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Gesundheitsforum "innovative Versorgungsformen für den Vogelsberg": Gemeindeschwester 2.0 und Medizinisches VersorgungszentrumWie der Vogelsberg dem Ärztemangel den Kampf ansagen will

VOGELSBERGKREIS (akr). Der demografische Wandel macht auch vor dem Vogelsbergkreis nicht Halt. Besonders in Sachen Gesundheitsversorgung stellt er ihn vor große Herausforderungen: es gibt immer mehr ältere Menschen, niedergelassene Ärzte werden jedoch immer weniger. Wie will es der Kreis also schaffen, die gesundheitliche Versorgung in dieser ländlichen Region sicherzustellen? Einige Projekte diesbezüglich gibt es bereits, und wenn es nach dem Kreis geht, könnte in Zukunft noch ein weiteres hinzukommen – und zwar ein medizinisches Versorgungszentrum. Das wurde am Mittwochabend beim zweiten Gesundheitsforum im Bürgerhaus in Romrod näher besprochen.

Aktuell gibt es im Vogelsbergkreis noch 65 Hausärzte, 2010 waren es noch 73, und auch die Prognose für die Zukunft sieht nicht sonderlich rosig aus: bis 2020 werden in zehn der 19 Gemeinden mehr als die Hälfte der niedergelassenen Hausärzte älter als 65 Jahre sein, also das Rentenalter erreicht haben. Es muss also etwa getan werden, damit die ärztliche Versorgung auf dem Land sichergestellt werden kann. Aber was genau? Eine Möglichkeit ist ein sogenanntes medizinisches Versorgungszentrum (MVZ), in denen mehrere Ärzte unter einem Dach selbstständig oder angestellt arbeiten. Dazu aber später mehr.

Zuerst ging es nämlich in dem zweiten Gesundheitsforum um das Projekt „Gemeindeschwester 2.0“, beziehungsweise um die Evaluation nach aktuell zehn Monaten Laufzeit. Diese Zwischenbilanz nahm Dr. Elisa Stickler vom Gesundheitsamt Vogelsberg und Maria Münzel von der OptiMedis AG, die die umfangreiche Gesundheitsplanung des Kreises seit rund zwei Jahren vornimmt. Zunächst gaben die beiden aber erst nochmal einen kleinen Einblick in das Projekt. Das Gemeindeschwester-Projekt wird durch Mittel des Vogelsbergkreises und Fördermittel des Hessischen Ministeriums für Soziales und Integration finanziert. Im Oktober vergangenen Jahres ist das Projekt gestartet.

Gemeindeschwestern 2.0 – Zwischenbilanz

Die Gemeindeschwestern – im Vogelsbergkreis sind es derzeit die beiden Fachkräfte Marcelina Vorwerk und Petra Blank –  kümmern sich um Seniorinnen und Senioren im Alter von 65 Jahren und älter, versuchen Hausärzte und Angehörige zu entlasten. Dabei geht es aber nicht ums Verbände wechseln oder Medikamente geben, sondern vielmehr darum, den Senioren ein möglichst langes, selbstständiges, gesundes und zufriedenes Leben in Ihrem eigenen Zuhause zu ermöglichen.

Die Gemeindeschwester ist eine Ansprechpartnerin in gesundheitlichen, pflegerischen und sozialen Fragen, vermittelt an passende Hilfsangebote weiter. „Gesundheitsförderung und Prävention nach dem Lebensweltansatz ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und erfordert die Zusammenarbeit aller Akteure des Gesundheits- und Sozialwesens“, betonte Dr. Elisa Stickler.

Maria Münzel und Dr. Elisa Stickler stellten das Projekt „Gemeindeschwester 2.0“ sowie die Zwischenbilanz vor.

Nach zehn Monaten war es Zeit für eine Zwischenbilanz – und die wurde an diesem Abend vorgestellt.“Man kann jetzt aber noch keine Aussagen zur Ergebnisqualität tätigen“, betonte Münzel. Die Evaluation erfolgte im Rahmen eines studentischen Projektes durch die Hochschule Fulda, der Zeitrahmen betrug von November 2018 bis Mai 2019, die Anzahl der Klienten 21. Das Durchschnittsalter betrug rund 80 Jahre, die Gruppe bestand demnach aus hochaltrigen Menschen. Der Großteil der „Teilnehmer“ lebe schon lange alleine zu Hause, acht Klienten wurden bereits durch einen ambulanten Pflegedienst betreut, sieben nahmen bereits eine Haushaltshilfe in Anspruch.

Man kam schließlich zu dem Ergebnis, dass sich die Klienten mehr sozialen Kontakte wünschen, Einsamkeit und Familienstreitigkeiten seien oft der Grund für den Besuchsanlass. Viele würden sich zudem auch Unterstützung im Alltag und bei der Krankheitsbewältigung wünschen. Die „Top 5“ der eingeleiteten Maßnahmen der Fachkräfte seien:

  • Entlastungsgespräche
  • Suche und Vermittlung geeigneter sozialer Angebote
  • Vermittlung bestehender Leistungserbringer
  • Organisation ehrenamtlicher Hilfen und Unterstützung im Alltag
  • Informationen und Vermittlung an Dienstleister und auch die Anpassung der Wohnräume.

