Zum 30-jährigen Bestehen im Medizinischen Zentrum Eichhof:„Die Idee der Tagesklinik hat sich gewandelt“
LAUTERBACH (lrn). Wie eine psychiatrische Tagesklinik in der Praxis funktioniert und dort der Tagesablauf für die Patienten strukturiert wird, das konnten die Gäste der Jubiläumsfeier diese Woche bei den Vorträgen zum 30-jährigen Bestehen im Medizinischen Zentrum Eichhof bei einer Fortbildungsveranstaltung und Jubiläumsfeier erfahren.
Zahlreiche Fachvorträge der an der täglichen Behandlung beteiligten Personen und ein Rückblick über die Entstehung dieser Abteilung durch den früheren Chefarzt und Psychiater Dr. Thomas Schulte rundeten das Vortragsprogramm ab. Danach wurde zu einem Imbiss geladen, und es bestand die Möglichkeit, Tagesklinik und Ergotherapie zu besichtigen. Sicherlich mit den tiefsten Einblick in die tägliche Arbeit der Therapeuten lieferte der Beitrag von Dr. Ursula Bernbeck, die seit über 20 Jahren am Eichhof in verschiedenen Funktionen tätig ist und seit einigen Jahren verantwortlich in der Tagesklinik arbeitet.
Zu den Referenten zählten Chefarzt a. D. Dr. Thomas Schulte über die Anfänge in der Tagesklinik, Dr. Ursula Bernbeck zu der Arbeit der Tagesklinik heute – Behandlungsindikationen, Therapiekonzept und Probleme, die Thematik tagesklinische Behandlung aus Sicht einer ehemaligen Patientin mit Schwerpunkt auf TEK (Training emotionaler Kompetenz), Sigrid Poch zum Thema SKT (Soziales Kompetenztraining) – was ist das? sowie Ilona Becker-Wahl zur Thematik Arbeit, Ausbildung, Schule – die Aufgaben der Sozialarbeit im Rahmen der tagesklinischen Behandlung. Die Moderation hatte Oberarzt Stefan Wiegand übernommen.
Oberarzt Stefan Wiegand sprach in Verbindung der Vorträge von der Vermittlung eines „Eindrucks einer modernen Tagesklinik“, das hochdifferenziert sei.
„Ich kam her, weil ein Nervenarzt gesucht hatte“, stellte Chefarzt a. D. Dr. Schulte rückblickend auf die Entwicklung der Tagesklinik fest, doch habe man dann erkannt, dass seine Ambitionen mehr der Psychiatrie gegolten hätten. Ziel sei es in dieser Zeit der Reformbewegungen gewesen, eine wohnortnahe Psychiatrie aufzubauen. Mit dieser Arbeit im Eichhof „gehören wir zu einer der Pionier-Kliniken“ stellte Dr. Schulte fest. Die Integration der Tagesklinik in die Stationen sei schwierig gewesen, weil kein Bett dort mehr zur Verfügung gestanden habe.
Dr. Schulte bezeichnete es als sehr wichtig, die Patienten wieder rasch in ihr häusliches Umfeld zu integrieren, damit sie eigene Vorhaben umsetzen könnten. Mit einer Baubaracke habe man dann im Eichhof als selbständige Einheit quasi als Provisorium begonnen. Sechs bis acht Patienten seien damals in einer Gruppe behandelt worden, die Baracke habe etwas Heimeliges gehabt, doch sei eine vernünftige tagesklinische Versorgung erst in dem Neubau der Psychiatrie möglich gewesen. Dieser Behandlungsort sei angenommen und die Zahl der Plätze ausgeweitet worden. Er wünschte der Einrichtung „ein Weitergehen der erfolgreichen Arbeit“.
Oberarzt Stefan Wiegand musste eingestehen, dass die Kosten bei der Behandlung der Patienten eine immer größere Rolle spielten. Ausreichend Zeit, die man brauche, werde immer kürzer, um ein intensiveres Behandlungsangebot anbieten zu können.
Die Idee der Tagesklinik habe sich gewandelt, meinte Dr. Ursula Bernbeck. Während früher hauptsächlich Psychosen behandelt worden seien, habe man heute die zu behandelnden Diagnosen erweitert. Man arbeite in diesem Bereich ohne Betten, es gebe keine Rund-um –die-Uhr-Betreuung. Ein Teil ihrer Aktivitäten müssten die Patienten noch selbst bewältigen, dazu gehöre auch der Entschluss, jeden Morgen wieder in die Einrichtung zu kommen. „Eine psychische Erkrankung ist notwendig“, nannte die Psychiaterin als Voraussetzung für ei ne Aufnahme in der Abteilung, Minimum der Behandlung seien drei Wochen. Die meisten Patienten kämen durch Einweisung vom Hausarzt, Fachärzten, psychiatrischen Abteilungen oder auch der KVA. Volljährigkeit werde vorausgesetzt, nach oben gebe es altersmäßig keine Grenzen. Als Krankheitsbilder für eine Behandlung nannte die Ärztin Depressionen, Lebenskrisen, Burn-Out, Borderline, Psychosen, Sucht, eine Selbstmord- oder Fremdgefährdung dürfe hingegen nicht vorliegen. Samstags, sonntags und feiertags gebe es keine Tagesklinik, aber einen Arzt vom Dienst, der eingreife könne. Frühstück und Abendessen müssten zuhause eingenommen werden, Mittagessen gebe es vor Ort.
