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Experten zu Schadstoffen im Boden: Keine akute Gefahr fürs Grundwasser, aber HandlungsbedarfGalvano-Gelände: Alsfeld und Land wollen sich Sanierungskosten teilen

ExklusivALSFELD/GIEßEN (jal). Alsfeld ist einen bedeutenden Schritt weitergekommen, das mit Schadstoffen kontaminierte Galvano-Gelände nach mehr als 20 Jahren sanieren zu können. Das Land und die Stadt einigten sich im Kern darauf, sich die anfallenden Kosten dafür zu teilen. Doch welche konkrete Gefahr geht von den dort gefundenen Giftstoffen aus? Eine Spurensuche.

Vielleicht sollte man zunächst ein bisschen die mögliche Euphorie bremsen. Es sind noch einige Schritte nötig, bis eine der hartnäckigsten Industriebrachen Alsfelds vielleicht wieder mal zu einer blühenden Landschaft oder Baufläche werden könnte. Aber nach Jahren des Stillstands, des Prüfens, Untersuchens und Abwägens, gibt es zumindest dies zu vermelden: Das Umweltministerium und die Stadt haben sich im Kern darauf geeinigt, sich die Kosten für eine Sanierung des Geländes zu teilen. Das teilte das Regierungspräsidium Gießen OL auf Anfrage mit.

Die Details der Vereinbarung müssen jedoch noch geklärt werden. Und damit steht auch der Deal selbst sozusagen noch unter Vorbehalt. Alsfelds Bürgermeister Stephan Paule, zu dem Wiesbadens grundsätzliche Bereitschaft zu dem Deal noch gar nicht durchgedrungen war, zeigt sich hoch zufrieden über den Schritt. „Das wäre der Durchbruch“, sagt Paule im Gespräch mit OL. Zu den Details, die noch geklärt werden müssen, zählt auch die genaue Kostenaufteilung. Der Bürgermeister ging bislang von einem hohen sechsstelligen Betrag aus, der für die Abriss- und Sanierungsarbeiten aufgerufen werden dürfte. Aus Sicht der Stadt wäre grob eine 50:50-Aufteilung mit einer Deckelung der Kosten für Alsfeld eine denkbare Option.

Das Umweltministerium selbst dementiert die Rahmen-Einigung nicht, hält sich jedoch noch recht bedeckt und verweist darauf, dass eine „für das Land Hessen wirtschaftliche Vereinbarung“ mit Alsfeld erst noch getroffen werden müsse. Gleichzeitig unterstreicht es die wachsende Dringlichkeit der Arbeiten. Wörtlich heißt es: „Die Stadt Alsfeld hat Interesse, den Standort städtebaulich zu entwickeln und gegenüber dem Regierungspräsidium signalisiert, sich an notwendigen Maßnahmen finanziell zu beteiligen. Dies ist für das Land eine Option, die in absehbarer Zeit ohnehin notwendige Sanierung durchzuführen.“

Doch warum und mit was genau ist das Gelände eigentlich kontaminiert? Die Beantwortung dieser Fragen hängt mit der Geschichte des rund 5400 Quadratmeter großen, aus drei Teilen bestehenden Areals zusammen. Bis zum Ende der 90er-Jahre war dort ein Galvanisierungsbetrieb untergebracht. Galvanisierung ist eine Form der Oberflächenveredelung von Metall unter Zuhilfenahme von Strom und verschiedenen Chemikalien. Als der Betrieb pleiteging, blieben die eingesetzten Anlagen in den Räumlichkeiten zurück. In Akten des Regierungspräsidiums befinden sich noch Fotos aus dieser Zeit, die das dokumentieren.

Die Suche nach Gewissheit ist komplex

Die Anlagen sind inzwischen beseitigt, doch im Laufe der Zeit erhärtete sich der Verdacht, dass bei der Produktion eingesetzte Chemikalien in den Boden eingedrungen sein und das Grundwasser gefährden könnten.

Spätestens damit wird die ganze Sache kompliziert.