„Die Gemeindeschwester 2.0 steigert die individuelle Versorgungsqualität und bereits vorhandene Leistungserbringer können sich dadurch auf ihre eigentlichen Kernkompetenzen konzentrieren, werden entlastet“, hebt Stickler hervor. Darüber hinaus steigere es auch die Lebensqualität in der Kommune durch die Schaffung gesundheitsförderlicher Lebensbedingungen.

Planung eines Medizinischen Versorgungszentrums

Nach der Zwischenbilanz stand dann auch direkt der nächste Punkt der Tagesordnung auf dem Programm, und zwar das Konzept eines Medizinisches Versorgungszentrums. Im Vogelsbergkreis finden derzeit nämlich mehrere Entwicklungen statt. Zum einen lasse sich eine zunehmende Alterung der Bevölkerung beobachten und zum anderen ein deutlicher Rückgang der hausärztlichen Vertragssitze.

Immer mehr frei werdenden Hausarztsitze könnten nicht durch junge Mediziner nachbesetzt werden. Die Gründe hierfür seien vielfältig. „Junge Allgemeinmediziner möchten sich nicht mehr in Einzelpraxen niederlassen, scheuen die damit verbundene Bürokratie und finanzielle Belastungen oder wünschen sich mehr Zeit für die Familie“, erklärte Dr. Jens Mischak, Erster Kreisbeigeordneter.

Kommunales MVZ: Fluch oder Segen? Dr. Jens Mischak während seiner Einführung in das Kommunales Medizinisches Versorgungszentrum.

Vor diesem Hintergrund bestehe die Gefahr, dass in den kommenden Jahren weitere Gemeinden im Kreis keinen Hausarzt mehr haben, so wie es bereits in Lautertal der Fall ist. In Romrod und Feldatal würde der verbleibende Hausarzt in ein paar Jahren in den Ruhestand gehen, somit drohe auch diesen beiden Gemeinden das gleiche wie Lautertal.

Hausärztliche Versorgung ist eine infrastrukturelle Notwendigkeit im Rahmen der Daseinsfürsorge. Diese Entwicklungen haben den Landkreis deshalb bewogen, die Planung für ein kommunal getragenes Medizinisches Versorgungszentrum zu erwägen. Hierzu sei der Kreis in engem Kontakt sowohl zu den kreisangehörigen Gemeinden und Städten – das MVZ soll nämlich gemeinsam mit den Kommunen getragen werden – als auch dem Hessischen Sozialministerium und der Kassenärztlichen Vereinigung Hessens.

Kommunen als Träger

Doch was ist ein solches MVZ überhaupt? Ein Medizinisches Versorgungszentrum ist eine relativ neue Versorgungsform, die es seit 2004 gibt. In einem MVZ können unter ärztlicher Leitung verschiedene Ärzte selbstständig oder angestellt arbeiten. Der Gründerkreis für ein MVZ ist beschränkt, so können MVZ erst seit 2015 auch von Kommunen, beispielsweise Landkreisen, gegründet werden. Sie können fachübergreifend, zum Beispiel Facharzt für Allgemeinmedizin und Facharzt für Innere Medizin, oder fachgleich, nur Allgemeinmediziner, geführt werden. Ein Vorteil von einem Medizinischen Versorgungszentrum sei, dass die Zahl der angestellten Ärzte nicht begrenzt ist.

Ein solches Versorgungszentrum soll eine bedarfsgerechte medizinische Versorgung im Vogelsbergkreis sichern und sowohl den Bedarfen einer alternden Bevölkerung als auch den Ansprüchen der medizinischen Nachwuchsgeneration nach neuen Arbeitsmodellen, beispielsweise Teilzeit, gerecht werden. Eine Gründung eines MVZ sei allerdings nicht einfach und mit rechtlichen Hürden verbunden, darauf ging Pelin Meyer, Geschäftsführerin der medizinischen Versorgung Darmstadt-Dieburg, in ihrem Vortrag über die Chancen und Herausforderungen, ein. Seit 2014 betreibe der Landkreis Darmstadt-Dieburg eigene kommunale MVZ. Sie betonte auch, dass MVZ keine Konkurrenz zu den niedergelassenen Vertragsärzten sei, sondern eine Ergänzung zu den bestehenden Versorgungsangeboten auf dem Markt.

Einen möglichen Standort für MVZ gebe es noch nicht. Den größten Bedarf gebe es unter anderem in Feldatal, Romrod und Ulrichstein. Im Mittelpunkt der Standortfrage stehe erst einmal die Frage nach dem Versorgungsgrad in der Kommune, sprich: wie viele Hausärzte gibt es noch vor Ort? Darüber hinaus müssen auch weitere Fragen berücksichtigt werden, beispielsweise wie die ÖPNV-Anbindung ist. „Es macht keinen Sinn, ein MVZ in einem 300-Seelen-Dorf zu errichten“, sagt Mischak. Auch ob die Bereitschaft der Kommune, sich einer GmbH anzuschließen, spiele eine wichtige Rolle. „Die Bereitschaft des Kreises ist da, aber die Kommunen müssen mit ins Boot“, betont Mischak.

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