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Zeugenaussagen am dritten Prozesstag zum Sprungturm-Unglück am Hoherodskopf„Ich war erstaunt über die Umgebungsbedingungen“

GIEßEN (akr). „Spring in dein Abenteuer“, stand auf dem Sprungturm am Hoherodskopf, vom dem die 12-jährige Sina im August 2015 aus knapp neun Metern Höhe sprang und sich so schwerwiegende Verletzungen zuzog, dass sie einen Monat später verstarb. Wer trägt die Schuld an diesem Unglück? Am dritten Prozesstag standen technische Fragen auf dem Plan. Wie sicher war der Tower? Gab es Mängel? Und was hat die Stadt Schotten mit dem Verfahren zu tun?

„Ich habe schon öfter so einen Turm gebaut“, sagte Geschäftsführer H., dessen Firma den Freefall-Tower am Hoherodskopf aufgestellt hat. Einer der Angeklagten, ein Bekannter, habe ihn angerufen und gefragt, ob er das Gerüst für die Attraktion bauen könne. „Ich habe gesagt, was es kostet, und dann haben wir den Turm aufgebaut“, erklärte er.

Wie der Standort für den Turm ausgesucht wurde, das könne er dem Richter nicht beantworten. Der Standort des Turmes, den ein Beamter vom Regierungspräsidium Gießen später als „ziemlich hineingequetscht“ bezeichnen wird. Einen Abnahmetermin nach der Fertigstellung des Turmes habe es nicht gegeben. Rund 2000 Euro hätte der Aufbau der Konstruktion gekostet, doch die Firma machte es quasi kostenlos – als Gegenzug durfte sie einen Ausflug in den Kletterpark der Betreiber unternehmen. Und wie sah es mit einer Baugenehmigung aus? „Ich baue seit 40 Jahren Gerüste auf, ich habe noch nie eine Baugenehmigung beantragt“, sagte der Geschäftsführer. Doch gerade die Frage nach der Baugenehmigung beschäftigte das Gericht.

Die Standsicherheit des Turmes

Mit der Standsicherheit des Turmes setzte sich der Bauingenieur L. aus Burghaun auseinander. Dieser kam zu dem Ergebnis, dass die Standsicherheit den Anforderungen entspreche. Allerdings berechnete er die Standsicherheit auch mit dem Wissen, dass es sich um ein unverkleidetes Gerüst handelte – doch das war es nicht. „Die Standsicherheit ist anders nachzuweisen, wenn ein Turm verhängt ist, dann hätte auch die Ballastierung geändert werden müssen“, sagte er. Diesbezüglich gab es im Gerichtssaal keine weiteren Fragen. Auch er sagte, dass es sich bei dem Gerüst um ein genehmigungsfreies Vorhaben handele.

Die nächsten zwei Zeugen sind beide beim Regierungspräsidium Gießen angestellt. Ein Mann namens R. machte Fotos, besichtigte nach dem Unglück den Turm und suchte nach Details, die für den Unfall relevant sein könnten. So seien die Bodenplatten auf der Absprungvorrichtung etwas uneben gewesen, was eine Stolperfalle hätte seien können, sagte er. Doch Sina ist nicht gestolpert, das beweist die Videoaufnahme ihres Sprunges. R. hat seiner Aussage nach aber noch etwas anderes gesehen: Blut. Jedoch nicht an einem Felsbrocken, wie der alarmierte Notarzt vergangene Woche ausgesagt hatte, sondern an einem Erdnagel.

Doch wie sicher war dieser Sprungturm denn jetzt? „Ich war erstaunt über die Umgebungsbedingungen, wo der Turm aufgestellt war“, sagte ein Herr namens A., der beruflich für Produktsicherheit beim Regierungspräsidium tätig ist. Der Turm war ihm zufolge in die Umgebung „ziemlich hinein gequetscht“ gewesen, umgeben von Basaltsteinen. Er habe sich alles angeschaut, auch das Luftkissen was bereits zusammengefaltet gewesen sei. Was die Produktsicherheit angehe, habe er aber keine Mängel feststellen können, alles sei gut gewesen. Doch während seiner Sicherheitsermittlungen stellte er dennoch Mängel fest. So habe er eine defekte Kabeltrommel gefunden, die dort so nicht hätte stehen dürfen. Das habe jedoch nichts mit der Produktsicherheit zu tun.

Kritik an den Ermittlungen

Blut am Erdnagel will auch der damals ermittelnde Polizeihauptkommissar P. gesehen haben. „Es sah so aus, als hätte sich da vielleicht ein Sanitäter festgehalten“, sagte er. Seinen Ermittlungen zufolge – oder besser gesagt laut Zeugenaussagen – ist Sina nach dem Sprung auf einem Bauzaunteil aufgekommen. Später relativierte er jedoch, er könne nicht genau sagen, wo Sina aufgeprallt sei. Ein Spurensicherungsteam sei keines vor Ort gewesen. „Mich wundert es wirklich im Kern wie diese Ermittlungen geführt wurden“, sagte der Anwalt der Nebenklage. Es handele sich um reine Zeugenaussagen, ohne Namen oder sonstiges. Er hätte die Zeugen gerne angehört, die aussagten, Sina sei gegen einen Bauzaun geprallt. Doch ohne Namen ist das schwierig.

Als letzten Zeugen an diesem Prozesstag rief man Schottens Bürgermeisterin Susanne Schaab in den Zeugenstand. Einer der Angeklagten habe ihr im Juni 2015 eine E-Mail geschrieben, ob sie den baugenehmigungsfreien Sprungturm errichten dürfen. Angehängt seien ein Luftbild einer Wiese und ein Bild des Sprungturms gewesen. Bei der besagten Wiese handelte es sich um ein Grundstück der Stadt Schotten und nach einigen Prüfungen, beispielsweise hinsichtlich Naturschutzes, sei es „aus unserer Sicht unproblematisch gewesen“, sagte sie.

Zudem handele es sich bei dem Turm um einen „Fliegenden Bau“, das bedeutet, dass er nur vorübergehend aufgestellt ist. Die Angeklagten sollen jedoch eine bessere Fläche gefunden haben, die in Privatbesitz gewesen sei. Somit sei der Vorgang für die Stadt Schotten abgeschlossen gewesen. Das städtische Bauamt sei Schaab zufolge nicht involviert gewesen. „Eine öffentlich-rechtliche Prüfung fand nur statt, als es um die öffentliche Fläche ging“, sagte die Bürgermeisterin.

Doch handelt es sich bei dem Turm wirklich um einen „Fliegenden Bau“ oder zählt er doch als „Gerüst“ oder „Sprungturm“? Ein Fliegender Bau, der höher als fünf Meter ist, bräuchte dem Richter zufolge nämlich eine Genehmigung. „Das ist schwierig abzugrenzen“, sagte Herr R. vom Regierungspräsidium. Am kommenden Dienstag wird es weiter gehen, dann solle der Leiter des Bauamts Vogelsberg eine Aussage machen.

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