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Tiergestütztes Angebot im Rambachhaus berührt Bewohner und Mitarbeitende gleichermaßen„Da muss ich erst so alt werden, um das zu erleben!“

ALSFELD (ol). Eigentlich sind Tiere nicht verboten im Rambachhaus in Alsfeld, trotzdem sah man sie dort bislang nicht allzu oft. Seit Ostern aber geht es tierisch zu dem Alten- und Pflegeheim, denn dort gibt es seitdem ein tiergestütztes Angebot für die Bewohner.

Es ist eine Szene, die berührt: Eine schmale, weißhaarige Frau liegt seitlich im Bett ihres kleinen Zimmers. Ihr geht es heute nicht so gut, sie hat keine Kraft aufzustehen. Aber sie hat außergewöhnlichen Besuch, der sie zu Freudentränen rührt und sie gleichzeitig in schönen Erinnerungen schwelgen lässt: Ein kleines Löwenköpfchen namens Lasse sitzt in einem Filzkörbchen auf ihrem Bett und während sie erzählt, streichelt sie es ununterbrochen – angetan von dem kleinen Hasen, der durch sein schwarzes Fell mit weißer Pfote und langem, grauem Löwenhaar einfach zum Liebhaben ist.

Lasse ist eines von sechs Zwergkaninchen, und einer von vielen Mitarbeiter als Co-Therapeuten in der Alsfelder Systemischen Coaching.Praxis IMPULS. Lasse, seine Mutter Luise, Onkel Elvis, der freche Cousin Pepe, der ruhige und ängstliche Fredo und sogar die zickige Luna sind zu Besuch im Alsfelder Rambachhaus. Nicht nur die Häschen sind ein wenig aufgeregt, schüchtern und vorsichtig, auch die Bewohner sind es zunächst – man muss sich ja auch erstmal beschnuppern und kennenlernen.

Alle Fotos: Susanne Fett/Rambachhaus

Szenen, die inzwischen keine Seltenheit mehr sind, denn die Alsfelder Seniorenresidenz geht neue Wege: Tiere waren zwar dort noch nie verboten, manche Bewohner ziehen in Einzelfällen gemeinsam mit ihren Hunden oder Katzen ein, und im Garten leben sogar vier Hühner, aber regelmäßigen Besuch als Angebot tiergestützter Interventionen für die Bewohner hatte das Alten- und Pflegeheim bisher noch nicht. Mit der Neugewinnung von Susanne Fett als Betreuungsdienstleitung zum Jahresanfang ist frischer Wind in dem renommierten Haus der Familie Ratmann aufgekommen.

Jeden Montag: Tierischer Besuch im Rambachhaus

Die lebensbejahende Frau hat tolle Ideen, wie sie die Bewohner aktiviert, unterhält und Freude in ihr Leben bringt. Da traf es sich gut, dass sich mit Anja Kierblewski eine Fachkraft für Systemische Familien- und Traumatherapie sowie Fachkraft für Kunsttherapie und tiergestützte Interventionen meldete und fragte, ob sie im Rahmen eines Projektes mal mit ihren Co-Therapeuten ins Haus kommen dürfte.

Sie durfte und nun macht sie es regelmäßig: Jede Woche kommt sie montagnachmittags und nach zusätzlichem Bedarf mit ein paar tierischen Helfern zu Besuch ins Rambachhaus – mal ins Dachgeschoß, mal ins Erdgeschoss, mal besucht sie die Bewohner in den Gemeinschaftsräumen, mal direkt im Zimmer oder am Bett, je nachdem, welche Tiere sie dabeihat, wie sich die Bewohner an dem Tag fühlen und ob sie Besuch von den jeweiligen Tieren haben möchten.

Meist mit ihrem Bollerwagen voller Tiere, Hygieneartikel, Futter, Büchern und Spielen sowie Susanne Fett an ihrer Seite zieht Anja Kierblewski durch den Wohnbereich und wird überwiegend freudestrahlend begrüßt.

