Examinierte Altenpfleger an der Vogelsberger Pflegeakademie verabschiedet„Ein einmalig wertvoller Beruf“
VOGELSBERG (ol). Auf den ersten Blick ist alles wie immer. Der Raum ist mit Luftballons und Luftschlangen geschmückt, auf der Tafel steht ein „Herzliches Willkommen“, die musikalische Einleitung fehlt ebenso wenig wie das obligatorische Theaterstück. Aber eben nur auf den ersten Blick. Denn Corona verändert alles – auch die jüngste Examensfeier an der Vogelsberger Pflegeakademie in Alsfeld.
Diesmal, so heißt es in der Pressemitteilung, sind die Absolventen und Dozenten unter sich – mit Mundschutz und auf Abstand. Ihre Familien sind nicht dabei, auch nicht die Vertreter der Pflegeeinrichtungen. Und doch ist es ein würdiger Rahmen, in dem die frisch gebackenen Fachkräfte für Altenpflege ihre Examenszeugnisse in Empfang nehmen können. „Wir sind froh, dass wir sie ausbilden durften“, sagt Schulleiter Thomas Müller, der den Absolventen auch im Namen von Landrat Manfred Görig gratuliert. 2.500 Stunden praktische Ausbildung liegen hinter den Absolventen, zudem 2.100 Stunden Theorie. Drei Jahre lang wurde auf das Examen hingearbeitet, das aus einer praktischen, einer schriftlichen und einer mündlichen Prüfung bestand.
Den Titel „examinierter Altenpfleger“ bezeichnet Müller als „Qualitätsbezeichnung“ und „Verpflichtung“ zugleich. „Dies gilt um so mehr, als dass die Altenpflege im Wandel begriffen ist und die Anforderungen ständig zunehmen.“ Aus ökonomischer und politischer Sicht werde immer mehr die multifunktionale Einsetzbarkeit von entsprechend ausgebildeten Pflegekräften gefordert. Das zeige die Einführung des neuen Pflegeberufsgesetzes nur sehr deutlich. Ob das gut sei, werde sich zeigen – „Sie allerdings sind echte Altenpflege-Fachkräfte!“, ruft Müller den Absolventen zu. „Ihre Ausbildung entspricht aktuell einem höheren Niveau als die zukünftige Altenpflegespezialisierung nach dem in 2020 in Kraft tretenden Pflegeberufegesetz.“ Für Müller steht fest: „Ihr Examen bleibt also auch zukünftig sehr wertvoll.“
Verantwortungsvolle Pflegekräfte in einem Spannungsfeld
Im Berufsleben, so Müller, müssten Prioritäten gesetzt werden im Sinne einer Pflege, die mehr ist als nur handwerkliches Können. Zwei Dinge müssten zusammenfließen: die medizinische und die soziale Pflege. „Das wir nicht immer leicht sein, denn recht verstandene Pflege darf nicht zu Lasten der sozialpflegerischen Aspekte gehen“, unterstreicht der Schulleiter. „Sie werden sich in einem Spannungsfeld bewegen, in dem es nicht leicht sein wird, verantwortungsvolle Pflegekraft zu sein.“ Sozialpflege bedeute Zeit, die letztendlich kaum abrechenbar sei und oftmals unberücksichtigt bleibe.
„Gerne möchten Sie mehr tun. Aber oft ist keine Zeit mehr für das, was den Menschen neben seinen leiblichen Bedürfnissen ja auch ausmacht, hat er doch auch geistige und seelische Bedürfnisse.“ Müller attestiert den Absolventen, sich eine „Menge Wissen“ angeeignet zu haben. „Doch in der Pflege kommt es – nebst Fachwissen – besonders darauf an, sich für die Menschen, für jeden einzelnen, für seine Krankheit und seinen allgemeinen Pflegebedarf gerade auch psychosozial zu interessieren.“
Mit der Ausbildung an der Pflegeakademie und in der Praxis ist „der Same gelegt für Ihre zukünftige Arbeit und ich bin der guten Zuversicht, dass die Saat in der weiteren Berufspraxis aufgehen wird“, zeigt sich Müller überzeugt, der den Absolventen viel Erfolg für den weiteren beruflichen Lebensweg wünscht – „in einem einmalig schönen Beruf und einem einmalig wertvollen Beruf“.
E – X -A – M -E – N, die Hess*innen kommen. Und jede(r) einmalig wertvolle(r) examinierte(r) Altenpflege*in kriegt eine tolle Sonnenblume, jawoll. Pusteblume wäre vielleicht ehrlicher gewesen. Denn mit der Wertschätzung des Berufs ist es inzwischen schon wieder Pustekuchen.
„Denn Corona verändert alles – auch die jüngste Examensfeier an der Vogelsberger Pflegeakademie in Alsfeld.“
Ist das wirklich so? Von Änderungen des äußeren Ablaufs der feierlichen Entlassung der examinierten Altenpfleger*innen in ihren „einmalig schönen“ und „einmalig wertvollen“ Beruf mal abgesehen, ist doch alles wie immer: Die ach so wertvollen Pflegekräfte sind nach wie vor unterbezahlt (natürlich keine Fest-Rede davon!), von den Arbeitsbedingungen her aber um so mehr gefordert (Zitat: „Sie werden sich in einem Spannungsfeld bewegen, in dem es nicht leicht sein wird, verantwortungsvolle Pflegekraft zu sein.“). Neue bürokratischen Vorschriften (siehe das 2020 in Kraft tretende Pflegeberufsgesetz), durch die das Berufsbild nun „im Wandel begriffen ist“ und „die Anforderungen ständig zunehmen“, waren schnell auf den Weg gebracht. Stichwort „multifunktionale Einsetzbarkeit“. Für alles weitere lässt man sich eine Menge Zeit. Ja, ja. Jetzt ist ein einheitlicher Tarifvertrag im (Selbst-)Gespräch des zuständigen Ministers. Und in einem Jahr ist erst mal Bundestagswahl. Tarifverträge an sich sind ja auch noch kein Fortschritt. Bei gleichen Voraussetzungen bekommen vielleicht alle gleich viel. Aber wird dies so viel sein, dass dies auch als gerecht empfunden wird? Und schon bastelt man an einer neuen Leichtlohngruppe (sog. Alltagshelfer*innen), die die qualifizierten Pflegekräfte entlasten sollen (https://www.sueddeutsche.de/politik/pflege-13-000-neue-stellen-1.3989948). Bezahlen sollen das alles die Pflegekassen. Die Pflegekosten der Heimbewohner dagegen sollen „gedeckelt“ werden. Eine Pflege-Vollversicherung auf gesicherter finanzieller Grundlage (staatlich finanziert) und aus einem Guss ist nicht zu erwarten. Künftige Sparzwänge aufgrund der Corona-Rekordverschuldung werfen ihre Schatten voraus. Da werden wieder viele faule Kompromisse geschlossen. Raten wir doch mal, zu wessen Lasten die wieder einmal gehen werden?