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KOMMENTAR zur Kommunalwahl 2021Bürgermeister als Spitzenkandidaten? Das ist Wählertäuschung!

MeinungVOGELSBERG. Bei den Kommunalwahlen treten immer wieder Kandidaten an, die ein Mandat eigentlich gar nicht annehmen können, Bürgermeister beispielsweise. Nicht selten sind die sogar auf Platz 1 der Listen zu finden. Der Wähler wird damit bewusst in die Irre gefühlt, kommentiert OL-Redakteurin Luisa Stock.

Legt Alsfelds Bürgermeister Stephan Paule sein Amt als Bürgermeister nieder? Oder tut es Romrods Bürgermeisterin Birgit Richtberg? Wird Grebenaus Bürgermeister Lars Wicke nach der Wahl am Sonntag nicht mehr Stadtoberhaupt sein? Nein, wahrscheinlich käme niemand dieser drei Spitzenkandidaten auf diese Idee. Müssten sie aber eigentlich – jedenfalls, wenn sie ihr Mandat annehmen würden.

Beispielhaft stehen Paule, Richtberg und Wicke nämlich für das, was man auch Scheinkandidaten nennt. Zugegeben, es ist eine ziemlich gängige Praxis und ist tatsächlich auch nicht ungesetzlich. Das Wahlrecht verbietet es Bürgermeistern nicht, sich als Kandidaten für das Stadtparlament oder aber die Gemeindevertretung aufstellen zu lassen. Sie können aber die Wahl nicht annehmen – oder müssten, wenn sie sie annehmen wollten, das Amt als Stadtoberhaupt niederlegen.

Bürgermeister vertreten in den kommunalen Gremien die Verwaltung, nicht die Bürger. Dieses Amt und das Mandat eines Stadtverordneten oder ähnlichem müssen voneinander getrennt werden, so schreibt es das Gesetz vor. Gleiches gilt im Übrigen auch für Landräte bei Kreistagswahlen.

Wer will was im Vogelsberg? Der OL-Wahlhelfer verschafft den schnellen Überblick

Was passiert also mit den Stimmen, die an diese Scheinkandidaten vergeben werden? Sie gehen weiter auf Kandidaten, die im Zweifel vielleicht nicht so viele Stimmen gesammelt hätten. Egal also ob rechtlich legitim: Der Wähler wird getäuscht oder jedenfalls in die Irre geführt. Auch wenn man an dieser Stelle damit argumentieren könnte, dass es den Wählern ja bewusst sein müsste, dass ein Bürgermeister nicht als Stadtverordneter antreten kann – zwischen all den vielen Namen auf so einem Wahlzettel klammert man sich doch viel wahrscheinlicher an bekannte Personen.

So hat Paule, der 2016 schon auf Platz 1 der CDU-Liste stand, damals mit 7.188 Stimmen die meisten Stimmen überhaupt bekommen. Auch Wicke bekam 2016 als Spitzenkandidat für die Freien Wähler mit 1.805 die meisten Stimmen, genauso wie Richtberg in Romrod mit insgesamt 2.140 Stimmen.

Und genau mit diesem Bonus gehen die durchaus oftmals bekannten und beliebten Namen auf Wählerjagd und verschaffen ihrer Partei im Wahlkampf durch das rechtlich legitime, aber moralisch verwerfliche Ausnutzen eines Amtsbonus einen Vorteil, den andere Parteien nicht haben. 

Görig ist auf den Plakaten, aber nicht auf der Liste

Argumentiert wird hier oft mit einem symbolischen Schritt, der Verbundenheit und gegenseitige Unterstützung zwischen Bürgermeisteramt und Partei verdeutlichen soll. Warum aber wird nicht klarer kommuniziert, wie die Regeln aussehen? Weil spätestens an dieser Stelle dem Wähler bewusst würde, dass seine Stimmen hinter dem bekannten Namen nichts wert ist – beziehungsweise nur die Liste dahinter stärkt.

Mit Verlaub, Unterstützung der Partei kann auch anders gehen. In Schotten beispielsweise hat sich die SPD-Bürgermeisterin Susanne Schaab ebenfalls auf die Liste setzen lassen – allerdings auf einem der hinteren Plätze und nicht an die Spitze. Auch Landrat Manfred Görig sieht man auf den Großflächenplakaten der Sozialdemokraten, auf der Liste selbst taucht er nicht auf.

Vielleicht braucht es erst eine Reform des Wahlgesetzes, damit solche Scheinkandidaten nicht mehr möglich sind – oder die Listen und Parteien transparenter über die „verschenkten“ Stimmen informieren müssen. Diese Klarheit würde das Vertrauen in die Demokratie stärken, weil Wählerinnen und Wähler weniger für dumm verkauft werden könnten.

Auch wenn rein rechtlich gesehen einer Scheinkandidatur nichts im Wege steht, eines bleibt am Ende dennoch: Ein fader Beigeschmack von zumindest einem moralischen Betrug am Wähler, der vielleicht unbewusst seine Kreuzchen hinter die bekannten Namen gesetzt hat.

