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40 Schüler aus China zu Gast in LauterbachGemeinsamkeiten finden, Grenzen überwinden, Freundschaften schließen

LAUTERBACH (ol). Es trennen sie 8.936 Kilometer – eine stolze Anzahl, selbst im digitalen Zeitalter, wenn es sie analog zu überwinden gilt. Auf diesen langen Weg hat sich vor gut zwei Wochen eine Reisegruppe aus Xiangshan in China gemacht. Ihr Ziel: Lauterbach. Hier besteht seit nunmehr sechs Jahren eine Schulpartnerschaft zwischen der Alexander-von-Humboldt-Schule und der Xiangshan No. 3 High School.

Schon mehrfach führten laut Pressemitteilung der Schule inzwischen Fahrten die einen in das Reich der Mitte, die anderen in den Vogelsberg. Eine Woche verbrachten die rund 16-jährigen Chinesen nach einer einwöchigen Deutschland-Rundreise in Lauterbach. Direkt nach den Sommerferien konnten die Schüler der AvH ihre Gäste in Empfang nehmen – die hatten ihrerseits Gelegenheit, ihre Gastfamilien kennenzulernen. Während der feierlichen Begrüßung in der Aula betonte Schulleiterin Gitta Holloch die Bedeutung des doch außergewöhnlichen Austauschs.

Im Fokus beider Schulen stehe es, die Horizonte zu weiten, die anderen Kulturen kennenzulernen, das jeweils andere System zu entdecken und zu verstehen. „Möglicherweise lernen wir gerade durch die Andersartigkeit oder Fremdheit des jeweils anderen Systems auch manche Aspekte des eigenen Systems schätzen, die wir vor dem Austausch als selbstverständlich hingenommen haben“, lud Holloch ein, offen mit den neuen Erfahrungen umzugehen.

Andere Lebenswelten entdecken

Gelegenheit zum Entdecken anderer Lebenswelten und Gepflogenheiten hatten in Lauterbach insbesondere die Gäste. Zunächst lernen sie ihre Gaststadt aus vielen Blickwinkeln kennen: Eine Stadtführung, ein Besuch beim Bürgermeister, eine Besichtigung einer Töpferei, ein ausgedehnter Stadt- und Shopping-Bummel und ein Schwimmbadbesuch standen hier auf dem Programm. Eine Tagesfahrt führte die Gruppe bei strahlendem Sonnenschein nach Kassel auf den Herkules zu den Wasserspielen, es gab ein gemeinsames Sport-Event und natürlich ein Grillfest. Eine weitere Fahrt führte zum Hoherodskopf, und natürlich gab es auch in den Familien noch viel Zeit für gemeinsame Unternehmungen.

Typisch deutsch: Ein großes gemeinsames Grillfest. Foto: Jean-Luc Heineck

André Tolksdorf, Koordinator der Reise an der AvH, betonte die Bedeutung eines solchen Austauschs: „Es ist an der Zeit, auch über europäische Grenzen hinauszusehen“, unterstreicht er den Sinn dieser für eine Schule doch sehr aufwendigen Unternehmung. „Der China-Austausch findet eine hohe Akzeptanz bei den Schülerinnen und Schülern, und wir freuen uns sehr, dass unsere Schulleitung uns eine solch außergewöhnliche Schulpartnerschaft ermöglicht.“

Unterschiede im Unterricht

Selbstverständlich verbrachten die chinesischen Schüler und ihre Lehrer auch viel Zeit in der Schule selbst: Sie besuchten den Unterricht und entdeckten viel Gemeinsames, aber auch viel Unterschiedliches. Der Mathematikunterricht fiel ihm eher leicht, fand Lin Xianhuan. Er erzählte, dass die chinesischen Schüler keinen Gruppenunterricht kennen, sie lernen nicht im Dialog mit den anderen Schülern, sondern lernen von Vorträgen der Lehrer. Dass der Umgang zwischen Lehrern und Schülern in Deutschland lockerer ist als in China, fand auch Yuan Dantao. Er sprach für die mitgereiste Lehrerschaft, die Deutschland vorher auch nicht kannte.

