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Auf dem 4. Alsfelder Unternehmertag war die "Digitale Transformation" das Thema - Bürgermeister Stephan Paule sprach über die StadtentwicklungGrundbedürfnisse professionell bedienen

ALSFELD (cdl). Die „Digitale Transformation“ und was Unternehmen in diesem Zuge wirklich tun müssen, war das Vortragsthema von Professor Dr. Gerald Lembke auf dem 4. Alsfelder Unternehmertag am Freitagabend in der Hessenhalle. Rund 100 Gäste aus Gewerbe und Einzelhandel waren der Einladung der Stadt Alsfeld gefolgt.

Wie in den Jahren zuvor begann der Unternehmertag mit dem jährlichen Vortrag über die Wirtschafts- und Stadtentwicklung von Bürgermeister Stephan Paule. Zunächst war er für die Imagebroschüre der Stadt. „Bitte geben Sie die Imagebroschüre an Kunden und Geschäftspartner weiter. Darin werden Netzwerke und Zusammenarbeit erkennbar. Sie ist in ein mediales Gesamtkonzept eingebettet“, so Paule. Im Anschluss zählte er die verschiedenen Kommunikationskanäle der Stadt und schilderte welchen großen Eindruck bei Ansiedlungsinteressenten sämtliche zur Verfügung stehenden Gewerbeflächen der Stadt in 3D und per Luftaufnahmen machen würden.

„Nichts ist so beständig wie der Wandel“, so Paule. „Es ist Spiel und Bewegung drin, das gehört zu einem aktiven Wirtschaftsleben dazu“, leitete er die Veränderungen innerhalb der Stadt im vergangenen Jahr ein. Zunächst wies er auf die zuletzt auf den Weg gebrachten Förderprogramme zur Sanierung der Altstadt und das „Mietfreie Startquartal“ gegen den Leerstand in der Innenstadt hin. Hinzu komme die geplante Gründung eines sogenannten BID, wie Mitte September in der Stadthalle vorgestellt.

Stephan Paule stellte die positive Stadtentwicklung in den Vordergrund seiner Rede.

Erfreuliche Neuansiedlungen im vergangenen Jahr

Beim Thema Breitbandausbau sprach er seine Anerkennung für Landrat Manfred Görig aus, der die Telekom von einem flächendeckenden Ausbau im Vogelsbergkreis überzeugt habe. Alsfeld gehöre zu den Ersten, die ausgebaut werden sollen. Schnelles Internet werde von vielen Privaten nachgefragt, aber für viele Firmen sei der Ausbau existenziell. Dabei machte er auch auf die Eigeninitiative einer Firma für den marktgetriebenen Ausbau von Glasfaser speziell für die Unternehmen aufmerksam. In den kommenden Wochen werde das Interesse bei den Firmen angefragt, ob sie Glasfaser bis ins Firmengebäude möchten. Er bat darum die Anfrage, sobald sie vorliege schnell zu beantworten.

Abschließend führte Paule sämtliche Neuansiedlungen oder Umzüge von Unternehmen innerhalb der Stadt im vergangenen Jahr auf. Erst kürzlich wurde bekannt, dass das Hafu in den alten Thomas-Philipps-Markt einzieht. Ebenso brandaktuell die Nachricht, dass ein weiteres Fitnessstudio in Alsfeld eröffnet und das die Firma Autoteile Ruhl ins Industriegebiet Ost umziehen wird. Außerdem nannte Paule das Postgebäude, die Mainzer Gasse 4, den Stabilo Baumarkt, das Jagd-Zentrum, Schotty´s Möbelkiste, die Drogerie Müller, das Beauty Stübchen und den Umzug von Bell Equipment. Insbesondere hob Paule jedoch das Casino Carré als einen markanten Ort in Alsfeld hervor. Das sei das erste Projekt, das Wirtschaftsförderer Uwe Eifert und er komplett begleitet habe.*

Auf die Zuhörer wartete ein langer Vortrag.

Digitale Welt steckt in Kinderschuhen

Mit vielen Vorschusslorbeeren wurde Dr. Lembke angekündigt. „America First hat heute Donald Trump bei seiner Amtseinführung erneut gesagt. In Deutschland haben wir in den letzten zwei bis drei Jahren das Thema digital first“, so Dr. Lembke. Er selbst sei seit 25 Jahren und somit sein halbes Leben auf diesem Gebiet tätig und somit ein echter Nerd. In seinen fast zweistündigen Vortrag stieg er mit einem jüngst fehlgeschlagenen Kauf einer Waschmaschine bei Amazon ein. „Wir wollen eine digitalisierte Welt bauen, aber der Marktführer bekommt es nicht auf die Reihe einen kundenfreundlichen Prozess zu gestalten“, so sein erstes Zwischenfazit. Die Waschmaschine habe er dann schließlich bei einem Großhändler vor Ort gekauft.

