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15 Stolpersteine in Angenrod verlegt„Heute erinnern wir uns mit vollem Bewusstsein“

ANGENROD (ls). 15 Stolpersteine sind es, die in Angenrod an 15 jüdische Mitbürger erinnern sollen. Zwölf Jahre nachdem die Idee entstand, wurden sie am Donnerstag von Künstler Gunter Demnig verlegt – und bringen ein Stück Angenröder Geschichte zurück.

Den Beschluss des Angenröder Ortsbeirates zum Verlegen der Stolpersteine gab es nämlich bereits in 2010, doch gelegt wurden die Steine nie. „Das holen wir jetzt nach“, erklärte Joachim Legatis vom Verein „Gedenkstätte Speier Angenrod“.

Die Stolpersteine wurden vom mittlerweile in Elbenrod lebenden Künstler Gunter Demnig verlegt. Alle Fotos: ls

15 jüdische Mitbürger wurden ausgewählt, 15 Schicksale, 15 Stolpersteine von Künstler Gunter Demnig vorbereitet und verlegt. Im Pflaster vor den ehemaligen Wohnhäusern in Angenrod sollen sie nun erinnern – an Frieda Abt, Bertha Oppenheimer, Fritz Wertheim, Simon Wertheim, Meta Wertheim, Jenny Wertheim, Rosa Schaumberger, Sally Wertheim, Minna Wertheim, Leopold Speier, Johanna Speier, Ludwig Speier, Alfred Speier, Liselotte Speier und Willi Speier.

„In erster Linie sollen sie natürlich an die Opfer des Holocausts erinnern, aber zwei Menschen stechen etwas heraus“, sagte Legatis. Eine davon ist Rosa Schaumberger. Sie wurde Opfer der Euthanasie unter den Nazis, im Programm zur Tötung von Menschen mit psychischen Erkrankungen und Behinderungen. Die nächste besondere Person auf den Angenröder Stolpersteinen ist Ludwig Speier, der einzige überlebende Angehörige aus dem Haus Leopold und Johanna Speier in der Leuseler Straße 3. „Er konnte als Jugendlicher über die Schweiz und später in die USA flüchten und ist der eigentliche Impulsgeber der Gedenkstätte“, sagte Legatis.

„Stolpersteine tragen dazu bei, dass wir diese Menschen, die hier gewohnt haben und die deportiert wurden, nicht vergessen. Es darf nie wieder passieren und es soll uns daran erinnern, dass die grausamen Taten dieser Zeit nicht vergessen werden“, erklärte Christa Haidu stellvertretend für den Angenröder Ortsbeirat. Für das Engagement des Vereins, der dafür gesorgt habe, dass aus dem Speier Haus eine so prachtvolle Gedenkstätte wurde, bedankte sie sich.

Wichtiger Schritt für einen kleinen Ort mit großer Geschichte

Für Angenrod dürfte die Verlegung der Stolpersteine ein bedeutender Schritt sein, immerhin blickt der Ort auf eine lange und besondere jüdische Geschichte zurück: 1861 lebten hier noch 41 Prozent jüdische Mitbürger, der zweithöchste Wert in ganz Hessen nach dem Ort Rhina bei Hünfeld. „Stolpersteine sind Erinnerungssteine“, erklärte Legatis und bedankte sich in diesem Zusammenhang bei Rudolph Haidu und Ingfried Stahl, die die Verlegung angeregt haben.

„Ein Jahr wie dieses in 2022 eignet sich in besonderer Form für die Verlegung“, fand Alsfelds Bürgermeister Stephan Paule mit Blick auf die diesjährigen 750-Jahr-Feierlichkeiten des Ortes. Die Geschichte der jüdischen Mitbürger sei immer wieder wechselhaft gewesen. Die erste größere Zahl der jüdischen Gemeinde siedelte sich im 17. Jahrhundert in Angenrod an. Damals ließ der Fürst-Abt in Fulda alle Juden aus seinem Reich vertreiben. Angenrod sei durch die Familie Noding erst der erste Ort gewesen, der die Menschen aufnahm, alle anderen hätten sie nicht haben wollen. „Das hat sich dann zu einem wesentlichen Teil Angenröder Geschichte entwickelt“, erinnerte Paule.

Joachim Legatis vom Verein „Gedenkstätte Speier Angenrod“ führte andächtig durch den Vormittag.

Er mahnte: Man dürfe nie außer Acht lassen, dass es in Deutschland immer wieder eine Form von Antisemitismus gegeben habe – damals, heute und auch vor dem Nationalsozialismus. „Das, was der Nationalsozialismus dann zu einer menschenverachtenden Extremität getrieben hat, war letztlich tief verwurzelt“, sagte Paule.

Das solle aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich das Erinnern an die 15 Opfer auf das Schlimmste aller Kapitel bezieht: Die Shoah. Sie habe dafür gesorgt, dass ein Teil der Angenröder Geschichte vollkommen ausradiert wurde. „Heute erinnern wir mit vollem Bewusstsein an die positive Prägung, die der Ort durch die jüdische Gemeinde erlebt hat, aber auch an die schrecklichen Taten, denen sie am Ende zum Opfer gefallen ist“, sagte Paule.

Vor dem Speier-Haus gab es den Abschluss.

Angefangen vor dem Haus im unteren Mühlweg, wo einst Frieda Abt lebte, die 1942 im Alter von 68 Jahren in den Tod deportiert wurde, weiter über die Straße „Am Backhaus“, über die Judengasse bis hin zur Gedenkstätte Haus Speier an der Leuseler Straße 3. Ein besonderer Abschluss, in Gedenken an die letzten jüdischen Mitbürger, die in dem Haus der Familie Speier bis zur Deportation festgesetzt wurden.

„Wenn Jüdinnen und Juden sagen ‚ich glaube‘, dann sagen sie ebenso ‚ich erinnere‘. Für Juden entspringt Erinnerung unserer Herzen, unseres Verstands und unserer Taten. Erinnerungen fasst ein, wer wir sind, woher wir kommen und was wir sein wollen. Erinnerung ist die Verkörperung eines zentralen jüdischen Glaubens. Solange sich eine Generation an die erinnert, die vor uns waren, an deren Werte, die sie uns weitergegeben haben und aus denen wir das werden, was wir sind, solange sind unsere geliebten Vorfahren wirklich unsterblich“, zitierte Legatis dort, an diesem denkwürdigen Ort, aus den Grußworten von Susan Adler Thorpe, einer Urenkelin von Isaac und Betty Speier, denen das Haus an der Leuseler Straße einst gehörte. Sechs Stolpersteine wurden dort verlegt.

Weitere Eindrücke der Stolperstein-Verlegung in Angenrod

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