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Karla Cichowski-Rehm geht nach 35 Jahren als Leiterin der Kita Angenrod in den Ruhestand - ein Porträt„Man bekommt einfach so viel zurück“

ANGENROD (akr). Die Kindertagesstätte in Angenrod ohne Karla Cichowski-Rehm? Das klingt für viele unvorstellbar, schließlich hat sie seit 35 Jahren die Leitung der Kita inne. Das wird allerdings bald nicht mehr so sein. Die 64-Jährige geht schweren Herzens in den Ruhestand. Ein Porträt.

„Es war für mich nie nur ein Job. Es war meine Berufung“, sagt Karla Cichowski-Rehm mit einem Lächeln im Gesicht, während sie am Computer gerade die Dienstpläne für die kommende Woche erstellt. Sie unterbricht ihre Arbeit, rutscht mit ihrem Stuhl an den kleinen Tisch in ihrem Büro, schenkt sich ein Glas Wasser ein, atmet einmal tief durch und beginnt zu erzählen. „Seit ich bewusst denken kann, wollte ich immer mit Menschen, insbesondere mit Kindern arbeiten“, erzählt Cichowski-Rehm. Seit 35 Jahren ist sie die Leiterin der Kita in Angenrod. Ihren ersten Tag hatte sie am 17. September 1984, ihren letzten wird sie in knapp zwei Wochen haben, genauer gesagt am 20. Dezember.

Sie schluckt, als sie das Datum ihres letzten Tages laut ausspricht. Sie will es nicht so ganz realisieren, dass sie bald nicht mehr täglich in der Kita sein wird. „Ich arbeite so weiter, als kommt nichts“, sagt sie. Ihre Stimme zittert. Es ist ein emotionales Thema für die 64-Jährige. „Ich will mich eigentlich nicht zur Ruhe setzen, sondern einfach langsamer weitergehen anstatt mit zu rennen“. Es fällt ihr schwer los zu lassen. Doch die Zeit ist gekommen. 35 Jahre sind eine lange Zeit, in der vieles auf der Strecke bleibt. „Mein Mann sagt immer, du arbeitest als ob du selbstständig wärst“, lächelt sie. Selbstschutz, mehr Zeit für sich, für ihre Familie, für Dinge, die liegen geblieben sind – deshalb hat sie sich schweren Herzens dazu entschieden, in den Ruhestand zu gehen.

Die Arbeit mit Kindern: ein Herzenswunsch

Damals, vor 35 Jahren, ist sie ins kalte Wasser gesprungen, kannte niemanden. „Hier kannte jeder jeden. Ich war ein stückweit fremd, aber ich wurde herzlich aufgenommen“, lächelt sie. Eigentlich kommt die 64-Jährige aus Eschwege. Ihre Ausbildung zur Erzieherin machte sie in Ziegenhain, zog für ihren Traum in die Schwalm. Nach ihrer Ausbildung arbeitete sie sieben Jahre in der Melanchton Schule Steinatal. „Letztendlich war es aber mein Herzenswunsch mit kleinen Kindern zu arbeiten“, erzählt sie und trinkt einen Schluck Wasser.

In einer Zeit, in der man nicht händeringend nach Erzieherinnen suchte, die sozialen Berufe einen richtigen Aufschwung erlebten, stieß Karla Cichowski-Rehm auf die Stellenausschreibung für die Leitung der Angenröder Kita. Sie bewarb sich und bekam die Stelle. Dass sie ihren Traumberuf ausleben konnte, hatte sie auch ihrem Mann zu verdanken. Der hat auf ihren gemeinsamen Sohn aufgepasst, sich eine Auszeit vom Studium genommen, damit sich seine Frau voll und ganz der Arbeit zuwenden konnte. „Dafür bin ich sehr dankbar“, lächelt sie. Gleichzeitig versucht sie ihre Tränen zu unterdrücken.