„Ach wie süß, darf ich es mal streicheln!“ oder „Ach Gottchen, so was habe ich ja noch nie gesehen!“ sind meist die ersten Ausrufe. Und dann nimmt sich die Alsfelderin Zeit für die Seniorinnen und Senioren, erzählt ihnen von ihren Tieren, von ihren Charakteren, dem Zusammenleben in der tierischen Gemeinschaft, wie man sie hält, füttert und pflegt und kommt so mit den Heimbewohnern ins Gespräch – Demenzkranke erinnern sich, aufgeregte Bewohner werden ruhiger und Gespräche untereinander bekommen neuen Input.

Kleine Geschichten und Übungen für Motorik und Gedächtnis

Manchmal bringt Kierblewski auch kleine Geschichten mit, macht kleine Übungen mit den Tieren, bei denen die Senioren mit eingebunden werden, um ihr Gedächtnis oder ihre Motorik zu trainieren oder ihrer Erinnerung auf die Sprünge zu helfen. In erster Linie geht es aber erstmal darum, durch den Kontakt zu den Tieren, durch die Berührung und Fürsorge, die Stimmung zu verbessern, zu entspannen und aktivierende Reize zu setzen.

Stundenlang könnten die Bewohner mit Häschen auf dem Schoß sitzen und beim Streicheln des Fells selbst Zärtlichkeit erfahren, den Schildkröten beim Krabbeln oder genüsslichem Füttern ihre Wildkräuter beobachten, helfen das Shetlandpony zu putzen oder die hauseigenen Hühner zu trainieren – Hühner sind nämlich intelligent und können kleine Kunststücke lernen. Selbstverständlich darf ein Hund auch nicht fehlen, dessen Anwesenheit immer etwas Besonderes ist.

Zur Erinnerung werden gerne noch Fotos mit dem tierischen Liebling des Tages aufgenommen und stolz den Angehörigen gezeigt. „Da musste ich so alt werden, um mal eine griechische Landschildkröte auf die Hand zu nehmen“, äußert eine betagte Bewohnerin fasziniert.

Für die Besuche überlegen sich Kierblewski und Fett immer gemeinsam, was man dieses Mal machen kann – Hasenfutter wie Möhren oder Äpfel in Stücke schneiden und als Futterketten auffädeln, um die Motorik weiter zu trainieren oder kleine Höhlen für die Schildkröten zu gestalten. Möglichkeiten gibt es viele, tiergestützt mit den Senioren zu arbeiten, ihre motorischen und kognitiven Fähigkeiten zu aktivieren, aber auch ihnen emotional etwas Gutes zu tun, ihr ICH-Bewusstsein, Wirkungsweise und Non-Verbale-Kommunikation zu stärken.

Für Susanne Fett, ihres Zeichens examinierte Altenpflegerin, Altentherapeutin und zertifizierte Gedächtnistrainerin BVGT e.V., gehört die Arbeit mit den Senioren zum Alltag, seit 35 Jahren engagiert sie sich für ältere Menschen, die ihren Lebensherbst in Alten- und Pflegeheimen verbringen. Für Anja Kierblewski ist diese Arbeit relativ neu, da sie erst 2015 ihre systemische Praxis in Alsfeld eröffnet hat.

Viele weitere Ideen im Kopf

„Wenn ich aus dem Rambachhaus komme, fühle ich mich irgendwie anders – zwischen beseelt von den wertvollen Begegnungen der meist sehr dankbaren Bewohner, dankbar dafür, dass man sich Zeit genommen und ihnen ein paar schöne Minuten geschenkt hat, aber auch betroffen von den persönlichen Lebensgeschichten der Senioren, die unter Einsamkeit und Schicksalsschlägen leiden, beim Verlust des Gedächtnisses oder der motorischen und kognitiven Fähigkeiten, darauf warten, dass ihre Zeit abläuft.“ Denn auch das – die negative Seite des Älterwerdens – wird von den Senioren bei den Besuchen thematisiert.

