Lauterbachs Kult-Kneipe „Am Ankerturm": Wo Geschichte auf Gefühl trifft – EinblickeEin Gefühl wie zuhause in der Wohnküche
LAUTERBACH (lrn). Wenn man die steinerne Treppe hinaufsteigt, durch die beim Öffnen laut knarrende Eichentür schreitet, meint man, in einer anderen Welt zu sein: Ein dicker Vorhang soll den dahinter liegenden Gastraum vor Kälte und dem Windzug schützen. Dahinter befindet sich der 27 Personen umfassende Gastraum der Lauterbacher Kult-Kneipe „Am Ankerturm“ – das Lokal mit dem besonderen Flair von Tradition und Geschichte.
Die Traditionskneipe hat innen nur 32 Sitzplätze und ist oft bis auf den letzten Platz gefüllt, manchmal muss der Gast mehrere Anläufe machen, bis er überhaupt einen Platz bekommt, oder als Gruppe vorher reservieren lassen. Wirtsleute sind seit etlichen Jahren der gebürtige Eppsteiner Markus Menke und seine kroatische Frau Ana Zirdum. Der einzige große Gastraum mit Theke mutet an wie eine alte Wohnküche oder ein großes Wohnzimmer, bei dem vor Jahrzehnten die Zeit stehen geblieben ist. Draußen, gleich rechts neben der dicken Holztür, ist in einer Ecke nochmal eine Sitzecke, hier war früher ein Tante-Emma-Laden, in dem die Kunden fast rund um die Uhr während der Öffnungszeiten der kleinen urgemütlichen Kneipe alles für den täglichen Bedarf kaufen konnten. Die Gaststätte „Am Ankerturm“ strahlt in vielerlei Hinsicht ein besonderes Ambiente aus und ist in einem Jahrhunderte alten Fachwerkhaus direkt an der alten Stadtmauer des Vogelsbergstädtchens beheimatet, direkt rechts neben der Durchgangstreppe zum Marktplatz als Zentrum der Stadt befindet sich der legendäre Ankerturm.
Wie zurückversetzt in die Vergangenheit
Besonders in der Nacht, wenn die Gebäude angestrahlt werden, bietet die ganze Szenerie von der Lauter her kommend, ein Gefühl, die den Betrachter weit in die Vergangenheit zurückversetzt und Romantik ausstrahlt. Am sogenannten Graben zwischen Lauter und dem Zentrum Lauterbachs befindet sich auch der älteste Teil der Vogelsberger Kreisstadt mit zahlreichen sehr schnuckligen und kleinen Fachwerkhäuschen. Früher einmal stand der „Anker“ sogar auf Stelzen und unter dem Gebäude floss der offene Mühlgraben darunter durch, das jetzige Gebäude sei durch mehrere Bauabschnitte erst entstanden, erinnert sich sein jetziger Besitzer Markus Menke. Der Status des alten Fachwerkhauses, unter Denkmalschutz zu stehen, ist zum einen Segen, zum anderen aber auch ein Fluch. Denn an dem Gebäude und seinem Interieur darf nichts verändert werden. „Das Haus an der Porttreppe, neben dem Turm und im Schutze der Stadtmauer stehend, ist in seinem Ursprung sicher eines der ältesten Häuser „Am Graben“ in Lauterbach, schreibt Karl-Heinz Hanitsch in seinen 2005 erschienenen Lauterbacher Geschichten „Wie es damals war!“ – Erinnerungen an die traditionsreiche Kneipe „Am Ankerturm“. Weiter heißt es dort: „Ende des 19. Jahrhunderts befand es sich im Besitz der Familie Stumpf, die hier eine Wirtschaft und Spezereihandlung betrieb.