Die Schüler hätten in Deutschland viel mehr Freiheiten als in China, fand der Lehrer. Was ihm sonst noch aufgefallen war an Deutschland? Die Autofahrer fahren alle so rücksichtsvoll, meinte er und fügte hinzu: Deutschland ist unter allen Ländern der EU das schönste – wenn auch die Versorgung mit schnellem Internet zu wünschen übrigließe. Zum Sinn der nicht nur organisatorisch, sondern auch finanziell aufwendigen Reise sagte Dantao, dass viele seiner Schüler sich diese Reise durchaus leisten könnten und dass sie es wie er wichtig fänden, zu reisen und sich einen Überblick über die Welt zu verschaffen. Diese Intention unterstrichen auch die Schüler – egal, ob aus Lauterbach oder aus Xiangshan.

Im Zeichen des Strolchs – ein Teil der Gruppe an der Lauter. Foto: Florian Fey

Menschen auf persönlichem Niveau kennenlernen

Der 17-jährige Ekko Stöppler nimmt schon zum dritten Mal an dem Austausch teil, und er ist längst nicht der einzige Wiederholungstäter. Ihn fasziniert, dass man in den Gastfamilien wirklich ein komplett anderes Leben führt und die Menschen auf persönlichem Niveau kennenlernt. Auch der Ablauf der Reise sei außerhalb der Touristenströme organisiert, sodass man viele wertvolle und ungewöhnliche Einblicke bekäme. Er macht sich im Herbst sogar bereits zum dritten Mal auf den Weg nach China.

Für viele Schüler der Alexander-von-Humboldt-Schule ist das ferne Land auch deshalb so interessant, weil es in der Regel nicht das naheliegende Reiseziel ist, wie Jean-Luc Heineck anführt. „Wenn man eine weite Reise macht, dann eher in die USA“, findet der 17-Jährige. Dem können sicher viele der knapp vierzig jungen Leute, die im Herbst die knapp 9.000 Kilometer zurücklegen möchten, zustimmen. Viele bunte ungewöhnliche Bilder haben ihre Vorreisenden schon aus China mitgebracht, viel erzählt, viele Erwartungen geweckt.

Zum Wiedererkennen und zur Erinnerung – die Austausch-Pullis der China-Reisenden. Foto: Schlitt

Umso neugieriger sind die China-Neulinge unter den Schülern, die im Oktober ihren Gegenbesuch abstatten. „Wir haben uns sehr bewusst genau für die Chinafahrt entschieden“, führen Berenike Dietz und Antonia Schneider aus. Wie ihr Gast Lin Xianhuan und wie ihre Mitschüler wollen sie dann die Gelegenheit nutzen, mehr über ihr Gastland zu lernen, Freundschaften zu schließen und beim Umgang mit der neuen Kultur auch viel über sich selbst zu erfahren.

Die Woche in Lauterbach jedenfalls verging für alle Beteiligte wie im Flug, wie Oberstufenleiter Karsten Krämer bestätigte. Er betonte zum Abschied der Delegation die unauflösbare Verbindung von Reisen und Bildung. Allerdings machte er auch deutlich, dass nach Ansicht des Philosophen Jean-Jacques Rousseau Reisen erst dann sinnvoll ist, wenn man bereit ist, sich Fremden gegenüber zu öffnen – eine Fähigkeit, die man den Teilnehmenden an diesem Schüleraustausch gerne unterstellen dürfe. Er dankte allen Menschen, die maßgeblich am Gelingen des Austauschs beteiligt waren, darunter nicht zuletzt den Gasteltern und der Dolmetscherin, die das mitunter etwas holprige Englisch der Gäste mehr als ausgeglichen hat.

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