Warum Redakteur Axel Pries Fußball gar nicht schaut, aber bei der WM doch mitfiebert„WM“ ist wie Weihnachten: Der Baum muss brennen
Wie sagte der berühmte englische Profi-Kicker Gary Line…-Dings mal so schön: „Fußball ist ein Sport, bei dem 22 Männer hinter einem Ball herlaufen und Deutschland gewinnt.“ Ich würde dieser weitblickenden Ansicht die Weisheit hinzufügen: Fußball ist die Sportart, bei der 50 von 80 Millionen Deutschen das ganze Jahr über sagen, ‚interessiert mich nicht‘, um dann, wenn die Weltmeisterschaft ansteht, doch geschlossen vor dem Fernseher mit ‚den Jungs‘ mitzufiebern. So einer bin ich auch.
Bis heute, bis zum Eröffnungstag, war ich weit davon entfernt, so etwas wie Fußballfieber zu empfinden. Die WM? Ja, die kommt wohl bald. Ist das nicht die von alten Männern gemachte Großveranstaltung, um die so viel gestritten wird? Demos, Kritik und Korruption? Der Kopf fragt: Müssen so viele Opfer für vier Wochen hochkommerziellen Sport eigentlich sein? Der Fußballbauch schweigt dazu.
Das war mal anders. Es gab Zeiten in meinem fortgeschrittenen Leben, in denen ich für gute Fußballspiele zwischen Kreis- und Bundesliga alles stehen und liegen gelassen habe. In denen ich regelmäßig die Arenen meiner Idole besuchte, die damals noch Volksparkstadion, Stadion Am Bökelberg, Müngersdorfer Stadion hießen und nicht auf jeder Eintrittskarte Werbung für irgendeinen Generalsponsor machten. Am Geißbockheim bin ich dem legendären Hennes Weisweiler begegnet und habe in Mönchengladbach einem jungen Mann beim Training zugeschaut, der später als „Loddar“ richtig berühmt geworden sein soll. Da war ich selbst noch richtig jung. Das war auch eine Zeit, in der ein Kevin Keegan beim HSV noch eine Ausnahme darstellte. Nicht nur als Talent, sondern auch als ausländischer Kicker. Deutsche Bundesliga hieß damals noch: Die Mannschaft musste schon weit überwiegend deutscher Nation sein.
Es hat gar nichts mit Nationalismus zu tun, dass die Öffnung der Bundesliga für ausländische Spieler ein Grund für mein schwindendes Interesse war. Dänischen, englischen oder den wenigen italienischen Spielern in deutschen Teams habe ich schon zugejubelt, als „Schweini“ noch nicht auf der Welt war. Es war mehr die Beliebigkeit hinter dieser Veränderung, die mich abschreckte – eine durch zunehmende Kommerzialisierung befeuerte Beliebigkeit im Fußballroulette: Bundesliga ist, was die Vereine auf dem Weltmarkt kaufen können.
So klingt es ja auch: Ribéry, Robben, Pizarro schießen beim FC Bayern die Tore. Olic beim VfL Wolfsburg, Huntelaar auf Schalke. Und nächstes Jahr sind sie vielleicht alle weg, weil woanders mehr bezahlt wird, und man trifft sie im Europapokal wieder: beim FC Arsenal, Inter Mailand, Real Madrid. Manchmal habe ich beim eher zufälligen Blick in die Sportschau den Eindruck, die deutsche Nationalmannschaft dient dazu, auch deutschen Fußballern mal einen TV-Auftritt zu bescheren. Da dürfen sie auch mal ran. Und dann die Summen: zehn, zwanzig, 50 Millionen Euro werden für einen Mann bezahlt, der mit Schuhezubinden schon mehr verdient, als die Deppen im Jahr, die ihm von der Tribüne zujubeln. Das ging mit meinem reifenden sozialen Gewissen ja gar nicht.
Ist doch WM: Da probiert auch Redaktionsassistentin Janine Weppler mal die Kleidsamkeit von Schwarzrotgold.
1990 – ja, da habe ich dem Kaiser Franz noch zugejubelt, wie der nach dem Finalsieg über Argentinien ganz alleine genießend durchs halbdunkle Stadion spazierte. Der hatte auch Pepp ins Rasenschach der Achtziger gebracht. 1994 in den USA, als die Amerikaner – Anhänger so undurchschauberer Sportarten wie Baseball und Football – meinten, Tore müssten im Minutentakt fallen, da schaute ich nur mit halben Auge hin. Und 1998 fand ich mich bestätigt, als das Turnier in Frankreich erst schön wurde, nachdem die Deutschen endlich ausgeschieden waren: langweilig und doof. War dazwischen noch was… jedenfalls fand ich mich erst 2006 plötzlich wieder unter den Jublern: Ja, das Sommermärchen! Deutschland einig Fußballland, wahrlich würdiger Gastgeber, gut gelaunt, entspannt und auch noch erfolgreich! Jedenfalls als Weltmeister der Herzen. Ich entdeckte die Gemeinschaft stiftende Kraft des Fußballs für mich wieder. Völkerbindend. Unpolitisch.
Aber die Jahre sind lang, wenn auch Südafrika mir rückblickend nicht so weit her scheint. Und die Skandale kommen wieder: Katar darf auch mal ran als WM-Gastgeber. Sonne, Sand, Milliarden und sonst nix. Warum nicht gleich noch für olympische Winterspiele? Wieviel Millionen mag die Entscheidung gekostet haben? Brasilien scheint aus der weltweiten Empörung bei ähnlichen Gelegenheiten auch nichts gelernt zu haben: Die Ausbeutung, Vertreibung der einfachen Menschen beschert König Fußball reichlich Schelte. Da soll Vorfreude aufkommen…
Indes: Kritik im Vorfeld gab es schon immer. Ich erinnere mich an Argentinien 1978: die Spiele im Land der mörderischen Militär-Junta. Mexiko 1986: Ist da nicht auch ein armes Land, in dem Bauern den Stadien weichen mussten? Südafrika, ein Land mit mehr Armut als Fußball-Interesse baute Arenen, die hinterher niemand mehr braucht. Welches Land ist so rein im Geist und sauber im Tun, dass jede Kritik abprallt? Das wären Fragen, die vielleicht einmal geklärt werden müssten.
Aber nicht heute Abend. Weil: Mit der Fußballweltmeisterschaft geht es mir ein bisschen wie mit Weihnachten. Die Vorfreude kommt erst auf, wenn der Baum brennt. Der brennt, habe ich heute gemerkt. Es ist immer noch ein Nachglühen von 2006. Und nun interessiert mich doch, was Klose, Schweini, Götze und Co. zu bieten haben, wenn sie nicht gerade ihre WG-Pläne im Fußballcamp absprechen. Nun will ich ein bisschen an dem Pomp teilhaben, den der Milliardenkonzern Fifa bei der Eröffnung verströmt, um danach mal zu schauen, was der einzige ernsthafte Gegner Deutschlands (nicht Kroatien!) zu bieten hat. Ich will den Fußball rollen und Deutschland siegen sehen!
Das kann ich so vollmundig behaupten, denn bis hierher liest eh keiner mehr, denke ich mir – ist doch WM-Beginn heute. Jetzt! Und da will ich nun auch hin und höre deshalb sofort auf.
Ihr Axel Pries
Netter Kommentar zur WM.