Medikamente seien selbständig einzunehmen. Es gebe auch einen kreisweiten Fahrdienst für die Patienten, die teilweise auch selbständig in die Klinik kämen. Dr. Bernbeck erläuterte auch das Raumangebot vor Ort und berichtete von acht Mitarbeitern im internen Team, wozu Psychiater, Psychologen, Ergotherapie, Sozialarbeiter, Chefarzt und Oberarzt gehörten und auch die Physiotherapie Unterstützung gewähre. Dazu gebe es auch Angehörigen- oder auch Patientengruppen. Dies schaffe auch die Möglichkeiten für die Zeit nach der Behandlung. Der Kontakt zu Familienangehörigen sei eine gute Entlassungsvorbereitung. Derzeit versuche man die Zahl der Plätze in der Tagesklinik von 15 auf 18 aufzustocken, rund 20 Patienten stünden auf der Liste. , mit 18 Personen sei allerdings das räumliche Limit erreicht.
„Mit einem differenzierten und umfangreichen Angebot versuchen wir den Nöten der Patienten gerecht zu werden“, warf Oberarzt Wiegand ein, es gebe kein Standardprogramm.
Eine ehemalige Patientin schilderte ihre Erfahrungen während eines acht- und eines weiteren 15wöchigen Aufenthaltes in der Tagesklinik. „Es hat mich viel Überwindung gekostet“, meinte sie sehr offen und wies auf die Gefahr von Stigmatisierung als Folgen psychiatrischer Behandlung hin. Dann kam für sie jedoch die Erkenntnis: „Man findet Solidarität und ein Zugehörigkeitsgefühl, die Tagesklinik war wie ein Schutzraum“. Es sei dort Hilfe bei Problemen angeboten worden, die lange vor sich hergeschoben wurden, zwischendurch hätte sie sich allerdings vor Ort Rückzugsmöglichkeiten gewünscht. Einschränkend meinte sie allerdings: „Die Visiten sind wie mündliche Prüfungen und bringen Stress“, sie schilderte auch ihre Erfahrungen mit dem TEK während des zweiten Aufenthaltes.
Oberarzt Wiegand lobte die zunehmende Sensibilität der Hausärzte gegenüber der Einrichtung und erinnerte daran, dass es vor einer Aufnahme auch Probetage geben könne.
„Die soziale Kompetenz ist eine Ressource, man kommt damit leichter durch Leben“, erläuterte Sigrid Poch. Vorhandene Ressourcen würden von den Betroffenen allerdings nicht gen genutzt, soziales Kompetenztraining schade oft auch gesunden Menschen nicht. Oft hätten die Patienten Schwierigkeiten bei Alltagsproblemen, es müsse allerdings eine Bereitschaft zur Gruppenfähigkeit und zur Mitarbeit bestehen und müsse in den Verhandlungsverlauf passen. Alternativen zu aggressivem Verhalten zu finden, den Umgang mit Stress zu verbessern und wieder Pläne zu machen, nannte die Referentin als Ziele der Behandlung. Behandelt würden auch Themen von der „Stange“. „Es gibt immer eine Zielklärung“, betonte Sigrid Poch, und zum Programm gehörten auch Rollenspiele.
Alle Anliegen, die mit sozialem Themen zu tun haben, gehören zu den Aufgaben von Ilona Becker-Wahl. Sie beschränke sich allerdings auf das Thema Arbeit, da der Großteil in diesem Altersbereich sei. Als große Mängel nannte sie fehlende Schul- oder Berufsabschlüsse, Fokus ihrer Tätigkeit sei eine Integration in den ersten Arbeitsmarkt. Wichtig sei es auch, dass Eltern von Patienten deren Einschränk-ungen wahrnähmen, oftmals sei das geforderte Maß zu hoch. Ein Arbeitsplatzverlust werde ebenfalls als sehr bedrohlich empfunden. Als Beschäftigungsmöglichkeiten nannte Becker-Wahl auch eine Umschulung, eine Tätigkeit in einer Werkstatt oder Tagesstätte. In diesem Zusammenhang sprach sie „von einer Akzeptanz des derzeit Machbaren“. Allerdings räumte sie auch ein: „Wir bräuchten einen Bereich als Training für den ersten Arbeitsmarkt“. Das Zusammenwirken verschiedener Berufsgruppen kommentierte sie wie folgt: „Ich bin froh, dass es so gut und entgegenkommend klappt“.
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