Man muss klein anfangen, um es ins Große zu übertragen. Die anderen können erst aufbauen, wenn die Basis stimmt.Karla Cichowski-Rehm

Plötzlich wird es laut vor der gläsernen Tür ihres Büros. Die Kinder sind gerade dabei ihre Draußen-Kleidung anzuziehen. Es wird gelacht, getobt und eine kurze Partie Fangen gespielt. Zwei Mädchen stehen, dick eingepackt in ihren rosa Jacken, vor der geschlossenen Glastür, lachen und winken. Karla Cichowski-Rehm fängt an zu Strahlen, steht auf und winkt zurück, „Hallo ihr lieben“, ruft sie den neugierigen Kindern mit freudiger Stimme zu.

„Die Kinder sind oft draußen, einmal die Woche findet ein Wandertag statt. Die körperliche und seelische Gesundheit wird immer wichtiger“, erklärt die Leiterin. Gesunde Beziehungen aufbauen, Toleranz vermitteln und leben, der Blick auf Nachhaltigkeit – all das werde im Kindergarten in Angenrod groß geschrieben. „Man muss klein anfangen, um es ins große zu übertragen. Die anderen können erst aufbauen, wenn die Basis stimmt“. Der Kindergarten sei für sie ein Symbol fürs Wachsen. „Ein kleines Pflänzchen zu bekommen, es zu umsorgen, ihm Zuwendung und Geborgenheit geben, das ist einfach ein tolles Gefühl“, schwärmt die 64-Jährige von ihrem Beruf.

35 Jahre lang war Karla Cichowski-Rehm die Leiterin der Kita in Angenrod, jetzt muss sie sich von ihrem Team und ihren Kleinen verabschieden.

Doch es habe sich auch viel verändert in den 35 Jahren. Als sie im September 1984 die Stelle annahm, hatte sie anfangs noch eine Gruppenleiterfunktion inne, viel direkten Kontakt mit den kleinen Kindern. „Irgendwann sind die Aufgaben immer mehr geworden. Ich wusste, dass wenn ich in der Gruppe bin, im Büro etwas liegen bleibt“. Die Arbeit mit den Kindern blieb bei all den organisatorischen Sachen allerdings ein wenig auf der Strecke, gerade auf emotionaler Ebene. Dennoch, für sie ist ihr Job eben nicht nur Arbeit, sondern ihre Berufung, von der sie sich nur schwer trennen kann und will.

Ein enormer Zeitrahmen

„Die Kinder sind teilweise elf Stunden hier im Kindergarten, da ist Zuwendung sehr wichtig“, betont Cichowski-Rehm. Als sie ihren Job angetreten ist, war das nicht so. Da hatte die Kita von 8.30 Uhr bis 12 und von 14 bis 17 Uhr auf. Seit vergangenem Jahr wurden die Öffnungszeiten ausgeweitet. Aktuell hat die Kita von 7.01 Uhr bis 18 Uhr geöffnet. „Das ist ein enormer Zeitrahmen, der abgedeckt werden muss“. Es sind aber nicht nur die Öffnungszeiten, die sich in all den Jahren verändert haben, sondern auch pflegerische Aufgaben wie Windeln wechseln und füttern, die hinzukamen, das Mittagessen, das es vorher nicht gab. „Man hat auch immer mehr Kinder mit Problemen in der Entwicklung. Früher wusste man beispielsweise nicht, was ein Logopäde ist, heute ist das überhaupt nichts neues zu einem zu gehen“, erklärt sie.

Dann wird sie ruhig, atmet tief ein und blickt aus dem Fenster. „Ich habe hier so viele Generationen erlebt. Dieser Ort ist Heimat für mich geworden“. Ihre Stimme zittert, eine Träne läuft ihr über die Wange. Sie dreht sich um, wischt sich die Tränen aus dem Gesicht und schnäuzt in ein Taschentuch. Sie braucht einen Moment, um sich wieder zu fangen. Doch es klappt nicht. Es geht ihr zu nah, all das, was sie in den vergangenen Jahren erlebt hat und was sie bald missen wird. Es bricht aus ihr heraus. Sie kann ihre Tränen nicht mehr zurückhalten. „Das Vertrauen, dass dir geschenkt wird, es ist einfach immer wieder ein Wunder. Man bekommt hier so viel zurück, ich würde das nirgendswo anders finden“, sagt sie schluchzend.