„Manche Bewohner kenne ich auch persönlich – die Tante einer Freundin, der Vater eines Mitschülers oder mein eigener ehemaliger Arbeitskollege, der keine Familie mehr hat, und so erkrankt ist, dass er relativ jung pflegerische Hilfe benötigt. Das berührt, man schüttelt es nicht einfach ab, sondern es regt auch nach Feierabend zum Nachdenken und Dankbarsein an, dass es einem selbst noch so gut geht und man nicht alleine ist auf der Welt.“

Susanne Fett und Anja Kierblewski stehen noch am Anfang ihrer Zusammenarbeit, gemeinsam haben sie noch viel vor: Sie können sich zum Beispiel vorstellen, gemeinsam mit Kindern oder Jugendlichen generationsübergreifende Erlebnisse oder Projekte durchzuführen. Da Kierblewski auch in verschiedenen Einrichtungen der Hilfen unter einem Dach oder in der Jugendhilfe als Systemischer Coach, Supervisorin, Kunst- und Gestalttherapeutin sowie eben mit tiergestützten Interventionen und Traumapädagogik tätig ist, ließen sich dort leicht Kooperationen ermöglichen, von denen alle Beteiligten profitieren würden.

Doch bis dahin heißt es für die Senioren in ihrer Residenz in der Rambach weiter kuscheln, entspannen, aktiv bleiben und sich auf das gemeinsame Sommerfest jetzt am Samstag freuen, denn auch dort gehören die vierbeinigen Therapeuten mit Anja Kierblewski zu den gern gesehenen Gästen.

5 Gedanken zu “„Da muss ich erst so alt werden, um das zu erleben!“

  1. Ich habe Samstag auf dem Sommerfest im Rambachhaus selbst miterleben dürfen, wie einfühlsam und zugewandt Frau Kierblewski mit den Senioren umgeht und wie begeistert diese von den Tieren sind. Es war der Höhepunkt des Tages!

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    1. und sich dann im artikel noch selbst loben, doppelt kasse machen – die therapie an sich macht sinn, aber nicht alles in einer person

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      1. Wer macht hier doppelt Kasse? Man sollte vielleicht erstmal Fakten prüfen, bevor man solche Behauptungen in den Raum stellt. Schade, das gutes Engagement immer wieder Neider oder Besserwisser motiviert, andere zu diffamieren!

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      2. Dopppelt Kassse gemacht und sich selbst gelobt??? Der Artikel ist mit ol gezeichnet, aber der/die OL-Autor*in dürfte selbst nicht mit einer Ladung Tiere im QAltenheim erschienen sein. Was also sollen derartige Unterstellungen i.S. „alles in einer Person“? Man weiß nicht, wo der dummme Ottto das nun wieder her nimmt.

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    2. Für die positiven Wirkungen sog. „tiergestützter Angebote“ in Senioreneinrichtungen liegen in der Tat zahlreiche Belege vor (siehe auch „Green-Care“ auf ehemaligen Bauernhöfen). Weitere gute Beispiele:
      https://www.paediatricum.net/tiergestuetzte%20therapie,%20aufgaben%20seniorenheim.htm
      https://www.mit-tieren-daheim.de/Tiergestuetzte-Intervention/
      Deshalb darf man allzu kleinkarrierte Kritik in Richtung von Therapeuten und Einrichtungen durchaus zurückweisen, auch wenn das „Wording“, mit denen solche Angebote aufgewertet werden sollen, manchmal nervt. Es ginge auch ohne hochtrabende neue „Fachbegriffe“. Aber andererseits wären Ansätze zur Kritik durchaus gegeben, zeigen solche „tiergestützten“ Angebote doch auch die vielfach verbreitete Einfallslosigkeit bei der Entwicklung von Heimkonzepten sowie den Kontrast zu dem sonst offenbar üblichen ereignisarmen und stereotypen Heimalltag, der wenig emotionale Ansprache ermöglicht.

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