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Zusammenfassung des Ausbildungs-Talks „Demokratie hautnah“Muss es immer gleich ein Studium sein?

REGION (jal). Abi sticht Ausbildung. Der Satz ist längt überholt. Aber wie genau schaffen wir es, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken? Was müssen Schulen heute bieten? Und was braucht die Wirtschaft? Dies waren die Fragen, denen sich die Europa-Union in ihrer vierten Talkrunde „Demokratie hautnah“ widmete. Lesen Sie hier die wichtigsten Erkenntnisse in der Zusammenfassung.

In Zusammenarbeit mit Oberhessen-live und Demokratie Leben veranstaltet die Europa-Union Vogelsberg in den kommenden Monaten in unregelmäßigen Abständen mehrere Talkrunden mit unterschiedlichen Gästen zu den unterschiedlichsten Themen – eines aber haben sie alle gemeinsam: es geht um gelebte Demokratie, und Mitbestimmungsrecht und um unterschiedliche Meinungen.

Die Moderation der vierten Talkrunde übernahm wieder Alsfelds Bürgermeister und Kreisvorsitzender der Europa-Union, Stephan Paule. Mit einem kurzen Impuls führte er in das Thema ein. In der Presse werde immer wieder die Frage diskutiert, welcher Ausbildungsweg der richtige sei. Dabei gebe es häufig die These, dass der Fokus aufs Studieren bei Jugendlichen den Fachkräftemangel in Berufen, in denen man kein Studium braucht, verstärke. Gleichzeitig sagen internationale Studien jedoch, dass eine hohe Zahl an höheren Bildungsabschlüssen wichtig für die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes ist.

Aber was heißt das für unsere Gesellschaft und unser Bildungssystem? Darüber diskutierte Paule mit seinen Gästen. Und die waren Oliver Stoy, Studiendirektor und Koordinator der Alexander-von-Humboldt-Schule, Kai Schelberg von der IHK Gießen-Friedberg, Irene Caspar, OloV-Koordinatorin an der Geschwister-Scholl-Schule und Thomas Weidemann, stellvertretender Schulleiter der Albert-Schweitzer-Schule. Hier sind die Kernaussagen der Gäste zusammengefasst.

Oliver Stoy, Studiendirektor und Koordinator der Alexander-von-Humboldt-Schule

„Grundsätzlich verfolgen wir die Haltung „Ausbildung und Studium‘, das auch mit einem Ausrufezeichen dahinter, weil wir uns auch der Region verpflichtet fühlen“, sagte Stoy zu Beginn über den Ansatz der Alexander-von-Humboldt-Schule. Man wolle die Region mitentwickeln und sei daher offen in beide Richtungen – eben Ausbildung und Studium. Es sei keine Floskel mehr, vom lebenslangem Lernen zu sprechen. Man lerne heutzutage nicht mehr einen Beruf und bleibe für 40 Jahre dabei. Deswegen versucht die AvH, den Schülern früh das Selbstgesteuerte Lernen beizubringen.

Neben allgemeinen Praktika gibt es bei der AvH in der Stufe neun extra ein Sozialpraktikum, bei dem die Jugendlichen Softskills, also den guten Umgang mit Menschen, trainieren sollen. Außerdem werde das Mentoring der aktuellen Jahrgänge durch ehemalige Schüler und lokalen Unternehmen immer wichtiger. Werkstatttage sollen zudem auch Abiturienten ermutigen, einen handwerklichen Beruf zu ergreifen. „Das ist ein Schlüssel, den wir ganz wichtig finden“, sagte Stoy. Selbst Abgänger, die die AvH nach der Q2-Phase verlassen, würden immer noch mit „Kusshand“ genommen. Stoy warnt jedoch davor, dass Abitur deswegen zu hinterfragen. Ein hohes Bildungsniveau sei wichtig für eine gute Wirtschaft. Bei seiner Schule gelte deswegen die Haltung: „Handwerk, Ausbildung, alles – aber auf jeden Fall erst einmal das Abitur einkassieren, um die Türen zu öffnen und auch die Kompetenzen zu haben.“

Stoy bekam aus der Runde viel Zustimmung für seine Beobachtung, dass Finanzwirtschaft und der öffentliche Sektor derzeit recht beliebte Ziele der Jugendlichen sind. Er warb zudem für Formate, bei denen Eltern zusammen mit ihren Kindern Ausbildungsbetriebe besuchen. Das helfe dabei, mögliche Abstiegsängste bei denjenigen Eltern abzubauen, die denken, eine Ausbildung sei schlechter als ein Studium.

Kai Schelberg von der IHK Gießen-Friedberg

„Ich finde es sehr gut, dass es in den Medien überall zu hören ist mittlerweile“, sagte Schelberg über das Thema Fachkräftemangel. Seit Corona verzeichne die IHK etwa 17 Prozent weniger Eintragungen von Ausbildungsverträgen. Es sei wichtig, die Duale Ausbildung weiter nach vorne zu treiben. „Jedes zweite Unternehmen beklagt sich schon, dass es keine Fachkräfte findet“, erzählte der IHK-Vertreter. Bei den gewerblich technischen Betrieben sei der Trend mehr spürbar als in kaufmännischen. „Fachkräftemangel ist am besten durch die Duale Ausbildung zu beheben, das ist ganz klar“, lautete seine These.

