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Unterwegs mit den Drohnenpiloten Thorsten Kurz und Lukas MichelisKleinen Rehkitzen das Leben retten

LANDENHAUSEN (akr). Thorsten Kurz und Lukas Michelis aus Lauterbach retten Leben, die Leben kleiner Rehkitze. Immer wieder werden die Jungtiere Opfer großer Mähwerke, sterben einen qualvollen Tod. Das wollen die Beiden verhindern. Mit Hilfe einer Wärmebildkamera spüren sie in den frühen Morgenstunden die Kitze auf, bevor die Wiese gemäht wird.

Dichter Nebel liegt über den Feldern oberhalb von Landenhausen. Langsam geht die Sonne auf, die die vielen kleinen Regentropfen auf den Grashalmen in ein Glitzermeer verwandelt. Es ist 5.20 Uhr. Thorsten Kurz klappt seinen lilafarbenen Campingstuhl auseinander, während Lukas Michelis die Drohne aus einer schwarzen Kiste holt und sie auf den orangenen Start- und Landekreis platziert. Die Drohne ist mit einer Wärmebildkamera ausgestattet und soll Rehkitze im Gras aufspüren. Etwa 17 Hektar Wiese haben die beiden heute vor sich.

An diesem Tag sind die Rehkitz-Retter aber nicht allein. Sie haben Verstärkung von Klaudia Goerlich. Sie ist heute als freiwillige Helferin vor Ort. Goerlich ist durch einen Flyer der Organisation Kitzrettung-Hilfe darauf aufmerksam geworden, das Helfer gesucht werden. „Ich finde Tierschutz einfach wichtig“, betont sie. Freunde von ihr hätten auch gerne geholfen, doch zeitlich hätte das leider nicht gepasst.

Das erste Feld steht an. Thorsten Kurz trägt schon die VR-Brille, die eine Sicht ohne äußere Einflüsse wie beispielsweise Sonne, ermöglicht. Währenddessen steuert LukasMichelis die Drohne. Fotos: akr

In den frühen Morgenstunden mit dabei ist auch Hans-Jürgen Scheiber von der Jagdaufsicht sowie Senior-Landwirt Erhardt Schmitt, sein Sohn Peter und dessen Lebensgefährtin Cindy Köhn. Die beiden Landwirte haben Kurz und Michelis angefordert, denn das meterhohe Gras soll gemäht werden – ohne, dass hierbei kleine Rehkitze sterben müssen.

Der 50-Jährige Thorsten Kurz und der 25-Jährige Lukas Michelis arbeiten immer im Team. Seit fast zwei Jahren bereits. Michelis fliegt die Drohne und Kurz verfolgt konzentriert mit der VR-Brille die Aufnahmen. So auch an diesem Morgen. Michelis startet die Drohne. Langsam und vorsichtig bringt er sie auf 18 Meter Höhe. „Je tiefer man fliegt, desto weniger sieht man in der Breite. Man sollte so hoch wie möglich fliegen, aber so, dass man noch alles gut erkennen kann“, erklärt Kurz. Fast lautlos surrt sie über das erste Feld und verschwindet im dichten Nebel. „Gut“, sagt Kurz nur kurze Zeit später. Die erste Bahn ist geschafft. Nun steht die nächste an.

In 18 Meter Höhe fliegt die Drohne über die Felder.

Eine emotionale Aufgabe

Nur wenige Schritte entfernt steht Hans-Jürgen Scheiber in Position. Sollte ein weißer Punkt auf dem Display zu sehen sein, kommt er zum Einsatz. Er ist der Jagdpächter und die einzige Person, die die Rehkitze aus dem hohen Gras heraustragen darf. Dabei trägt er Handschuhe. Nicht aber, weil er Angst hat, gebissen zu werden, sondern damit das Tier nicht seinen Geruch annimmt. „Sonst wird es von der Mutter später nicht mehr angenommen“, erklärt er.

Zusätzlich zu den Handschuhen wird das kleine Rehkitz noch mit Grasbüscheln umhüllt. Sicher ist sicher. Auch wenn Scheiber das schon mehrmals gemacht hat, ist es für ihn immer noch etwas Besonderes. „Da sind schon Emotionen da, wenn dich das kleine Rehkitz anguckt, die Augen fast größer sind als der Kopf und das Herzchen bubbert wie eine Nähmaschine“, erzählt er.