In den vergangenen Jahren haben sich Experten in einem mehrstufigen Verfahren darangemacht, herauszufinden, ob und wenn ja, wo genau und mit welchen Stoffen der Untergrund des Firmengeländes kontaminiert ist und welche konkrete Gefahr davon für die Umwelt ausgeht. Solche Untersuchungen sind komplex. Schon allein herauszufinden, wo man bohren muss, um möglichst belastbare Ergebnisse zu finden, ist fast schon eine Wissenschaft für sich.

Bei ihren Erkundungen fanden die Experten schließlich Schwermetalle und Cyanide, die eindeutig von der Produktion der Fabrik stammen. Die Verunreinigungen konzentrieren sich jedoch – und das ist wichtig – auf die Auffüllschichten unter dem Beton des Firmengeländes, nicht jedoch auf den natürlichen Boden darunter.

Das Areal ist mit einem Bauzaun gesichert. Vom bloßen Kontakt mit dem oberflächlichen Boden geht laut RP für den Menschen wahrscheinlich keine Gefahr aus, dennoch darf das Gelände nicht betreten werden. Foto: akr

So sagt es zumindest das Regierungspräsidium. Und die Behörde erklärt weiter: Eben weil sich die Giftstoffe in dieser zum Beispiel von Beton geschützten Schicht befänden, und das Dach der Hallen offenbar noch recht in Takt ist, gehe von den Stoffen keine akute Gefahr für das Grundwasser aus, zumal ein großer Abstand zum Hauptgrundwasserleiter bestehe. Zwar sei eine Belastung des Grundwassers vor Ort bereits messbar, jedoch sei diese Belastung zum jetzigen Zeitpunkt noch marginal. Fest stehe aber auch: Komme der Boden mit mehr Wasser in Kontakt, weil beispielsweise das Dach undichter werde, dann käme es vermutlich zu einer deutlich messbaren Verunreinigung des Grundwassers auf dem Gelände. Die Sanierung eines solchen Falls kann Jahrzehnte dauern.

Die Antwort aus dem Umweltministerium bestätigt das, klingt aber ungleich bedrohlicher. Die Behörde schreibt: „Im Rahmen der historischen Erkundung und Untersuchung des Standorts wurden insbesondere in den älteren Produktionsbereichen erhebliche Belastungen mit Schwermetallen und Cyaniden festgestellt. Die Schwermetalle weisen eine große Löslichkeit und damit ein erhebliches Freisetzungspotenzial auf. Für die Überwachung des Standorts ist ein jährliches Grundwassermonitoring vorgesehen.“

Und weiter: „Es ist davon auszugehen, dass aufgrund des fortschreitenden Verfalls des Geländes (…) die Schadstoffbelastung im Grundwasser erheblich zunehmen wird, zumal auf dem Standort ein erhöhtes Schadstoffpotenzial mit gut löslichen Schadstoffen bekannt ist. Die Sanierung des Grundstücks ist damit zukünftig unausweichlich.“

Und das ist der Punkt, an dem die Geschichte für manch Außenstehenden absurde Züge annehmen könnte – auch wenn alles streng nach Gesetz und Vorschrift geht.

Denn obwohl die Behörden die drohende Gefahr kennen, können sie nur schwer so handeln, wie sie vielleicht eigentlich gerne möchten. Das hat mehrere Gründe. Zum einen ist durch die Insolvenz der Firma rechtlich niemand mehr greifbar, der die Sanierung vonseiten der Firma bezahlen könnte. Die Stadt Alsfeld möchte das Gelände zwar sanieren, kann es sich aber allein nicht leisten. Das Land wiederum ist nur bei einer akuten Gefahr dazu verpflichtet, die Sanierung zu übernehmen. Und akut heißt in diesem Fall: Das Wasser in der Gegend des Areals müsste erst wirklich deutlich belastet sein. Jemand, der sich mit dem Thema auskennt, formuliert es ungefähr so: Das Kind muss erst in den Brunnen gefallen sein – aber in Alsfeld steht es eben noch am Rand.

