Ein Kettenbrief geht um und wirbt für Genesungswünsche für ein krankes Kind, aber:Den krebskranken Jungen gibt es gar nicht
ALSFELD (aep). Ein Brief erreichte das Alsfelder Rathaus dieser Tage mit einem unschuldig anmutenden Anliegen, das aber dennoch stutzig machte – und das zu Recht, wie sich herausstelle. Ein Kettenbrief sollte weiter geschickt werden, angeblich für den guten Zweck, einem kleinen Jungen zu helfen. Doch der Brief ist ein gutes Beispiel, das Misstrauen stets angebracht ist: Es ist ein Hoax, wie sie häufig in sozialen Netzwerken umgehen – eine Falschmeldung ohne Hintergrund.
Solche Fake-Meldungen halten sich im Internet hartnäckig, wohl weil sie reflexartig weiter verbreitet werden, ohne dass Absender darüber nachdenken. Ein bekanntes Beispiel ist ein weißer Kleinbus, der seit Jahren durch das soziale Netzwerk Facebook tourt und wechselweise angeblich zum Einfangen von Kindern oder Katzen dienen soll. Nichts von beidem ist wahr, aber geteilt und damit weiter geleitet, wird dennoch – und der Hoax, so das englische Wort für den „Scherz“ lebt weiter, seinen Schrecken verbreitend.
Die Technische Universität Berlin hat mittlerweile eine eigene Website für das Phänomen eingerichtet, auf der Interessierte nachschauen können, ob bestimmte Meldungen oder Postings bereits als Fälschungen bekannt sind – oder möglicherweise nicht gefälscht sind.
In diesem Fall hatte die Alsfelder Stadtverwaltung den Kettenbrief von einer Alsfelder Pflegeeinrichtung erhalten: Man möge doch der Bitte eines siebenjährigen österreichischen Jungen folgen, der mit einer Krebserkrankung im Landesklinikum Tulln an der Donau liegen soll. Er möchte mit der größten Anzahl Genesungswünschen ins Guinness-Buch der Rekorde kommen, heißt es. Die Stadt Alsfeld sollte einen Brief an das Klinikum schicken – und die Aufforderung dazu an zehn weitere Verwaltungen, Einrichtungen oder Firmen schicken.
Den krebskranken Jungen gibt es nicht
Das ist alles Humbug. Den Jungen gibt es gar nicht – aber der Kettenbrief hält sich seit über zehn Jahren und beschäftigt das Krankenhaus jeden Tag, erklärt die TU Berlin in ihrer Warnung auf der Hoax-Website zu diesem Fall. Bis zu 100 Briefe kämen dort jeden Tag an, in denen wohlmeinende Teilnehmer des Kettenbriefes den Wunsch des Jungen erfüllen möchten. Ein Mitarbeiter im Krankenhaus sei täglich Stunden damit beschäftigt, diese Briefe auszusortieren und zu entsorgen. Auch das Klinikum selbst warnt auf seiner Website vor der Teilnahme an der Aktion: Sie sei sinnlos.
Indes: Auch diverse Presseberichte – beispielsweise von der Rhein-Zeitung – können den Brief offenbar nicht stoppen. Dabei, so berichtet die TU Berlin, nehme das Guinnessbuch solche Rekorde gar nicht mehr auf, seit eine Postkarten-Aktion für einen krebskranken amerikanischen Jungen namens Craig Shergold Ende der 80er- Jahre völlig außer Kontrolle geraten war. Der Junge bekam mit 50 Millionen Postkarten einen Rekord zugesprochen – aber der Postkartenstrom ließ nicht nach. Die Familie musste umziehen, und bis 2007 sollen rund 350 Millionen Karten an der eigens dafür eingerichteten Postleitzahl-Adresse angekommen sein.
Nach einer Warnung aus dem Rathaus der Gemeinde Grebenhain, wo man offenbar darauf zunächst hereingefallen war, stand für die Mitarbeiterinnen im Alsfelder Rathaus fest: Dieser Brief wird nicht weiter geleitet. Oder wie die Bürgermeisterin von Bad Orb, Helga Uhl, in einem anderen warnenden Schreiben mitteilt: „Ich werde die Bitte in die Rundablage geben und empfehle bei ähnlichen Anfragen immer einen Blick auf die Seite der TU Berlin zu werfen.“
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