Kleine Rehkitze fliehen bei Gefahr nicht – sie bleiben einfach liegen und hoffen, dass die Gefahr vorbeizieht. Foto: Kurz

Doch Scheiber kann die Handschuhe noch auslassen. Das erste etwa ein Hektar große Feld ist abgeflogen. Kein Rehkitz. Für alle Beteiligte heißt es: ab zum nächsten Feld. Allerdings nicht für Landwirt Peter Schmitt. Er setzt sich in seinen Traktor mit Mähwerk und beginnt sofort zu mähen. „Das ist der Idealfall“, erklärt sein Vater Erhardt. Man kann schließlich nie wissen, ob sich im Laufe des Tages nicht doch noch ein Jungtier im Feld aufhält. „Deshalb wird am besten direkt im Anschluss gemäht“.

Etwa zehn Felder liegen noch vor den Drohnenpiloten. Damit die beiden auch genau wissen, um welche Felder es sich handelt, weist Schmitt-Senior sie ein. Wieder wird der lilafarbene Campingstuhl ausgeklappt, der Akku der Drohne gewechselt, die VR-Brille an die Drohen-Fernbedienung angeschlossen und schon geht es wieder in die Lüfte. Nur wenige Minuten später die Gewissheit: Auch hier versteckt sich kein kleines Rehkitz.

Schneller und sicherer

„Mit der Drohne geht das natürlich um einiges schneller und es ist sicherer“, erzählt der Jagdpächter. Alternativ kann man die Felder auch mit mehreren Personen durchsuchen, indem man sie ganz klassisch abläuft. „Das dauert aber auch ziemlich lang“, lächelt er. Außerdem könne es hierbei auch vorkommen, dass man versehentlich auf ein Rehkitz tritt, da sie meist von viel Gras überdeckt sind. Ebenso können Pfosten mit flatternden Tüten helfen, die das Wild sozusagen warnen und vergrämen soll. Sicher sei das allerdings nicht.

„100 Prozent Sicherheit gibt es auch mit der Drohne nicht, aber es ist schon derzeit die sicherste Methode“, erklärt Michelis, der gerade die vom Nebel nasse Drohne wieder auf Position stellt. Durch den dichten Nebel haben die Drohnenpiloten an diesem Tag ein paar technische Schwierigkeiten. Immer wieder verstellt sich die Kamera. Doch die beiden bringt das nicht aus der Ruhe. Jetzt hat aber nicht Kurz die VR-Brille auf, sondern Klaudia Goerlich. Kurz blickt zusätzlich aber auch auf das große Display der Drohnensteuerung.

Das Display der Steuerung zeigt die Bilder der Wärmebildkamera an. Thorsten Kurz sieht durch die VR Brille genau das gleiche.

„Stop“, hört man den 50-Jährigen rufen. Auf dem grauen Display ist ein kleiner, weißer Punkt zu sehen. Versteckt sich hier ein junges Rehkitz? Scheiber macht sich mit dem Walki Talki in der Hand auf den Weg in das hohe Gras. Per Funk bekommt er die Anweisungen, wo er hinlaufen soll. Bei einem Baum bleibt Scheiber stehen, läuft vorsichtig hin und her. Kein Rehkitz. Dann blickt er den Baum hinauf und bahnt sich seinen Weg zurück durch das nasse Gras. Fehlalarm. Die Wärmebildkamera hatte ein Vogelnest entdeckt, das sich zwischen den Ästen befand.

Die Drohnenpiloten sind sehr gefragt

Michelis‘ Telefon klingelt. Nicht das letzte Mal an diesem Tag. „Die Nachfrage ist sehr groß. Das Telefon rappelt ununterbrochen“, erzählt der 25-Jährige, während er die Drohne wieder in die schwarze Kiste packt. Immer wieder werden die beiden angerufen und Termine für Drohnenflüge ausgemacht. Oftmals sehr kurzfristige, schließlich muss auch das Wetter mitspielen. Die beiden versuchen, so viele Termine wie möglich wahrzunehmen, doch allen gerecht zu werden: unmöglich. Im Vogelsbergkreis gibt es nämlich gerade mal sechs Drohnenpiloten – viel zu wenig, finden die beiden. Doch sie können es auch verstehen, dass nicht alle das mit ihren Jobs vereinbaren können. Für Kurz und Michelis ist das in den frühen Morgenstunden kein Problem. Kurz hat Gleitzeit und Michelis ist Student.

Platzwechsel: Nun verfolgt Klaudia Goerlich das Bild der Drohne.

