhard Bräuning, der für die Gießener Allgemeine als Chefredakteur tätig ist, von Polizei-hauptkommissar Roman Eisenbach von der Polizeidirektion Vogelsberg wissen. Seine Antwort war eindeutig: „Ja, Sie können nachts sicher auf die Straße gehen.“ Der erfahrene Polizeibeamte zeigte Verständnis für das Empfinden einer Bedrohung, wenn beispielsweise eine Frau auf der Straße einer Gruppe fremder, junger Männer begegne, machte aber auch deutlich, dass die registrierten Rechtsverstöße von Ausländern in der Region ganz überwiegend mit dem Ausländerrecht zu tun hätten.

Der Blick auf die Tatsachen für das Gelingen der Integration

Danach seien Diebstahlsdelikte häufig. Fälle von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung habe man in den letzten drei Jahren zwischen zwei und sechs pro Jahr verzeichnet. Mit Gewalt, die sich gegen Geflüchtete gerichtet hat, sei man in drei Fällen konfrontiert gewesen. In der Diskussion wurde deutlich, dass die gefühlte Bedrohung nicht mit den tatsächlichen Verhältnissen übereinstimmen muss. Baustein Nr. 1 für das Gelingen der Integration müsse demnach der Blick auf die Tatsachen sein.

Zu diesen zähle auch die für die Anwesenden überraschende Information über die Zahl der Menschen, die seit 1950 nach Deutschland gekommen sind. Es sind 46 Millionen, gleichzeitig haben 33 Millionen Menschen Deutschland verlassen, teilte Rüdiger Veit mit, der in Lauterbach wohnt und als ehemaliges Mitglied des Bundestags einen überregionalen Blick auf die gesellschaftlichen Verhältnisse beisteuerte. „Vor diesem Hintergrund müssen wir das, was heute als Flüchtlingskrise bezeichnet wird, stark relativieren,“ meinte er. Er sehe vor allem „Vollzugsdefizite“, beispielsweise bei der Abschiebung von Straftätern. Dabei habe er die mangelnde „Kooperationsbereitschaft“ von Heimatländern betont, wenn es um die Rückreise gehe. In diesem Zusammenhang sprach er sich dafür aus, dass auch die „Drohung mit finanziellen Möglichkeiten“ gegenüber diesen Staaten stärker in Betracht gezogen werden sollte.

Mit Blick auf die Region stellte er fest, dass der „Vogelsbergkreis mit der Bewältigung des Problems ganz gut klargekommen ist“. Diesen Eindruck untermauerte Hans-Ulrich Merle vom Amt für soziale Sicherung des Vogelsbergkreises mit statistischen Daten: Von den zirka 3500 Asylbewerbern, die dem Vogelbergkreis im Jahr 2015 zugewiesen wurden, seien derzeit noch 531 Personen registriert, für die das Asylbewerberleistungsgesetz gilt, und 385 Empfänger von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB II), insgesamt also etwas mehr als 900 Geflüchtete. Die meisten dieser Menschen stammen aus Afghanistan. Insbesondere die Zahl der Geflüchteten aus Syrien, die 2015 besonders hoch war, sei deutlich zurückgegangen, auf 28.

Einen großen Schritt zu ihrer persönlichen Eingliederung in die lokale Gemeinschaft haben mittlerweile etwas mehr als 800 Asylbewerber gemacht: Sie haben, laut Merle, bereits einen Ausbildungs- oder Arbeitsvertrag abgeschlossen. „Das ist eine gigantisch hohe Zahl“, berichtete der Leiter der Kreissozialbehörde nicht ohne Stolz. Er zeigte sich, wie auch Sandra Oestreich von der Kommunalen Vermittlungsagentur (KVA), zuversichtlich, dass dieser Integrationsbaustein weiter erfolgreich bearbeitet werde. Dass es großen Bedarf für Arbeitskräfte im Handwerk gibt, machte der Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Erwin Mönnig deutlich. „Wir bekommen nicht genug Nachwuchs.“ Er betonte die große Bedeutung der Ausbildung in Handwerksberufen gegenüber einer ungelernten Hilfstätigkeit und machte allen potenziellen Bewerbern Hoffnung: „Wir geben jedem eine Chance.“