Sein nächster Punkt war das sogenannte Smarthome. „Ein Freund von mir ist ein digitaler Nerd, hat aber eine analoge Frau. Das wundert mich bis heute“, so Dr. Lembke. Dieser Freund habe ein komplett automatisiertes Haus im Sinne eines Smarthome. Dieser Trend komme nicht aus dem Silicon Valley, sondern sei in Deutschland bei den Automatisierern ein ganz großes Thema. Für das Silicon Valley sei dieser Markt viel zu klein. „Bestellt Dein Kühlschrank auch bei Amazon Bier, wenn es leer ist“, habe er seinen Freund gefragt. „Nein, aber bei Rewe geht das“, sei die Antwort des Freundes gewesen. „Bei allen Chancen, die sich durch die Digitalisierung ergeben, verplemperten wir damit Zeit. Digital ist ein alter Hut. Zuerst war die Dampflok da und dann die Eisenbahnstrecke. Heute ist das genau umgekehrt. Erst ist die Strecke da, aber wir wissen nicht, wie wir die Strecke befahren sollen“, so Dr. Lembke.

Digitale Revolution durch das Smartphone

Besonderes Augenmerk legte der Referent in seinem Vortrag auf das Smartphone. Früher habe man noch anrufen müssen oder sogar bei einem Freund an der Haustür klingen müssen, um gemeinsam etwas zu unternehmen. Das Smartphone mache uns alle bequem. „Wenn wir von der Digitalen Revolution reden, ist das Smartphone unser Lieblingsgerät. Kein Gerät hat den Massenmarkt so schnell durchdrungen wie das Smartphone. Das Ganze ist noch keine zehn Jahre her“, erklärte Dr. Lembke.

Es folgten jede Menge statistische Erhebungen über die Nutzung der kleinen Alleskönner und wie man, anstelle produktiv zu werden seine Zeit mit den Geräten vergeude. Er selbst verbringe viel Zeit damit, „aber ich bin nicht produktiver geworden“. Im Schnitt nutze jeder Deutsche das Gerät im Schnitt 3,5 Stunden am Tag und die jüngeren Nutzer kämen sogar auf 6,7 Stunden im Tagesdurchschnitt. Interessanterweise habe aber die Altersgruppe der 29 bis 45 Jährigen den höchsten Datenverbrauch und das zu meist während der Arbeitszeit. Früher sei der Kaffeeklatsch der Zeitkiller in Unternehmen gewesen und heute führe das Smartphone zur Unproduktivität. Die häufig genutzteste App sei Facebook, aber die Facebook-Nutzung sei nicht produktiv.

„Befriedigt werden andere Bedürfnisse als betriebliche Bedürfnisse“, so Dr. Lembke. Die Auswertung vieler Statistiken zeige genau, was die Nutzer konsumieren und das seien leichte Inhalte, wie lustige Videos auf Youtube. „Auf Youtube werden ganz essenzielle Fragen menschlichen Zusammenseins besprochen“, machte Dr. Lembke mit ironischem Unterton an einem Beispielvideo deutlich.

Für Unternehmen Nutzen gering – sehr schwierig Aufmerksamkeit zu bekommen

Wie könne man das jetzt als Firma nutzen, wenn man wisse, was die Konsumenten an ihrem Smartphone tun? Obwohl Medien zum Digitalisieren aufforderten und mittlerweile sogar die Bundeskanzlerin von der Digitalen Revolution spreche. Jeder erzähle den Unternehmen, sie bräuchten ein Imagevideo und nach drei Monaten hätten sie 350 Klicks. Die Klickraten bei Firmen seien weit unter 0,1 Prozent und 99 Prozent aller Bemühungen würden versickern. „Die Algorithmen bestimmen, was gesehen wird und was nicht“, so Dr. Lembke.

Es habe sich herumgesprochen, dass man keine Hardfacts präsentieren sollte, sondern emotionalisieren müsse. Das sei aber im Internet die Königsdisziplin. Bei einem TV Spot habe man noch ein Alleinstellungsmerkmal, weil der Sendeplatz reserviert ist. Bei Youtube gehe das unter. Daher müsse alles genauso vermarktet werden, wie ein physisches Produkt.

lembke

Dr. Lembke griff viele unterschiedliche Themenbereiche auf.

Schwerer Stand bei Mittlerständlern bei der Digitalisierung Lembke

Auch bei neuen Trends hätten es Mittelständler schwer, denn man wisse nie, was sich davon durchsetze. „Mittelständler sind froh, wenn sie eine gescheite Internetseite hinkriegen“, betonte Dr. Lembke. In Unternehmen bis 150 Mitarbeiter wisse praktisch keiner, wer für Digitalisierung zuständig ist. Bei den Schlagworten wie Big Data, Industrie 4.0, Smart Home, Sharing Economy gebe es null einheitliches Verständnis über diese Begrifflichkeiten.