Diese Familie hat in Lauterbach bis auf den heutigen Tag eine gewisse Berühmtheit erlangt, und zwar durch die Musik. Reinhard Stumpf wurde der bekannte Stadtmusikus, er leitete die Stadtkapelle und komponierte den bekannten Lauterbacher Strumpfwalzer, dem er das Volkslied „In Lauterbach hab´ich mein´ Strumpf verlor´n“ unterlegte. Sein Bruder Hartmann, der die Gastwirtschaft betrieb, spielte in der Stadtkapelle mit, wurde als Komponist des „Lauterbacher Turnermarsches“ bekannt. Da er auch noch andere Instrumente beherrschte, wurde ab und zu, etwa bei einem Geburtstag eines Stammgastes, ein Ständchen gespielt, und es ging lustig zu am Ankerturm. Im Jahre 1904 wurde das Haus „Am Graben“ Nr. 14 angeboten und ging in den Besitz meiner Großeltern Heinrich Listmann III. und seiner Ehefrau Elisabeth über. ……Auf Grund seiner beruflichen Kenntnisse und liebenswürdigen Art im Umgang mit Wirtsleuten und ihren Gästen bot ihm 1904 Hartmann Stumpf an, das Haus am Ankerturm mit Gastwirtschaft und Spezerei zu kaufen, damit er sich selbständig machen könnte. Nach reiflicher Überlegung nahmen meine Großeltern das Angebot an und kauften das Haus. Es wurde gründlich renoviert und Wirtschaft und Geschäft im Februar 1905 neu eröffnet…….
Eine Ära ging Anfang der 90er Jahre zu Ende
Eine Ära ging Anfang der 90er Jahre zu Ende, als Walter und Liesel Hanitsch die seit 1952 von Großmutter „Settchen“ übernommene Gastwirtschaft aufgaben und sich zurückzogen, Walter Hanitsch war immer der Meinung, „dass ein gut gezapftes Bier etwa sieben Minuten braucht, bis es dem Gast serviert werden kann“. Da gab es sogar den einen oder anderen Gast, der im Winter sein Bier nur angewärmt trank und vor dem Servieren das Glas in einen mit warmem Wasser gefüllten Topf mit Henkel eingetaucht wurde. Früher stand auf der Theke noch ein Glas voller Soleier, und Walter Hanitsch und einige Nachfolger servierten ihren Gästen „Duppebrote“. Danach gab es bei den Wirtsleuten mehrere Wechsel, bis 1998 Markus Menkes Mutter Gerda den „Anker“ pachtete und Sohn Markus die Geschäftsführung übernahm. Markus Menke hatte zuvor in einem benachbarten Lokal rund zweieinhalb Jahre als Angestellter gearbeitet, 1999 erhielt der gelernte Koch dann Unterstützung durch seine „gute Seele“ Ana, die er später auch heiratete. Markus Menke übernimmt das Kochen, und Ana den Ausschank und das Bedienen, zusammen ein gutes und eingespieltes Team.
Während Markus Menke „Chef“ in der kleinen nur 15 Quadratmeter großen Küche ist, kümmert sich Ehefrau Ana Zirdum um den Service.
2005 kaufte Menkes Mutter den „Anker“, und es wurden umfangreiche Sanierungs- und Modernisierungsarbeiten vorgenommen, 2009 übernahm Markus Menke von seiner Mutter das Lokal und betreibt es nun zusammen mit seiner Frau. Der gelernte Koch Menke, Jahrgang 1967, er hat im bekannten Hotel Steigenberger gelernt, meint auf eine entsprechende Frage, was das Besondere an seinem Lokal sei, „es ist die Einfachheit, weil es wie zuhause in der Wohnküche ist“. Die alten Deckenbalken, die eingerahmten Bilder, Zeitungsabschnitte und Wappen bekannter Lauterbacher an den Wänden, ein beleuchteter Ankerturm in der Ecke, das Sofa, der runde Stammtisch, der alte Ofen mit langen silbernen Ofenrohr, die urige Theke, das alles erinnert an lang vergangene Zeiten.
