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25-jährige A49-Gegnerin vor dem Alsfelder Amtsgericht freigesprochenStaatsanwältin: „Wir sind hier nicht im ‚Ella‘-Verfahren“

ALSFELD (akr). Eigentlich sollte an diesem Mittwoch eine 25-jährige A49-Gegnerin, die sich vor dem Alsfelder Amtsgericht wegen des Vorwurfs des Landfriedensbruchs verantworten musste, im Fokus der Verhandlung stehen. Doch das tat sie nicht, denn ihr Verteidiger Tronje Döhmer spannte immer wieder den Bogen zur Verhandlung und Verurteilung der unbekannten Aktivistin „Ella“.

Es war der zweite und gleichzeitig letzte Verhandlungstag im Verfahren gegen eine 25-jährige Ausbaugegnerin, die am 12. November 2020 im Bereich des Dannenröder Forstes in Höhe des Niederkleiner Pfades Teil einer Menschenmenge gewesen sein und sich gewalttätig gegenüber Polizeibeamten verhalten haben soll, die aufgrund einer Allgemeinverfügung eine Absperrung bewachten.

Vorwurf Landfriedensbruch: A49-Gegnerin vor Gericht

Eigentlich sollte an diesem Mittwoch lediglich der Polizeibeamte als Zeuge aussagen, der am ersten Verhandlungstag krankheitsbedingt verhindert war. So viel vorab: das tat er auch, ehe dann plötzlich nicht mehr die Angeklagte, sondern die unbekannte Aktivistin „Ella“, die vor knapp einem halben Jahr zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt wurde, im Mittelpunkt stand. Dazu aber später mehr.

„Jetzt, wo ich die Dame sehe, kommen die Erinnerungen wieder“, sagte der 31-jährige Polizeibeamte, als er mit seiner Zeugenaussage begann und seine Sicht der Dinge schilderte. Er war an dem Tag im November 2020 im Dannenröder Forst eingesetzt, befand sich nach eigenen Angaben im Sicherheitsbereich, der von einer Polizeikette bewacht wurde.

Er habe gesehen, wie die Angeklagte in den Sicherheitsbereich gerannt sei, jedoch nicht, ob sie Feuerwerkskörper oder Steine geworfen hat. Die Staatsanwaltschaft warf ihr nämlich vor, dass die Angeklagte Teil einer Menschenmenge gewesen sei, die Signalraketen, Steine und entzündete Rauchtöpfe in Richtung der Polizeibeamten geworfen habe, um die Absperrung zu durchbrechen.

Er habe zwar gesehen, dass Feuerwerkskörper gezündet worden seien, aber er habe nicht gesehen, dass die Angeklagte etwas geworfen hat. Er habe die 25-Jährige auch nicht vor der Polizeikette gesehen, sondern erst, als diese in den Sicherheitsbereich gerannt sei. Dort habe er sie dann mit seiner Kollegin, die bereits am ersten Verhandlungstag ausgesagt hatte, widerstandslos festnehmen können.

Immer wieder den Bogen zur unbekannten Aktivistin „Ella“ gespannt

Sowohl für Richter Dr. Bernd Süß und Staatsanwältin Mareen Fischer, die an diesem Tag ihre Kollegin Nathalie Dohmen vertrat, war die Beweisaufnahme nach der Zeugenaussage abgeschlossen. Nicht aber für Verteidiger Tronje Döhmer: Er stellte noch fünf Beweisanträge – und das, obwohl Fischer ihn darauf aufmerksam machte, dass es für seine Mandantin aus Mangel an Beweisen auf einen Freispruch hinauflaufen wird.

Das interessierte Döhmer aber nicht. „Ihre Ansicht ist nicht maßgebend und auch nicht die des rechtssprechenden Richters“, betonte er. Für ihn sei ein „Freispruch eines befangenen Richters nichts wert“, so der Verteidiger. Er befürchtete zudem, dass die Staatsanwaltschaft auch bei einem Freispruch Berufung einlegen würde. Für Fischer war das völlig unverständlich, schließlich führte sie bereits an, auf einen Freispruch zu plädieren.

„Wer so agiert, wird nicht mehr ernst genommen“, betonte Döhmer und meinte damit das Verhalten von Fischer und Dr. Süß beim „Ella“-Prozess. Dieser war für ihn eine „konstruierte“ Verhandlung“ und Fischer und Süß die „Hauptverantwortlichen“, dass eine unschuldige Person noch immer im Gefängnis sitzt, was „skandalös“ sei. „Wir sind hier nicht im Ella-Verfahren“, betonte Fischer. Schon beim ersten Verhandlungstag wurde das „Ella-Verfahren“ thematisiert, als Döhmer einen Ablehnungsgesuch, auch Befangenheitsantrag genannt, stellte, in dem er einen anderen Richter als Dr. Süß forderte. Der Antrag wurde übrigens abgelehnt – so wie Döhmers Beweisanträge.

