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Vorbereitungen zum Christkindwiegen in AlsfeldZwei Weihnachtsbäume auf ihrem Weg hoch auf den Kirchturm

ALSFELD (ls). Wenn an Heiligabend die Sänger und Bläser die 146 Stufen des Alsfelder Kirchturms hoch zum traditionellen Christkindwiegen erklimmen, dann stehen die beiden bunt-leuchtenden Weihnachtsbäume schon. Und während die festliche Weihnachtsmusik über den Dächern der Stadt hallt, wissen wenige, dass die Vorbereitung dieser Tradition schon einen Abend vorher beginnen, mit einer weiteren Tradition: Dem Vorbereiten der Weihnachtsbäume.

Es ist Donnerstagabend, 18 Uhr – der Abend vor Heiligabend. Während auf den Straßen der Stadt noch hektisches Treiben herrscht, ist es am Vogelsang in Alsfeld schon dunkel und ruhig, einzig in der Schreinerei Kurtz brennt noch Licht. Dort nämlich beginnen am Vorabend von Heiligabend die Vorbereitungen auf eine langjährige Tradition, das Christkindwiegen.

Gekauft bei der Baumschule Caspar in Schwabenrod, gebracht durch den städtischen Bauhof: Einen Abend vor Heiligabend wird es in der Schreinerei Kurtz weihnachtlich: Dort werden von einer kleinen „Vorarbeiter“-Gruppe des Gesangsvereins Liederkranz Harmonie die Vorbereitungen für das Christkindwiegen getroffen und die Weihnachtsbäume für den Kirchturm vorbereitet. Alle Fotos: ls

Ohne kann es in Alsfeld nicht Weihnachten werden. Immerhin: Seit fast schon 350 Jahren steigen Sänger und Bläser die gut 146 Stufen des Kirchturms an der Walpurgiskirche herauf und spielen Weihnachtslieder zu drei Uhrzeiten am heiligen Abend, mit einer Ausnahme: Im vergangenen Jahr wurde durch die Einschränkungen der Corona-Pandemie eine Aufnahme aus 1978 abgespielt – und auch in diesem Jahr ist es immer noch nicht so, wie es eigentlich sein sollte. Nachdem 1849 der Gesangverein „Liederkranz-Harmonie“ die Leitung der Tradition übernommen hat und sie zusammen mit dem Posaunenchor der Kirchengemeinde aufrecht erhält, sind es in diesem Jahr einzig die Bläser, die über den Dächern der Stadt gespielt haben.

Organisiert wird das Christkindwiegen aber trotzdem vom Gesangverein, denn neben dem Christkindwiegen am Abend, gibt es trotzdem noch einiges zu tun: Traditionell werden nämlich die beiden bunt-leuchtenden Bäume auf dem Kirchturm durch den Gesangverein vorbereitet, auf den Turm gebracht und dort aufgestellt – und das schon seit 1901, also stolzen 120 Jahren.

Bis zu 4,50 Meter groß sind die Bäume auf dem Kirchturm – und wahrlich: Von unten wirkt es kleiner. Beim Aufstellen bleibt die Spitze an den Deckenbalken hängen. „Wie jedes Jahr“, erzählt einer der Jugendlichen schmunzelnd.

Besuch bei den Vorbereitungen der Tradition

Wo kommen die Bäume her? Wie kommen die Lichterketten da dran – und vor allem: Wie kommen die beiden großen Bäume den schmalen Treppenaufgang und die 146 Stufen hoch? Die Antworten auf einige dieser Fragen, werden einen Abend vorher beantwortet, denn da bereitet eine kleine Gruppe von Männern und Jugendlichen die Bäume vor. Von Generation zu Generation wird die Aufgabe weitergegeben, die Jungen schon früh eingebunden.

„Viele wissen es nicht, aber das gehört seit vielen Jahren mit zur Tradition“, erklärt Jens Buchhammer vom Gesangverein „Liederkranz-Harmonie“, der die Tradition nach dem Verlust seines Vaters Hans Buchhammer in diesem Jahr fortführt. Dazu gehört auch das Aufstellen und natürlich das Vorbereiten der Bäume, was schon seit 30 Jahren in der Schreiner Kurtz stattfindet. Auch wenn die Bäume schon am Vormittag durch den städtischen Bauhof angeliefert wurden, gibt es für die Gruppe einiges zu tun.

Zu groß: Die Bäume müssen auf die passende Größe zugeschnitten werden.