Wer nachfragt, warum das so ist, wird auf die Kostengründe verwiesen. Die Mittel, die das Land für solche Maßnahmen zur Verfügung habe, seien endlich. Aber es gebe zig Areale in Hessen, die verunreinigt seien und von denen eine größere Gefahr ausgehe als beispielsweise vom Galvano-Gelände. Dabei sei auch erwähnt, dass der nächste Trinkwasserförderbrunnen für Alsfeld mehrere Kilometer von der Fabrik entfernt ist.

Vermutungen reichen für das RP nicht aus

Aus dieser Logik heraus lässt sich eine Sanierung des Areals also noch zurückstellen, zumindest solange man den maroden Dächern noch vertraut. Aber die Stadt will die Brache endlich loswerden. Gemeinsam mit dem RP und dem Umweltministerium hat man deswegen einen Kompromiss erarbeitet, der durchaus als außergewöhnlich gilt: Die Stadt und das Land teilen sich die Kosten. Damit könnte es gelingen, die Altlasten zu beseitigen, noch bevor sie aus Sicht der Behörden wirklich akut werden – oder anders ausgedrückt, es schlicht schon zu spät ist.

Wie bereits erwähnt, steht bislang nur der Grundkonsens zwischen Wiesbaden und Alsfeld. Sollte der Deal aber schnell mit Details gefüllt werden, dann könnten die nächsten Planungsschritte zeitnah folgen.

Wer sich fragt, warum erst jetzt eine Aufarbeitung des Areals näher rückt, der stößt auf mehrere Gründe. Das RP verweist unter anderem auf verschiedene Rechtsbereiche. Die Beseitigung der zurückgelassenen Fässer und ähnlichem sei zunächst ein abfallrechtliches Problem gewesen, was irgendwann abschlossen gewesen sei. Von einer denkbaren Wassergefährdung habe man schließlich erst im Jahr 2017 durch ein im Auftrag der Stadt erstelltes Gutachten erfahren. Eine bloße Vermutung einer möglichen Bodenverunreinigung reiche rechtlich nämlich für das RP nicht aus, um weitere umfassende Untersuchungen anstoßen zu können. Dies sei erst mit einem hinreichenden Verdacht möglich. Und der habe erst durch das Alsfelder Gutachten vorgelegen.

Bürgermeister Stephan Paule wiederum hat mehrfach in der Vergangenheit betont, dass vor 2014 von den Verantwortlichen der Stadt eine Sanierung des Geländes nicht vorangetrieben worden sei. Nun dankt er dem Land dafür, dass man gemeinsam eine Lösung gefunden habe, auch ohne gesetzlichen Zwang prophylaktisch einzugreifen, um eine von dem Gelände drohende Gefahr abzuwehren, bevor es zu spät ist.

Zu den Details, die noch geklärt werden müssten, zählen auch der Erwerb des Geländes beziehungsweise das Löschen von Grundschuldeinträgen. Der Bürgermeister zeigte sich schon im Herbst zuversichtlich, dass all dies kein Problem darstellen werde. Sollte am Ende die Sanierung wirklich klappen, kommt aufgrund der Lage des Geländes für Paule eigentlich nur eine erneute Verwendung als Gewerbefläche in Betracht. In der Vergangenheit hatte sich das angrenzende Autohaus Deisenroth sehr für das Areal interessiert.