Auch Hans-Dietrich Genscher war schon da
„Das Ausgehverhalten hat sich aber verändert“, sagt Wirt Markus Menke. Denn heute überwiege an Stelle des früheren „Bierglas- heute eher das Speisegeschäft. Die Feierabend-Schoppetrinker seien komplett weggebrochen durch die Absenkung der Promillegrenzen. Auch das Rauchverbot habe sich bei ihm negativ bemerkbar gemacht. Aber der Kultstatus der alteingesessenen Kneipe mit ihrem besonderen Flair bringt immer wieder ein „volles Haus“, dazu gehören nicht nur die Hautevolee der FDP mit dem ehemaligen Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher an der Spitze. Auch der berühmte Lauterbacher Sanierungsanwalt Wilhelm Schaaf und unzählige andere Prominente und die Vogelsberger Politpromienz, die auf dem berühmten Sofa gesessen haben. Auch die bekannten „Ludderbächer Saalzekuchejonge“ hatten dort viele Jahre ihr Vereinslokal und feierten unlängst im „Anker“ ihren 50. Geburtstag. Vereine, Stammtische, unzählige andere Gruppen, weit weg wohnende Kreisstädter, die in Lauterbach zu Besuch sind, und viele andere kommen immer wieder in die kleine urgemütliche Kneipe und genießen seine besondere Atmosphäre. „Das Bier schmeckt hier gut“, es gebe immer frische Schoppe, scherzt Gastwirt Markus Menke und auch die Tatsache, dass „jedes Essen individuell hergestellt wird und damit gewährleistet ist, dass alles frisch zubereitet wird“ gewährleistet die Beliebtheit des Ankers.
Jährliche Wahl eines Anker-Bierkönigs: Die Gaudi-Veranstaltung, fand 2013 bereits zum zehnten Male statt. Archivfoto: lrn
Auch Aktionen, wie die jährliche Wahl eines Anker-Bierkönigs, das Pendant zur Bierkönigin, ist am Prämienmarkt ein besonderes Highlight. Dieses Jahr wurde wegen des Fußballs einmal ausgesetzt. Er empfiehlt seinen Gästen, die nicht gleich einen freien Sitzplatz in der kleinen Kneipe finden können, vorher zu reservieren oder es öfters zu probieren. Das Lokal sei halt klein, die Sitzplätze an den wenigen Tischen relativ begrenzt und somit schnell besetzt. Draußen hat er nochmal die gleiche Anzahl an Plätzen in einem Biergarten, doch ist der Biergarten offen und besetzt, bleibt die Kneipe dicht, denn bei Regen können seine Gäste dann nach innen umziehen. Bei größeren Sportereignissen, wie die WM, stellt er draußen auch mal die rund zehn Quadratmeter große Leinwand zum Fußballschauen auf.
Die kleine, aber feine Speisekarte, umfasst 14 Gerichte und ein paar Sonderheiten, das alles zaubert Markus Menke in der nur rund 15 Quadratmeter großen Küche zurecht, Ehefrau Ana schleppt dann das Essen weg und serviert es den Gästen. Draußen links neben dem Eingang sind einige Schiefertafeln, auf denen eine Auswahl der Speisen aufgeschrieben ist. Das Lokal ist bis auf dienstags jeden Tag ab 16 Uhr geöffnet, immer wenn die beiden Laternen recht und links über der stabilen Holztür brennen, dann hat Markus Menke seinen „Anker“ geöffnet.
Dreimal hat man versucht, in das kleine Lokal einzubrechen und dabei wurde aus dem Keller sogar „Feuerwasser“ mitgenommen. Doch seit er die Spielautomaten wieder aus dem Gang geschafft hat, ist wieder Ruhe eingekehrt. Wenn der Gast mal müssen muss, geht er meist rechts von der Theke vorbei durch eine Tür nach links, auf dem Weg zur Toilette schauen ihm dann von den Wänden auf beiden Seiten die zehn Bierkönige und von der anderen Seite die über 25 weiblichen Pendants aus Fotos herunter zu. Markus Menke und seine Frau Ana verdienen in dem historischen Fachwerkhaus nicht nur tagtäglich ihre „Brötchen“, das sympathische und freundliche Ehepaar wohnt auch direkt im Obergeschoß über seinem Lokal. Auf die Frage, wo seine Heimat denn sei, meint Markus Menke überzeugend „Ich bin Lauterbacher geworden“.
Weitere Informationen unter www.ankerturm.de
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