Nicht alle Bürgermeister im Vogelsberg spielen diese Spielchen mit ihren Wählern. Es lohnt beispielsweise der Blick nach Kirtorf, wo sich Bürgermeister Andreas Fey genau aus diesen Gründen nicht zur Kandidatur für das Stadtparlament hat aufstellen lassen. „Gegenüber den Bürgern würde ich das nicht fair finden, für die SPD/UWL auf Stimmenfang zu gehen, weil ich mein Amt nicht niederlegen würde“, sagte Fey gegenüber OL von einigen Tagen. Welch vorbildliche Haltung für einen Bürgermeister.

„Zur Transparenz gehört auch, zu sagen, wenn was nicht gut läuft“

16 Gedanken zu “Bürgermeister als Spitzenkandidaten? Das ist Wählertäuschung!

  1. Jaja, die egozentrische Königin im der märchenhaften Schlafstadt lässt grüßen…

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  2. WAS SAGT UNS DAS?

    NOCHMALS: DIE KOMMUNALWAHL IST EINE WAHL DER PARTEI UND NICHT DER PERSON. UND DAS VERSTEHEN LEIDER VIELE NICHT.

    WER HEUTE NOCH WÄHLT SOLLTE GENAU ÜBNERLEGEN WO ER SEINE KREUZCHEN SETZT.

    DIE VOLKSPARTEIEN HABEN GRUNDSÄTZTLICH KEINE STIMME VERDIENT.

    DAS VOLK WURDE WÄHREND DER PANDEMIE, UM EIN BEISPIEL ZU NENNEN, BIS HEUTE IM STICH GELASSEN.

    ES IST AN DER ZEIT FÜR EINEN DENKZETTEL.

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    1. @EWZ- NUR sollte dieser Stimmzettel nicht blau eingefärbt sein. Wenn es nach mir ginge, hätten alle blauen Zettel nur eine sinnvolle Funktion: als KLOPAPIER !

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      1. Das ist halt deine Verständnis von Demokratie, Helge. Genau dieses Verständnis und Toleranz hatten wir 1933 schon mal. Glückwunsch.

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      2. Blau ist die Farbe der Zukunft und der Vernunft, damit alles wieder in geordneten Bahnen verläuft. Den
        Blau ist die Farbe des Himmels ist doch besser wie braune schei. Oder?

  3. Ich bin prinzipiell anderer Meinung als die Verfasserin des obigen Beitrags und die Kommentatoren. Ich finde die Bürgermeisterkandidaten viel „betrügerischer“, die sich unabhängig nennen, obwohl sie Mitglieder in einer bestimmten Partei sind und sich vor der Wahl von dieser unterstützen lassen und nach der Wahl als „unabhängige Kandidaten“ im Kreise ihrer Parteifreunde feiern lassen.
    Parteipolitiker wie der Alsfelder Bürgermeister Paule lassen ihre Wähler weder im Zweifel über ihre Parteizugehörigkeit noch darüber, dass sie ihre parteipolitische Orientierung auch als Wahlbeamte (Bürgermeister) nicht verleugnen werden. Dass sie dann beim Wahlsieg ihrer Liste nicht Ämter häufen und gleichzeitig Bürgermeister und Stadtverordnetenvorsteher sein können, weil es so in der hessischen Gemeindeordnung steht und auch nicht im Sinne der Gewaltenteilung wäre, weiß jeder halbwegs informierte Wähler, und es wird jedem, der es hören will, auch noch mindestens drei Mal erklärt. „Getäuscht“ fühlen sich bestenfalls die, die keine Ahnung von nichts haben oder die noch ein Thema für einen unbedarften „Meinungsbeitrag“ brauchen. Motto: Stelle ich mich doch einfach mal dumm und erfinde ein moralisches „Problem“.
    Nach der Wahl zur Stadtverordnetenversammlung wird dann wegen mir die Nummer zwei auf der Liste Stadtverordnetenvorsteher*in und die Nummer drei Fraktionsvorsitzende*r der CDU-Fraktion. Weitere gewählte Kandidaten können als Mitglieder des Magistrats gewählt werden. Zusammen stützen die Funktionsträger als Parteimitglieder den (Ober-)Bürgermeister aus den eigenen Reihen und sorgen für politische Stabilität. Was bitte ist daran falsch? Zumal die übrigen Fraktionen in der Stadtverordnetenversammlung, sofern zahlenmäßig ausreichend vertreten,
    jede Menge Möglichkeiten haben, die Arbeit von Bürgermeister, Magistratsmitgliedern und Stadtverordnetenvorsteher zu kontrollieren und zu „durchleuchten“. Sie müssen halt ihre Aufgaben wahrnehmen und Transparenz herstellen, statt zu kungeln und zu klüngeln.

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  4. Auch wenn es gesetzlich in Ordnung sein mag ist und bleibt es ein drittklassiger Hütchenspielertrick der nur eins zeigt, die Wertschätzung der Wähler und Steuerzahler als dummes Stimmvieh.
    Jeder Versuch diesen moralischen Betrug schön zu reden ist heuchlerisches und falsches Politikergeschwätz. Ich bin schockiert das sich Stephan Paule ebenfalls auf diese Wählerverachtungsspielchen einlässt.