Auf geht es zum nächsten Feld Mittlerweile ist es 8.45 Uhr. „Hier könnten wir ein Rehkitz finden“, sagt Schmitt-Senior. Währenddessen hört man seinen Sohn im Hintergrund mähen – und zwar „guten Gewissens“. Wer genau hinhört, kann ein leises und zugleich schrilles Piepen wahrnehmen. Es handelt sich dabei um einen sogenannten „akustischen Wildretter“, der am Mähwerk befestigt ist und die Tiere mit dem schrillen Ton verjagen sollen. Das funktioniere aber auch nur bei den älteren, also so vier bis fünf Wochen alten Rehkitzen. Denn ganz junge Tiere flüchten nicht selbstständig. Bei Gefahr drücken sie sich vor Angst dicht an den Boden und werden bei Mäharbeiten dann oft übersehen und sterben einen qualvollen Tod.

Genau das wollen die beiden Drohnenpiloten verhindern und stehen deshalb in der Sommerzeit nicht nur einmal in der Woche ganz früh auf. Geld bekommen sie dafür nicht. Sie machen das ehrenamtlich. Haben dafür extra einen Drohnenführerschein gemacht, den man seit diesem Jahr braucht. Die Drohne gehört der Jägervereinigung Lauterbach. „Wenn wir Spenden bekommen – die meisten Spenden etwas – dann kaufen wir beispielsweise Akkus für die Drohne oder sonstiges“, erklärt der 50-Jährige.

Auf Nummer sicher gehen

Bei der nächsten Wiese angekommen springt plötzlich eine Ricke, also ein weibliches Reh, aus dem hohen Gras hervor und flüchtet Richtung Wald. „Da könnte ein Zeichen sein, dass sich hier auch Junge befinden können“, erklärt Erhardt Schmitt. Dieses Feld zu überfliegen ist schon eine kniffeligere Aufgabe für die beiden erfahrenen Drohnenpiloten. Der Nebel ist zwar mittlerweile verschwunden und die Sonne scheint, doch das Feld liegt direkt unter einem Strommast.

In diesem Jahr haben die beiden mit der Drohne schon über 30 Rehkitze gerettet. Foto: Kurz

Besondere Vorsicht ist angesagt, denn die Drohne darf die Stromleitungen nicht berühren. Wieder surrt sich die Drohne Bahn für Bahn über das Feld, ein Rehkitz hat sich dort wieder nicht versteckt. Doch um auf Nummer Sicher zu gehen, laufen der Jagdpächter und Klaudia Goerlich das Feld nochmal vorsichtig zu Fuß ab. Mit klitschnassen Hosen kommen beide nach einigen Minuten wieder aus dem Feld heraus. Alles sicher.

Noch liegen zwar einige Felder vor ihnen, doch an diesem Tag werden sie keine Rehkitze finden. Enttäuscht darüber sind sie aber nicht. „Es ist natürlich schön, wenn man sieht, wie eines gerettet wird“, lächelt Michelis, Kurz stimmt mit einem Grinsen zu. Noch wissen beide nicht, dass sie schon drei Tage später zehn Rehkitzen das Leben retten werden – und das werden mit Sicherheit nicht die letzten gewesen sein.

2 Gedanken zu “Kleinen Rehkitzen das Leben retten

  1. Das ist ein Traktor mit Mähwerk, aber kein Mähdrescher.
    Könnte man die Kameras am Traktor befestigten und automatisch eine Warnung erhalten, dann könnte man nennenswert Tiere retten. So ist das ganze leider nur eine lobenswerte Spielerei.

    Vergleichbar mit der Bruderaufzucht in der Legehennenhaltung. Nett gemeinte Initiative, aber um wirksam Küken vor dem Schrettern zu retten bedarf es moderner Technik. Wenn die Technik zur Verfügung steht, kann man allerdings auch damit rechnen, dass diese gesetzlich vorgeschrieben wird.

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    1. Ahhhh, Kamera am Traktor….. weil ein Traktor keine Wärme ausstrahlt und damit das Kitz für die Wärmebildkamera unsichtbar macht – scheint fast sinnvoll zu sein. Das Ganze wird auf einer 10m langen Stange montiert, um das Kitz zu sehen, bevor es beim mähen erwischt wird, das macht es gleich noch leichter zu handhaben. Nicht zu vergessen- der Jagdausübungsberechtigte, der ganztags neben dem Traktor her rennt, um bei Bedarf einzugreifen.
      Herr lass Hirn regnen….

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