Zwei Aspekte fand Schelberg dabei wichtig. Zum einen könne man beides machen – nach einer Ausbildung noch studieren, er selbst habe das auch gemacht. Und zum anderen gebe es Studien, die zeigen, dass man nach einer Ausbildung und anschließender Weiterbildung am Ende so viel wie Akademiker verdienen kann. Außerdem bilde die Duale Ausbildung das „Rüstzeug“ für zukünftige Unternehminnen und Unternehmer – ein wichtiger Prunkt für Neugründungen und Firmenübergaben an die nächste Generation bei Familienunternehmen.

Die IHK sei gerade dabei, ihre Beratungsangebote für Jugendliche, die als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind, zu verbessern. „Die Zahlen der Ausbildungsverträge von Afghanen, Syrern und so weiter sind stetig gestiegen. Das ist schon sehr gut, aus meiner Sicht, also schon ein gehöriger Prozentsatz – auch die, die abschließen“, so Schelberg. Es gehe dabei stetig bergauf.

Irene Caspar, OloV-Koordinatorin an der Geschwister-Scholl-Schule

Die GSS endet mit der zehnten Klasse. Daher geht es dort bereits in der fünften Klasse mit ersten Wahlpflicht-Maßnahmen zur Berufsorientierung los. Dazu zählen auch Schulungen im Umgang mit Computern und iPads. In der siebten Klasse geht es dann los mit praxisnahem Unterricht wie Kochen oder CNC-Technik. So geht es immer weiter in Richtung des sogenannten Berufswahlpasses, der helfen soll, Stärken und Schwächen der Jugendlichen in Bezug auf unterschiedliche Tätigkeiten zu erkennen. „Wir arbeiten mit einem bundesweit etablierten Instrument“, sagt Caspar dazu. Das ist möglich, weil die GSS eine sogenannte OloV-Schule ist. OloV steht fürOptimierung lokaler Vermittlungsaktivitäten.

Auch mit anderen Maßnahmen versuche man den Kindern zu vermitteln, wo ihre Stärken bei bestimmten Tätigkeiten liegen. Eine Besonderheit ist bei der GSS ist ein Angebot Namens „mit Oma Backen“. Dabei gehen die Jugendlichen in Seniorenheime und backen mit den Bewohnern. So lässt sich beispielsweise herausfinden, wer in Sachen Pflege oder dem Backhandwerk gute Chancen hätte. In der neunten Klasse gibt es zwei Praktika. Kooperationen mit Betrieben sorgen immer wieder für Praxisnähe. In der zehnten Klasse gibt es nochmals Angebote mit dem Fokus aufs Heranführen an Ausbildungen.

„Ich stelle fest, dass die Schüler alle gern in der Praxis arbeiten“, sagt Caspar auf die Frage, ob sie einen Trend zu bestimmten Berufswünschen an ihrer Schule sieht. Dies gelte jedoch oftmals nur bis zur zehnten Klasse. Dann kämen plötzlich Aussagen wie „ich möchte lieber ins Büro oder ich möchte mich nicht schmutzig machen“. Aber auch der Trend, einen höheren Schulabschluss nach der Zehn erwerben zu wollen, sei erkennbar – obwohl den Schülern bewusst sei, dass sie mittlerweile auch nach einer Ausbildung einfacher zusätzlich studieren können.

Thomas Weidemann, stellvertretender Schulleiter der Albert-Schweitzer-Schule

Bei der ASS gibt es laut Weidemann zwei Blöcke, die sich mit Berufsorientierung beschäftigen. Sie finden in der Jahrgangsstufe neun und der Q2 statt, was der zwölften Klasse entspricht. Dabei geht es zum Beispiel um Betriebspraktika, eine Berufsorientierungswoche oder auch Hochschulinformationstage. Der Startschuss werde jedoch schon mit dem Girls- and Boys-Day in der siebten Klasse gelegt. Danach werde das Thema immer wieder aufgegriffen. Lokale Unternehmen bieten zudem Dinge wie Bewerbungstraining an.

Angesprochen auf die Beobachtung, dass viele Abiturienten sich erst einmal nach dem Abi eine Auszeit zum Orientieren gönnen, sagte Weidemann, dieses Phänomen gebe es durchaus. Doch der Lehrer nahm die Abgänger gleichzeitig etwas in Schutz. Die Auswahl an Studiengängen und Möglichkeiten sei heutzutage wesentlich größer, als sie früher war. Es sei wichtig, dass die Schule bereits bei der Orientierung so gut es gehe helfe – und zum Beispiel klarmache, dass man auch nach einer Ausbildung noch studieren kann. Er habe keine genauen Zahlen, aber es gebe immer wieder Abiturienten, die in der Region bleiben und eine Ausbildung machen, so Weidemann.

Als es um das Thema Bildungschancen von Kindern mit Einwanderungsgeschichte ging zeigte sich Weidemann beeindruckt von so mancher „erstaunlichen, bewundernswerten Leistung“ von Jugendlichen, die teilweise auch erst kurz in Deutschland sind. „Das ist wirklich bewundernswert, was da einige schaffen“, sagte er.

2 Gedanken zu “Muss es immer gleich ein Studium sein?

  1. Sie reden alle von der Ausbildung im Handwerk,keiner hat ein Handwerker gelernt das so als wenn ein wie Kat. Pfarrer von der Ehe redet.

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    1. Leider kann man ohne ein Studium nach der Ausbildung in den meisten Kaufmännischen- und Handwerksberufen später keine Familie von seinem Lohn ernähren. Daran muss sich erst etwas ändern. Vom Spaß am Beruf und dem Beitrag zur Gemeinschaft kann man keine Rechnungen bezahlen.

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