6 Gedanken zu “Galvano-Gelände: Alsfeld und Land wollen sich Sanierungskosten teilen

  1. Lieber Alsfelder Bürger,

    vielen Dank für das gut Reden, doch leider leider ist die Realität etwas anders. Welche Kinder und Jugendliche interessiert gerade das tote Land von Galvano?
    Die zukünftigen Arbeitsplatze in was, 2 oder 10 Jahren….?
    Es ist doch auch super nötig gewesen die Investitionen zu tätigen in Schulen, Hallen und Schwimmbädern, die sie nennen. Und genauso muss die Investition weiter gehen, Jahr für Jahr. Es darf sich kein Stau in diesen Bereichen bilden.
    Erzählen sie doch mal dem Schulsport in Alsfeld, dass sie dann in Zukunft ab 2023-2024 auf dem Galvanogelänge ihre Sportprüfung im Abi Leistungskurs machen. Die Sportvereine ihre Leichtathletikabteilungen auflösen und bei „Jugend trainiert für Olympia“ nach Lauterbach oder Homberg fahren sollen, bei den Sprit Preisen, weil sie im Sommer nicht ins Stadion dürfen… es ist halt mal gesperrt, ab der Saison.
    Ist es nicht so, dass wir uns im Sport bei Kindern und Jugendlichen um mehr Förderung und Leistung bemühen, Medaillen sollen die Talente später mal bei Olympia für Deutschland holen.
    Wenn sie das Steuerverschwendung nennen und Galvano als sinnvolle Investition sehen, dann kennen sie als „Alsfelder Bürger“ die richtigen Probleme einfach nicht.

    Ein Zitat aus Oberhessen-live vom 11.10.2018:
    Die Schäden im 1985 erbauten Erlenstadion sind massiv. „Der Belag der Laufbahn zerfließt förmlich, bleibt beim Start der Läufer an Schuhen, Knien und Händen kleben“, schildert Dr. Erich Falk, der Vorsitzende des Alsfelder Sport-Clubs, im Gespräch mit Landrat Görig und Bürgermeister Paule am Donnerstagvormittag die Situation. Die Nutzung der Bahn für Schulsport, für Wettkämpfe, für Bundesjugendspiele oder auch für Wettkämpfe wie „Jugend trainiert für Olympia“ sei extrem gefährdet.
    https://www.oberhessen-live.de/2018/10/11/alsfelder-erlenstadion-wird-grundlegend-saniert/

    Das kann man seit fast „10 Jahren“ reden, einfach nicht mehr schön reden.
    Sehr gerne zeigen wir ihnen im persönlichen Gespräch im Stadion die Probleme, die seit Jahren bestehen. Einfach mal im Sommer bei 30grad abends ab 17 Uhr ins Training kommen, wenn es noch in 2023 stattfindet.

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  2. Wenn ich an diesem Objekt vorbei gehe, halte ich immer die Luft an und lege ein Taschentuch vors Gesicht, habe immer ein komisches Gefühl, als ob von da Giftstoffe mit dem Wind verbreitet werden.

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  3. Das ist wieder mal typisch. Die Gewinne haben sich Herren von Galvano jahrzehntelang in die Taschen gesteckt und jetzt soll der Alsfelder Bürger dafür bezahlen. Dass es soweit gekommen ist hängt doch auch mit den fehlenden Kontrollen zusammen, sonst wäre doch die Verseuchung aufgefallen. Mach doch diese Kontrollbehörden samt dem einzelnen Kontrolleur haftbar, sollte er weggeschaut haben. Wer kontrolliert überhaupt von Stadt, Gewerbe oder Betriebe? Vielleicht gibt es da ja Verantwortliche oder auch eine Verantwortung des Bürgermeisters? Leider ist es meistens so bei Behörden, wenn es um Verantwortung geht war es immer der andere.
    Wenn eine Privatperson mal ein Tropfen Öl unabsichtlich verliert, was da los wäre.

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    1. Dafür ist Geld da und Stadt und Land sind sich einig.
      Für Schulsport und Verein im Erlenstadion nicht, da haben die Einwohner Zeit und müssen seit 2014 auf die immer aufgeschobene Sanierung warten… vielen Dank Herr Bürgermeister die nächste Wahl kommt bestimmt…..

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      1. Endlich mal eine Sinnvolle Investition und hier wird wieder alles schlecht geredet.
        In Vereine, Schule etc. wurde die letzten Jahre sehr viel investiert.. Mag sein das der „Wunsch“ nicht erfüllt wurde – jedoch wurde im gesamten Kreis viel Geld in Schulen, Vereinen, Bildungsgebäude rein gesteckt.
        FAKT ist, das Galvano Gelände ist totes Land. Hier muss was passieren!
        Und wenn man weiter denkt, entstehen genau hier neue Arbeitsplätze!
        Das ist doch mal was.. anstatt der ganzen Steuerverschwendungen die man über das Jahr so liest..

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