Das Asylverfahren dauert zu lange

Das solchen Absichtserklärungen angemessenes Handeln folgen muss, machte Safa Moki deutlich. Die vor drei Jahren aus dem Irak geflüchtete Künstlerin erläuterte, wo es Verbesserungsbedarf aus Sicht der integrationswilligen Betroffenen gibt. Sie verwies darauf, dass sich das Asylverfahren viel zu lang hinziehe. Zudem habe sie jeweils mehrere Monate auf die nächste Möglichkeit, einen Deutschkurs zu machen, warten müssen. Wichtig sei auch, zu verstehen, dass die Diskussion um Bedrohungen durch Geflüchtete auch bei diesen Ängste auslöse. Sie wohnt in Lauterbach und würde gern dauerhaft dort leben und arbeiten, habe aber bisher keine Arbeitsstelle gefunden – trotz ihrer sehr guten Deutschkenntnisse.

Wie wichtig das Erlernen der deutschen Sprache ist, wurde in vielen Redebeiträgen bekräftigt. Wie es um diesen Baustein der Integration im Vogelsbergkreis bestellt ist und wie er sich in den letzten drei Jahren entwickelt hat, erläuterten Antje Schäfer, Lehrerin an der Max-Eyth-Schule in Alsfeld, und Monika Wüllner von der Volkshochschule des Landkreises. Beide Schulen sahen sich 2015 vor große Herausforderungen gestellt, das passende Bildungsangebot mit ausreichend Personal bereitzustellen. Insbesondere die VHS musste innerhalb kurzer Zeit für die Integrationskurse Personal finden, das den Anforderungen des BAMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) entsprach. Zudem wäre mancher Kurs ohne das Engagement ehrenamtlicher Helfer, die beispielsweise Kinderbetreuung übernahmen, damit auch Mütter teilnehmen konnten, gar nicht zustande gekommen.

Mehr Wertschätzung für das freiwillige Engagement

Damit war ein weiterer wichtiger Baustein der Integration angesprochen: das freiwillige Engagement der Bürgerinnen und Bürger. Wie es in Gemünden zum Zusammenschluss derjenigen, die Hilfe leisten wollten, kam, und wie sich die Flüchtlingsinitiative in den letzten drei Jahren entwickelt hat, erläuterte Rainer Lindner. Einerseits betonte er dabei die Unterstützung durch die verschiedenen Kreisbehörden und die Mitarbeiter der Gemeindeverwaltung, andererseits beklagte er den fehlenden moralischen Rückhalt durch die Verantwortlichen in der Kommunalpolitik.

Wie sein Mitstreiter in der Flüchtlingsinitiative Ulli Kill beklagte er, dass es zu wenig Wertschätzung für deren Arbeit gebe: „Es kommt kein Signal,“ sagte Kill. Von Moderator Bräuning darauf angesprochen, antwortete der im Publikum weilende Bürgermeister Lothar Bott, dass er erstmal „schwer geschluckt“ habe. Dann warb er um Verständnis für die Gemeindevertreter, die – wie die Bürger in der Flüchtlingsinitiative- ehrenamtlich tätig seien und nicht überall sein könnten. Er verwies auf die Unzufriedenheit mit der Arbeit der Großen Koalition in Berlin, bei der unter dem Strich nichts passiere „und das macht die Bevölkerung bestürzt“ – bis hin zur Wahl der AfD.

Ein Gedanke zu “Wie Integration gelingen kann

  1. Ich wusste gar nicht, dass 33 Millionen Menschen Deutschland seit 1950 verlassen haben und 46 Millionen in der Zeit hergekommen sind. Eine tolle Initiative, beide Seiten, also sowohl Geflüchtete als auch Deutsche, für Integration zu sensibilisieren! Mein Bruder hat neulich ein Plakat gesehen, dass für Integrationskurse Werbung macht. Jetzt überlegt er, sich ehrenamtlich zu engagieren und so Integration zu fördern.

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