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Hohes Risiko für Beschäftigte in Bäckereien, Fleischereien und Restaurants2.500 Menschen im Vogelsbergkreis trotz Vollzeitjob von Altersarmut bedroht

VOGELSBERG (ol). Ein Leben lang arbeiten – und trotzdem reicht die Rente nicht: Im Vogelsbergkreis sind rund 2.500 Vollzeitbeschäftigte selbst nach 45 Arbeitsjahren im Rentenalter von Armut bedroht.

Davor warnt die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) in einer Pressemitteilung und beruft sich hierbei auf Zahlen der Bundesagentur für Arbeit und der Deutschen Rentenversicherung. Demnach verdienen 13,3 Prozent aller Beschäftigten, die im Vogelsbergkreis in Vollzeit arbeiten, weniger als 2.050 Euro brutto im Monat. Rein rechnerisch müssten sie sogar mehr als 45 Jahre lang arbeiten, um auf eine Rente oberhalb der Grundsicherungsschwelle von aktuell 835 Euro zu kommen.

„Altersarmut ist kein Schreckensszenario in der Zukunft, sondern für viele Menschen längst Realität. Die Rente derer, die zum Beispiel jahrzehntelang in einer Bäckerei oder Gaststätten gearbeitet haben, reicht schon heute oft nicht aus. Rentenkürzungen oder Forderungen über ein späteres Eintrittsalter sind der falsche Weg. Stattdessen muss die Politik die gesetzliche Rente stärken“, so Andreas Kampmann, Geschäftsführer der NGG-Region Nord-Mittelhessen, mit Blick auf die aktuelle Debatte rund um die Alterssicherung. Das Rentenniveau, also die durchschnittliche Rente nach 45 Beitragsjahren bei mittlerem Verdienst, dürfe nicht weiter absinken.

Rente mit 70 sei der falsche Weg

Seit dem Jahr 2000 sei das Rentenniveau bereits von rund 53 Prozent auf aktuell 48 Prozent abgesenkt worden. „Konkret bedeutet das, dass Geringverdiener mit einem Einkommen von weniger als 2.050 Euro brutto im Monat statt 42 nun fast 46 Jahre lang arbeiten müssen, um überhaupt noch die Grundsicherungsschwelle im Alter zu erreichen. Aber vier Jahre länger an der Bäckereitheke, in der Lebensmittelfabrik oder im Schlachthof am Band zu stehen, ist vielen Beschäftigten gesundheitlich gar nicht möglich. Jede Anhebung des Renteneintrittsalters ist somit faktisch eine Rentenkürzung“, unterstreicht Kampmann.

Die nächste Bundesregierung müsse das derzeitige Rentenniveau stabilisieren und perspektivisch anheben, um einen weiteren Anstieg der Altersarmut zu verhindern. Die von Wirtschaftsverbänden geforderte „Rente mit 70“ sei der falsche Weg – und ein „Schlag ins Gesicht der Menschen, die körperlich arbeiten und schon bis 67 nicht durchhalten können“.

Auch deshalb sei es wichtig, dass die Beschäftigten ihre Stimme bei der Bundestagswahl am 26. September abgäben – und sich informierten, was die Rentenkonzepte der einzelnen Parteien für sie bedeuteten, so die NGG.

Gesetzliche Rente als zentrale Säule

Zugleich seien die Unternehmen in der Pflicht, prekäre Beschäftigung zurückzufahren und Tarifverträge zu stärken. Gerade im Hotel- und Gaststättengewerbe gebe es einen enormen Nachholbedarf, um die Einkommen wirklich armutsfest zu machen – auch weil viele Firmen aus der Tarifbindung flüchteten. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit verdienen in Hessen aktuell rund 17.400 von insgesamt 38.200 Vollzeitbeschäftigten im Gastgewerbe weniger als 60 Prozent des bundesweit mittleren Monatseinkommens von 3.427 Euro. „Hier darf es niemanden überraschen, dass während der Corona-Krise so viele Köche und Hotelangestellte ihre Branche verlassen haben“, sagt Kampmann.

Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes nimmt die Zahl der Menschen, die in der Altersgruppe ab 65 armutsgefährdet sind, weiterhin zu. Aktuell sind dies 18 Prozent. Im Jahr 2009 waren es noch 14 Prozent. Entscheidend sei nun, die gesetzliche Rente als zentrale Säule der Altersvorsorge für die Zukunft zu stärken. Dafür müssten angesichts des demografischen Wandels auch weitere Mittel aus dem Bundeshaushalt fließen und die Rentenversicherung zu einer Erwerbstätigenversicherung, in die alle einzahlen, weiterentwickelt werden.

Kampmann: Grundrente muss weiterentwickelt werden

Dabei dürften die Generationen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Die Sicherung der gesetzlichen Altersvorsorge komme gerade auch den Jüngeren zugute. Denn sie müssten einen weiteren Abfall des Rentenniveaus mit einem immer längeren Arbeitsleben bezahlen. „Am Ende geht es um den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft. Nach einem langen Berufsleben muss sich jeder darauf verlassen, den Ruhestand in Würde genießen zu können“, so Kampmann weiter.

Die NGG verweist darauf, dass die neu eingeführte Grundrente für Betroffene zwar zu höheren Bezügen führen könne. Allerdings seien die Hürden mit erforderlichen 33 Beitragsjahren zu hoch und der Zuschlag falle oft gering aus. „Die mögliche Einkommensanrechnung, etwa des Lebenspartners, lässt die Beträge weiter schrumpfen. Damit bekommen viele Menschen keinen oder nur einen geringen Zuschlag. Die Grundrente muss daher ebenfalls weiterentwickelt werden“, unterstreicht Kampmann.

3 Gedanken zu “2.500 Menschen im Vogelsbergkreis trotz Vollzeitjob von Altersarmut bedroht

  1. Jetzt hört man was von der NGG.
    Ich arbeite schon 45 Jahre als Fleischer und was hat die NGG für uns getan? Ich kann es Ihnen sagen, NICHTS. Sonst würden die Fleischer, Bäcker und alle die die noch zur NGG gehören besser dastehen. Die einzigen Gewerkschaften die etwas für Ihre Leute erkämpft haben sind für mich Verdi und IG Metall. Die haben auch mal gestreikt.
    Deshalb ist für mich der Bericht nur Augenwischerei.
    Wir haben halt keine Lobby.

  2. Heute beklagen sich diese Betriebe sie bekämen keine Arbeitskräfte dann müßen sie mehr bezahlen mit 12 Euro die Stunde kann heute keiner mehr Leben.Der Mindestlohn muss auf 14 Euro angehoben werden und gute Arbeitsbedingungen geschaffen werden.

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  3. Nun muss man den „Beschäftigten, die im Vogelsbergkreis in Vollzeit arbeiten, [und] weniger als 2.050 Euro brutto im Monat“ verdienen, „rein rechnerisch“ nur noch diejenigen hinzu rechnen, die nicht Vollzeit arbeiten können und niemals „auf eine Rente oberhalb der Grundsicherungsschwelle von aktuell 835 Euro“ kommen werden. Die Grundsicherungsschwelle – das vergisst man leicht – ist von der Politik im Sinne des sog. „Abstandsgebots“ bewusst unterhalb des Existenzminimums eingezogen worden, damit diejenigen, die zu Hungerlöhnen arbeiten zumindest mehr kriegen als die, die gar nicht arbeiten. Mein Vorschlag: Nicht die Armut immer wieder neu verteilen, sondern den Reichtum. Reiche Erben zum Beispiel arbeiten auch ihr Leben lang nix, haben aber trotzdem im Alter keine Sorgen. Wie wäre es mal mit einem Modellversuch: Die ererbten Milliarden der Beate Heister und des Karl Albrecht Junior, des Dieter Schwarz, der Susanne Klatten, des Klaus-Michael Kühne, des Theo Albrecht Junior, Stefan Quandt, Reinhold Würth und wie sie alle heißen, verteilen wir gleichmäßig auf alle von Altersarmut Bedrohten. Problem gelöst.

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