Ein emotionales Thema

Die 64-Jährige erinnert sich an einen ganz besonderen Moment, der sie gleichzeitig bis über beide Ohren strahlen lässt, gleichzeitig ihr aber auch die Tränen wieder in die Augen schießen. „Ich habe hier Eltern, die als Kinder hier im Kindergarten waren. Zusehen, was aus ihnen geworden ist, ist unglaublich. Erst vor kurzem kam ein Mann vorbei, der als kleiner Junge hier in der Kita war. ‚Karla, ich bin Vater geworden, ich will mein Kind anmelden‘ erzählte er mir voller Stolz. Das, was die Menschen hier mit dir teilen, das ist unbezahlbar“.

Für sie war es nicht einfach nur ein Job, sondern eine Berufung.

Als plötzlich draußen ein Kind schreit, steht sie auf, eilt zum Fenster und schaut raus. Ihre Traurigkeit ist mit einem Schlag weg. „Weint da jemand oder spielt da einer Tier?“, fragt sie sich. Falscher Alarm, alles ist in Ordnung. Sie sagt, dass sie immer das Bedürfnis habe, zu gucken. Als erstes wenn sie morgens in die Kita kommt, meist ist das so gegen 8 Uhr, schaut sie in ihrem Büro in das kleine Büchlein, dass auf ihrem Tisch liegt. Dort steht beispielsweise drin wer krank ist, wer erst später in die Kita gebracht wird, wer angerufen hat und vieles mehr. Wenn sie das gemacht hat, dann geht sie erstmal allen ‚Hallo‘ sagen.

„Hallo hier bin ich“ begrüßt sie dann ihre Kollegen und die Kinder in den Gruppen. „Dann rufen die kleinen zurück, ‚Hallo Karla, Karlilein'“, erzählt sie. „Ich liebe einfach die Herzlichkeit, die hier an den Tag gelegt wird. Ich werde die Menschen hier so vermissen, mir fällt es schwer los zu lassen. Ich fahre momentan eine Berg- und Talbahn“, erzählt sie und wieder laufen ihr die Tränen über das Gesicht. Dieses Mal dreht sie sich nicht um. Sie lässt es einfach raus. Wieder betont sie, dass sie sich eigentlich nicht zur Ruhe setzen will. Doch sie wird es. Aus Selbstschutz, um mehr Zeit mit der Familie zu verbringen, um sich um Dinge zu kümmern, die liegen geblieben sind. „Was ich mir aber noch wünsche, dass endlich ein Anbau realisiert wird. Die Räume sind ausgelastet“, erklärt sie. 43 Kinder beherbergt die kleine Kita aktuell.

Am 20. Dezember wird sie ihren letzten Tag haben. „Das wird kein Tag wie immer“. Es wird ihr ganz persönlicher Kindergartenabschluss. Im Kreise ihrer Kollegen, ihrer kleinen Pflänzchen, den Menschen, die sie so sehr liebt und die auch sie lieben. Gutmütig, herzlich, menschlich, verantwortungsvoll, lebensfroh – das sind nur einige Worte die auf Karla Cichowski-Rehm laut ihrer Kollegen zutreffen. „Wenn Karla geht, dann geht auch eine Ära zu Ende“, ist sich ihr Team einig.

Ein Gedanke zu “„Man bekommt einfach so viel zurück“

  1. Danke Karla.
    Du warst da, als ich als Kind in die Kita Angenrod gegangen bin und du warst mir eine liebe und gute Chefin als ich mein Praktikum bei euch gemacht habe.
    Der Kita wird ohne dich etwas fehlen.
    Ich wünsche dir einen schönen Ruhestand verbunden mit viel Gesundheit.

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