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Interview mit Christian Suhr zur Aufführung von Molières „Menschenfeind“ am 28. MaiWas Büchner und Molière heute noch zu sagen haben

ALSFELD (ol). Kurz vor Abschluss der Alsfelder Kulturtage, am Samstag, dem 28. Mai, gibt es seit langer Zeit wieder einmal eine professionelle Theaterdarbietung in Alsfeld: Die BüchnerBühne aus Riedstadt präsentiert Molières Menschenfeind. In Vorbereitung dazu, hatte das Team der Alsfelder Kulturtage die Gelegenheit ein Interview mit dem künstlerischen Leiter Christian Suhr zu führen.

Endlich wird wieder Theater gespielt in der Alsfelder Stadthalle: Mit der renommierten BüchnerBühne hat der Verein Alsfelder Kulturtage laut Pressemitteilung ein Ensemble gewonnen, das nicht nur, aber auch, auf den Spuren seines Namensgebers Georg Büchner wandelt – in seiner Heimat und bei Gastspielen in ganz Deutschland. Nach Alsfeld kommen die Mimen im Jubiläumsjahr mit dem Stück „Der Menschenfeind“ von Molière – der ebenfalls in diesem Jahr ein Jubiläum feiert: seinen 400. Geburtstag.

Die Verantwortlichen der Alsfelder Kulturtage haben mit Christian Suhr, dem künstlerischen Leiter der BüchnerBühne, ein Gespräch über sein Theater, das Repertoire und die Relevanz von Büchner und Molière für die Gegenwart geführt, welches Sie hier im Wortlaut nachlesen können.

Der künstlerische Leiter Christian Suhr. Foto: BüchnerBühne

Interview mit Christian Suhr

Herr Suhr, die BüchnerBühne ist ein von einem Verein getragenes Theaterprojekt und hat ihren Sitz in der Büchnerstadt Riedstadt, wo Sie auch eine feste Spielstätte haben. Sie beschäftigen professionelle Schauspielerinnen und Schauspieler und sind weit über die Grenzen Riedstadts hinaus bekannt. Wie sind Sie organisiert? Wie gestalten Sie Ihr Programm und wie finanzieren Sie sich, sodass Sie als kleine Bühne bestehen können?

Christian Suhr: Die BüchnerBühne hatte ursprünglich einen Trägerverein, der im vergangenen Jahr mit dem Förderverein BüchnerHaus e.V., ebenfalls in Riedstadt, zu „BüchnerFindetStatt“ verschmolzen ist. Der neue Name ist Programm: Das Ziel ist, Georg Büchners Name, sein Werk und seine Gedankenwelt nachhaltig im öffentlichen Diskurs zu verankern.

Der neue Verein finanziert sich zurzeit über die Beiträge seiner knapp über 100 Mitglieder, Eintrittsgelder sowie Fördergelder des Landkreises Groß-Gerau und des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst.

Die Corona-Zeit mit elfmonatiger Zwangsschließung haben wir vor allem dank der unglaublichen Solidarität und Spendenbereitschaft unseres Stammpublikums überstanden. In dieser Zeit der verschiedenen „Lockdowns“ ist übrigens auch die Inszenierung „Der Menschenfeind“ von Molière entstanden, die wir nun erstmals bei Ihnen spielen dürfen.

Zu Riedstadt gehört Goddelau, der Geburtsort des Dichters, Revolutionärs und Naturwissenschaftlers Georg Büchner. Dort lag sowohl die Idee für ein Theater als auch die Namensgebung begründet. Büchner lebte von 1813 bis 1837, er hinterlässt der Welt Werke wie das Drama „Dantons Tod“, das Lustspiel „Leonce und Lena“ und das weltbekannte Fragment „Woyzeck“, die ihre Bühne regelmäßig spielt. Was können uns diese Werke nach bald zweihundert Jahren heute noch sagen?

Solange sich Menschen fragen, welchen Stellenwert „Freiheit! Gleichheit! Brüderlichkeit!“ – die Losungsworte der französischen Revolution – heute noch haben, können sie in Büchners Werk alle Irrtümer, verpassten Chancen und gescheiterten Freiheitsträume wiederfinden, mit denen wir in der Gegenwart und bis auf Weiteres wohl zu kämpfen haben.

Bis heute passen Büchners Worte in keine wissenschaftliche oder politische Ordnung, lassen sie keinen in Ruhe, der sie gern hätte. Wir geben ihnen und anderen Unruhestiftern eine kleine Bühne, um etwas zu erfahren: Über uns.

Büchner hält uns auf Trab – und Bewegung hat noch keinem geschadet – auch nicht dem trägen Prinzen Leonce aus Büchners einziger Kömdie: „Ich habe noch eine gewisse Dosis Enthusiasmus zu verbrauchen; aber wenn ich Alles recht warm gekocht habe, so brauche ich eine unendliche Zeit um einen Löffel zu finden.“ Um im Bilde zu bleiben, könnte man sagen: Unsere Theaterarbeit ist eine Einladung zur gemeinsamen Suche nach diesem „Löffel“.

Foto: BüchnerBühne

Ihr Repertoire ist weit gefächert: Neben Büchner in vielen Interpretationen finden wir Loriot und Heinz Erhardt oder Daniel Glattauer und Ferdinand von Schirach neben Klassikern wie Shakespeare und Moliere. Nach welchen Aspekten stellen Sie das Programm der BüchnerBühne zusammen?

Im Kern interessiert uns bei den Autoren das Menschenbild und die Rolle des Einzelnen in der Gesellschaft. Widersprüche hierbei aufzuzeigen und in unterschiedlichen Genres dem Publikum zu präsentieren, halten wir für eine Aufgabe zeitgenössischen Theaters: Anregung zum Diskurs. Loriot beispielsweise hatte sich mal in einer Talkshow sehr ernsthaft dagegen verwehrt, mit seiner Unterhaltungskunst „unpolitisch zu sein – sein Argument: Wenn man in einer Demokratie, wo der Bürger doch der Souverän sei (oder zumindest sein sollte),bürgerliche Verhaltensweisen satirisch hinterfragt, wäre das per se politisch. Dem kann man eigentlich nicht widersprechen.

Von Molière haben Sie regelmäßig sechs Stücke im Repertoire. Welche Rolle spielt der französische Dramatiker bei der Zusammenstellung Ihres Programms und warum, glauben Sie, wird der heute immer noch gerne gespielt?

Molière ist der Erfinder der Charakterkomödie – und hat diese Theatergeschichte erstmals als eine der Tragödie ebenbürtige Gattung etabliert. Heute könnte man vielleicht sagen, in seinem Werk schlummert so etwas wie die Urform des Kabaretts: Aufklärung durch Lachen.

Er hat sich Ärzte, Anwälte, religiöse Fanatiker, Spießbürger und Aufschneider jeder Art vorgenommen und führt uns auf zeitlos unterhaltsame Weise vor Augen, wie die immer gleichen verborgenen Instinkte – Dummheit, Rachsucht, Gier und Geiz – das gesellschaftliche Zusammenleben regieren. Solange man diese nicht wahrhaben und erkennen will … In diesem Sinne ist das Lachen bei Molière auch immer ein Lachen der Erkenntnis – und dies passt gut zu Georg Büchner.

Karten zur Veranstaltung am 28. Mai um 19 Uhr in der Alsfelder Stadthalle gibt es online über Reservix zu erwerben.

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