Kein gutes Haar ließ Dr. Lembke an der Bundesregierung und deren Protagonisten im Bereich Digitalisierung. Das Einzige, was in der Digitalen Agenda der Koalition drin stehe, sei der Breitbandausbau. Bei allen anderen Dingen scheine es politischer Wille zu sein das Silicon Valley nach Deutschland zu bringen, aber dieser Zug sei längst abgefahren. Dort könne man mittlerweile auf 45 Jahre Erfahrung zurückgreifen.

„Was wollen sie mit der Digitalen Transformation erreichen“, fragte Dr. Lembke. In Besprechungen käme dann immer wieder das Stichwort Big Data auf. Das sei nur allzu verständlich, weil Google und Facebook es vormachten. Er selbst habe mit den gesammelten Daten von Google Dinge über sich herausgefunden, die er selbst noch nicht gewusst habe. Ein Blick in die Daten habe ergeben, dass er immer zu spät zur Arbeit losfahre und durchschnittlich 22 Minuten brauche, war eines seiner Beispiele.

Viele Konzerne würden heute bereits auf Marktforschung verzichten, sondern die benötigten Daten direkt bei Google oder Facebook einkaufen. „Mehr Daten verschaffen dir mehr Kunden, die geben dir mehr Daten, wodurch du mehr Kunden bekommst, und so drehst du das Rad immer weiter“, zitierte er einen Marketingexperten. Für den Mittelstand und nach deutschen Datenschutzbestimmungen sei das aber fast nicht zu realisieren.

„Disruptive“ im Silicon Valley dagegen evolutionär in Deutschland

Richtig interessant waren die Erklärungen über die verschiedenen Denkansätze. Im Silicon Valley heiße das Zauberwort „disruptive“. Stark vereinfacht gesagt geht es dort um skalierbare nicht physische Erfindungen, die einen hohen Gewinn bringen. „Disruptive“ bedeute aber auch, dass die Mitarbeiter immer weniger kriegen. Das würden die Beispiele Uber und AirBnB zeigen. Die App verdient das Geld für den Unternehmer und die Dienstleister, wie der Uber-Fahrer fallen dabei hinten runter. Ähnliches sei bereits im Bankensektor zu beobachten, weil in den USA die Konzerne wie Apple und Google für ihre digitalen Bezahldienste einfach eigene Banken eröffnen könnten, mache sich die Deutsche Bank bereits jetzt große Sorgen. Der Mittelstand in Deutschland denke in keinster Weise „disruptive“, sondern evolutionär. Dort würde Bestehendes stetig weiterentwickelt.

Gegen Ende seines Vortrags wurde es schlagartig beispielhafter und er zeigte auch heute noch schlecht gemachte Webseiten mit unübersichtlicher Navigation und grauenhaften Farben. Gerade eine vernünftige Webseite könne auch heute noch helfen und müsste zum Zielpublikum passen. Wer eine junge Zielgruppe ansprechen möchte, könne nicht in seinem für die Seite produzierten Video auf Volksmusik setzen. Wichtig sei immer noch, die digitalen Möglichkeiten für eine zielgerichtete Imagekampagne zu nutzen.

„Wir haben keine digitale Revolution und werden in Deutschland auch keine haben. Am Ende der anderen Leitung steht immer ein Mensch. Es geht darum, Grundbedürfnisse des Menschen professionell und ernsthaft zu bedienen. Ich jedenfalls werde keine Waschmaschine mehr bei Amazon kaufen“, schloss Dr. Lembke.

Gespaltene Reaktion auf Dr. Lembkes Ausführungen

In den Gesprächen nach dem knapp zwei stündigen Vortrag waren die Reaktionen gespalten. Einig waren sich jedoch allen in einem Punkt: Der Vortrag war zu lang. Ansonsten reichten die Reaktion von nicht zielgruppenspezifisch, trotz der Länge kurzweilig, nicht peppig genug, zu speziell, sehr informativ, nicht zielgerichtet bis spannend und detailreich. Darüber hinaus fehlten einigen Befragten die konkreten Handlungsanweisungen. Eine Unternehmerin brachte es auf den Punkt: „Ich habe den ‚Aha-Effekt‘ vermisst.“

 

*Die Neuansiedlungen und Umzüge innerhalb Alsfelds ohne Anspruch auf Vollständigkeit

Ein Gedanke zu “Grundbedürfnisse professionell bedienen

  1. Dr. Lempke hat in so vielen Dingen recht. Ich hätte seinen Vortrag gerne selbst gehört. Dank eines sehr gut geschrieben Artikels, habe ich aber einen guten Eindruck erhalten. Vielen Dank!

    Erschreckend finde ich am Ende das Fazit der Veranstalltung. Dieses negative Feedback gehört langsam zum guten (schlechten) Ton der Deutschen. Man erwartet Handlungsempfehlungen….ich wette, wenn Dr. Lempke diese ausgesprochen hätte, wäre das Feedback gewesen, dass man das auf sein Unternehmen nicht anwenden kann.

    Und ich vermute, dass deswegen keine Handlungsempfehlungen gemacht worden sind. Individuell auf sein Unternehmen schauen und die Anregungen umsetzen oder es eben bleiben lassen.

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