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    1. Wer gegen alle Argumente an diesem Wählertäuschungs-Unsinn festhält, der glaubt auch, dass man von Chia-Samen schwanger wird.

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      1. Das ganze Täuschungskonstrukt steht schon terminologisch auf tönernen Füßen! Zitat Stock: „Und genau mit diesem Bonus gehen die durchaus oftmals bekannten und beliebten Namen auf Wählerjagd und verschaffen ihrer Partei im Wahlkampf durch das rechtlich legitime, aber moralisch verwerfliche Ausnutzen eines Amtsbonus einen Vorteil, den andere Parteien nicht haben.“
        „Rechtlich legitim, aber moralisch verwerflich“ gibt es nicht! Der Gegensatz besteht zwischen „legal“ (also rechtlich zulässig) und „legitim“ (= zwar legal, aber moralisch verwerflich). Auf einer Liste zu kandidieren und durch seinen Bekanntheitsgrad Stimmen für diese Liste zu mobilisieren, ist aber sowohl legal als auch legitim. Sonst dürfte die CDU auch nicht mit dem Slogan: Die Partei von Ludwig Ehrhard, Helmut Kohl, Angela Merkel usw. in den Wahlkampf ziehen.
        Was Frau Stock eigentlich beschreibt, ist nicht, dass bestimmte Verhaltensweisen von Führungskräften, Politikern usw. rechtlich oder ethisch unvertretbar seien. Hier wird aber allerhöchstens gegen „Ideale“ verstoßen, die im Gegensatz zu ethischen Maßstäben höchst individuell und zutiefst subjektiv, d.h. „ansozialisiert“ und durch die Erziehung geprägt, sind. Jeder hat also andere, ganz persönliche Ideale, je nachdem wie jemand aufgewachsen ist, welche Erfahrungen er gemacht hat und welche Lebensphilosophien dahinter steht. Verakllgemeinern lassen sich diese Ideale nicht. Anders sieht es bei der Ethik aus. Ethik ist – im Gegensatz zu den Idealen – immer universell. Die Grenzen, was ethisch ist und was nicht, sind für alle gleich. Ethik ist objektiv (natürlich nur im Sinne gesellschaftlicher/kultureller Konventionen und Traditionen).
        Zitat:
        „Professor Michael Bordt definiert es in seinem Vortrag ‚Legal, aber nicht legitim? Vom Sinn oder Unsinn einer ethischen Unterscheidung‘ wie folgt: Was immer eine Ethik sein möchte, sie muss Universalität, universelle Gültigkeit beanspruchen. Denken Sie zum Beispiel an die Menschenrechte, die goldene Regel, den kategorischen Imperativ von Kant, oder auch an die Regeln zu Nutzenmaximierung innerhalb des Utilitarismus: Diese Regeln sollen universell sein. Sie gelten von einem überpersönlichen Standpunkt aus. Was ethisch ist, gilt unabhängig von persönlichen Präferenzen oder den Präferenzen einer bestimmten Gruppe, unabhängig von privaten Interessen oder Weltanschauungen. […] Das Bedürfnis eines jeden Menschen, seine persönlichen Ideale zum Standard zu machen und damit zur Ethik zu erklären, ist groß. Das ist zwar falsch, wird aber immer wieder versucht. Oft ist mit dem Vorwurf eines illegitimen Verhaltens die Ethik gar nicht berührt. Es wird zwar so getan, als sei die Ethik betroffen, ist sie aber nicht. Als seien Aufsichtsräte, Führungskräfte oder Gewerkschaften unanständig oder unmoralisch. Aber es ist nicht so. Sie verstoßen halt nur gegen unsere Ideale.“ Quelle: https://die-deutsche-wirtschaft.de/ehrbarer-kaufmann/

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  5. Volle Zustimmung! Besonders ätzend ist, wenn jemand als Parteilose ins Bürgermeisteramt gewählt wird, sich dann aber aus Gründen des persönlichen Fortkommens einer Partei anschließt. Und die Partei ist sich dann nicht zu schade, das für sich auszunutzen.

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  6. Tja, manchem ist beim Kampf um Mehrheiten jedes Mittel recht.

    Schöner Artikel, aber um dem Wahlvolk die Augen zu öffnen kommt der leider zu spät.
    Angesichts Corona dürften erheblich mehr Wähler als sonst längst von der Briefwahl Gebrauch gemacht haben.

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  7. Ich nenne das Betrug am Wähler,diesen Damen und Herren ist doch alles Egal.

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  8. deutlicher geht es wohl ja nicht. es ist eine wählertäuschung, an der spitze zu kandidieren, obwohl von vornherein feststeht, dass das mandat nicht angetreten wird. dem sollte ein riegel vorgeschoben werden, bzwe. der anstand der amtsträger sollte dies verhindern. wie war das mit dem anstand und moralischen Regeln noch? die letzten tage haben bewiesen, das es eigentlich fast keine gibt. schade!

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