„Die Bäume dürfen nicht größer sein als 4,50 Meter, weil es oben auf dem Turm sehr windig ist und es sonst zu unstabil wird. Zu klein dürfen sie aber auch nicht sein, sonst sieht man sie nicht“, erklärt Uwe Thöt. Die beiden diesjährigen Bäume überschreiten die 4,50 Meter deutlich und müssen auf die richtige Größe gesägt werden. Nachdem früher lediglich ein Baum in Richtung Marktplatz aufgestellt wurde, kam nach der Bebauung des Rodensbergs noch ein weiterer Baum in diese Richtung hinzu.

Auch der Stamm muss eine bestimmte Dicke haben, um in die Vorrichtung zu passen, die oben am Kirchturm angebracht wurde. „Ein Jahr mussten wir am ersten Weihnachtsfeiertag hoch auf den Turm, weil es einen Sturm gab, der den großen Baum umgerissen hat. Das wäre sehr gefährlich geworden, denn er hätte leicht runterfallen können. Seitdem haben wir oben nochmal extra Sicherungsketten, damit der Baum nicht kippen kann“, erklärt Dieter Schrimpf. Bereits als Jugendlicher hat er angefangen, die Bäume aufzustellen und abends mitzusingen. 65 Jahre ist das mittlerweile her.

Mit einer Schablone wird gemessen, ob der Stamm den richtigen Durchmesser hat, sodass er in die Vorrichtung passt.

Der Weg hoch auf den Turm

Durch Schrimpfs Initiative wurde der Weg der beiden Bäume hoch auf den Turm übrigens um einiges einfacher. Anders als man nämlich denkt, werden die großen Bäume nicht nur das schmale Treppenhaus hoch auf den Turm gebracht, sondern an einem Drahtseil über eine Luke, vorbei an den großen Kirchglocken, nach oben gezogen. „Früher haben wir die Bäume noch mit einer alten Seilwinde hoch gezogen, das war schon ziemlich anstrengend und hat länger gedauert, aber mittlerweile läuft das motorisiert“, sagte Buchhammer. Statt Glühbirnen wie früher gibt es heutzutage übrigens bunte LEDs.

Tüftler Schrimpf hat dazu 2013 ein Motor an die Seilwinde gebaut, am Baum wird eine Schlaufe angebracht, in der das Drahtseil eingehakt wird. „Über den gleichen Weg kommen übrigens auch Getränke und andere Verpflegung hier hoch.“ In diesem Jahr, am Morgen von Heiligabend, sollte das in Rekordzeit gelingen: Nur eineinhalb Stunden brauchen die Mitglieder, um die beiden Bäume oben über den Dächern zu platzieren.

Unter einen schmalen Schacht geht es hoch auf den Turm.

Damit die Bäume durch den schmalen Schacht passen, müssen sie nachdem die Lichterketten angebracht wurden, eng zusammengeschnürt und klein „verpackt“ werden, damit die Äste nicht an Balken hängen bleiben und abbrechen. „Es ist alles sehr eng dort oben, nicht nur der Sacht, sondern oben der Rundgang auch. Ein Jahr ist uns dort Baumspitze abgebrochen. Kurzerhand haben wir Dachlatten genommen und sie damit wieder angeschraubt. Von unten hat man das glücklicherweise nicht gesehen“, erinnert sich Schrimpf zurück.

Der Weg runter vom Turm

„Ohne das Christkindwiegen gibt es für mich kein Weihnachten in Alsfeld“, sagt Schrimpf in der Hoffnung, dass die Tradition im kommenden Jahr wieder so wie gewohnt stattfinden kann. Dazu gehört nämlich nicht nur das Singen und Aufstellen der Bäume, sondern auch das traditionelle Frühstück und das Zusammensein am Abend im Türmerstübchen. „Wir haben hier Treffen erlebt, wo fast 60 Menschen hier zusammen saßen“, erklärt Thöt.

„Da saßen dann ein SPD-Bürgermeister und ein CDU-Landrat zusammen auf engstem Raum und lieferten sich ein politische Wortgefecht, Hans Otto Schneider oder Moni Hölscher erzählte aus früheren Tagen, Heinrich Dittmar las Geschichten – das war und ist immer wieder ein ganz besonderer Einklang auf das Weihnachtsfest.“

Die Truppe oben auf dem Kirchturm.

Und wie kommen die Bäume wieder runter? „Früher wurden sie am Reibertenröder Eingang der Kirche einfach runtergeschmissen. Wenn der Stamm damals günstig aufgekommen ist, dann wurden die Pflastersteine um gut 20 Zentimeter in den Boden gerammt“, erklärt Thöt. Heutzutage ist das natürlich nicht mehr so: Im neuen Jahr, genauer gesagt am 5. Januar, werden die Bäume wieder über die von Schrimpf entworfene motorisierte Seilwinde runtergelassen, so wie sie am Morgen von Heiligabend ihren Weg hoch gefunden haben. Auch das hat Tradition.

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