In seinen Beweisanträgen forderte Döhmer zwei weitere Zeugen zu laden. Diese seien gemeinsam mit seiner Mandantin am besagten Tag im Dannenröder Wald gewesen. Nicht aber als Teil der Menschenmenge, die sich dem Sicherheitsbereich genähert habe. Sie sei Teil einer Dreiergruppe gewesen, die auf dem Weg zum Camp „Drüben“ gewesen sei, um die Menschen dort mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Die Dreiergruppe hätte sich dem Sicherheitsbereich genähert, um die Polizeibeamten zu fragen, wie sie denn nun die Lebensmittel zu den Menschen bringen könnten.

Daraufhin, so Döhmer, habe die Dreiergruppe, zu der eben auch die Angeklagte gehörte, einen lauten Knall gehört, woraufhin dann plötzlich „Chaos“ ausgebrochen sei. Wegen der „Gefahr mit Schlagstöcken von der Polizei angegriffen zu werden“, sei seine Mandantin davongelaufen. Sie habe mit all dem, was die Staatsanwaltschaft ihr vorwarf, nichts zu tun gehabt. Das könnten auch die Zeugen bestätigen, wenn diese geladen würden.

Richter Dr. Süß wies die Anträge aber wegen „Bedeutungslosigkeit“ zurück. Es sei nicht relevant, was die Zeugen schildern würden, denn nach der Beweisaufnahme könne kein strafbarer Sachverhalt festgestellt werden, weswegen die 25-Jährige verurteilt werden könnte. Dass die Angeklagte nicht verurteilt werden könne, war auch die Ansicht der Staatsanwältin. „Aus rechtlichen Gründen ist sie freizusprechen“, sagte Fischer. Der Vorwurf des Landfriedensbruch sei nicht erfüllt.

Von „Abschreckungspolitik“ und „Lügenden Polizisten“

„Der Verteidiger, der hier steht, nimmt das, was hier gemacht wurde, nicht ernst“, begann Döhmer sein Plädoyer von sich in der dritten Person sprechend. Fischer und Dr. Süß seien die Hauptverantwortlichen dafür, dass „Ella“ unschuldig im Gefängnis sitzt, hätten sich an der „Abschreckungspolitik“ beteiligt. Für Döhmer haben die Polizeibeamten damals „das Blaue vom Himmel gelogen“ und auch in dieser Verhandlung habe es eine Zeugin gegeben, „die offensichtlich gelogen hat“, betonte er – und diese Lügen würden, so wie im Prozess gegen die unbekannte Aktivistin, geglaubt werden. „Sie lügen, weil sie es können“, sagte der Verteidiger, die Polizei hätte auch zum Nachteil von Ella gelogen, spannte er wieder den Bogen zu seiner ehemaligen Mandantin.

Auch dieses Verfahren sei „politisch motiviert“ und man habe auch hier versucht seine Mandantin zu „kriminalisieren“. Die 25-Jährige sei lediglich auf dem Weg gewesen, Menschen im Wald mit Lebensmitteln zu versorgen. Schon vor der Verhandlung habe es überhaupt keine Anhaltspunkte für Landfriedensbruch gegeben. Döhmer forderte einen Freispruch, auch wenn er Berufung der Staatsanwaltschaft befürchte. Dazu werde es aber nicht kommen, wie Fischer nach der Urteilsverkündung mitteilte.

Richter Dr. Süß sprach die Angeklagte schließlich frei. Man habe keinen strafrechtlich relevanten Sachverhalt feststellen können. Der Richter zeigte sich von Döhmers ganzen Vorwürfen unbeeindruckt. „Ich mache Strafrecht und keine Politik“, betonte Dr. Süß. Der Klimaschutz habe im Gericht keine Rolle gespielt und es gebe auch kein „Kartell“ zwischen Polizei und der Justiz.

Ein Gedanke zu “Staatsanwältin: „Wir sind hier nicht im ‚Ella‘-Verfahren“

  1. Wer hier die Parallelen der Verfahren, einschließlich der handelnden Personen, nicht erkennt, ist offenkundig mit Blindheit geschlagen. Zwar gibt es formell keinen Freispruch zweiter Klasse, tatsächlich wird aber sehr wohl unterschieden zwischen erwiesener Unschuld und Mangel an Beweisen. Im ersten Fall wäre dem Vorwurf der Lüge einer Zeugin wohl nachzugehen gewesen. Schade, dass die Redakteurin dies scheinbar nicht erkannt hat.

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