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Vergangenheit der traditionsreichen Metzgerei wurde für einige Stunden dank Ehemaligentreffen wieder lebendigMetzgerei Rudolf Knierim mit lebendiger Geschichte

ALSFELD (cdl). In der Nachkriegszeit wurde noch mitten auf der Vietorgasse (Saugässchen) zwischen der Mainzer Gasse und Roßmarkt von der Metzgerei Rudolf Knierim geschlachtet. Damals kamen viele Alsfelder Bürger mit Milchkannen, um die nahrungsreiche „Woschtsupp“ in Zeiten des Mangels zu verwerten.

Rudolf Knierim hatte am vergangenen Samstag ehemalige Mitarbeiter in die „Lang Stubb“, die Gaststätte im Hause der ehemaligen Metzgerei mit langer Tradition in Alsfeld eingeladen. Auf die Idee ein Ehemaligentreffen zu veranstalten, war die langjährige Mitarbeiterin Ulrike Lemke gekommen. Knierim war sofort begeistert. Insgesamt 25 ehemalige Mitarbeiter hatten direkt zugesagt und so wurden viele Erinnerungen ausgetauscht. Am 31. Dezember 1986 hatte die Metzgerei letztmalig geöffnet und nach knapp 30 Jahren war es das erste Zusammentreffen in dieser Form.

Insbesondere viele Geschichten aus den 60er und 70er Jahren wurden intensiv untereinander ausgetauscht. Knierim selbst hatte im Vorfeld des Treffens Fotos und Zeitungsartikel über die Metzgerei zusammengetragen. Am Samstag kamen zur Sammlung noch etliche Bilder hinzu, die die ehemaligen Mitarbeiter mitgebracht hatten. Er selbst schwelgte in Kindheitserinnerungen und erzählte über zahlreiche Abläufe in der Metzgerei sowie über deren Geschichte.

Rudolf Knierim

Der Seniorchef bei einem Fleischertreffen.

Die Eckdaten der 'viertältesten Metzgerei in Familienbesitz Deutschlands'
Im Jahre 1695 gründete Johann Lorenz Knierim (1673 bis 1742, Metzgermeister und Ratsherr) die Metzgerei, die seither im Besitz der Familie Knierim war. Es folgten Johann Andreas Knierim (1696 bis 1783), Johannes Knierim (1726 bis 1804), Johann Melchor Knierim (1764 bis 1836), Johannes III Knierim (1794 bis 1859), Jakob Knierim (1847 bis 1903), Konrad Rudolf Knierim (1877 bis 1964) und Rudolf Jakob Knierim (1916 bis 1998), der Vater von Rudolf Knierim.

Johann Melchor Knierim hatte das Haus Mainzer Gasse 16 im Jahr 1791 erworben und siedelte mit der Metzgerei dorthin um, berichtete Rudolf Knierim. Das Gebäude existiere bereits seit dem frühen 14. Jahrhundert. Ein dendrochronologisches Gutachten datiere die Fassadenbalken auf 1286 bis 1289. Der ursprüngliche Metzgereibetrieb habe sich in einem Haus in der Obergasse befunden. „Im Jahre 1970 zum 275-jährigen Bestehen wurde in einem Artikel des Deutschen Fleischerverbandes festgestellt, dass die Metzgerei Knierim Deutschlands viertälteste Metzgerei im Familienbesitz sei“, erläuterte Knierim.

Sechs Generationen Rudolf Knierim

In den letzten sechs Generationen haben die Väter nicht nur ihren Nachnamen vererbt, sondern auch teilweise ihren Vornamen, berichtete der Gastgeber. Daher fiel an diesem Samstag sehr oft der Name Rudolf Knierim, da Knierim über seine Kindheitserinnerungen berichtete, waren damit sein Großvater und sein Vater gemeint. Um alle auseinanderzuhalten wurden sie unterschiedlich gerufen. Der Großvater wurde Opa, sein Vater Rudolf oder Rud und er selbst Rudi gerufen. Seinem Vater habe der Großvater aufgrund einer schweren Kriegsverletzung am Kopf das Weiterführen der Metzgerei zunächst nicht zugetraut. Daher wurde der Vater im Jahr 1956 nach der Geburt des „Stammhalters“ zunächst nur mit 50 Prozent am Geschäft beteiligt. Erst nach dem Ableben des Seniorchefs (Großvater) sei der Betrieb acht Jahre später vollständig in den Besitz des Vaters übergegangen.

Dann aber habe der Vater mächtig Gas gegeben und durch den Bau eines Kühlhauses und eines komplett neuen Ladens eine der modernsten Metzgereien in Oberhessen geschaffen. Später wurde er Innungsobermeister und Funktionär im Deutschen Fleischerverband. Er war als Prüfer bei einer Vielzahl von Lehrlingsgenerationen im Bereich Metzger und Fleischereifachverkäuferinnen tätig. Als Geschäftsinhaber hat er immer mindestens zwei Lehrlinge jährlich ausgebildet, die mit einem Gesellenbrief oder einem Meisterbrief ihre Ausbildung abgeschlossen haben, so Knierim über das Lebenswerk seines Vaters.

Rudolf Knierim

Rudolf Jakob Knierim trat in die Fußstapfen seines Vaters Konrad Rudolf Knierim.

Das Schwelgen in Erinnerungen machte vergangene Tag wieder lebendig

Doch richtig lebendig wurden Knierims Geschichten und die der ehemaligen Mitarbeiter, wenn es um die eigenen Erinnerungen ging. Das aufwendige Waschen der Arbeitskleidung einmal die Woche, die dafür einmal quer durch die halbe Stadt zum Waschen (Wäscherei Jung im Schnepfenhain), Trocknen (Dachboden Museum in der Rittergasse) und Glätten (Heißmangel am Casinoplatz) transportiert wurde. Oder die Beschaffung und Verarbeitung des Feuerholzes für die Öfen und den Räucherkamine waren Geschichten, die vergangene Zeiten wieder lebendig werden ließen.

Im und neben dem Haus herrschte reges Treiben. Woche für Woche wurden in Spitzenzeiten im Alsfelder Schlachthof bis zu 20 Schweine geschlachtet und zwei Stück Großvieh, zumeist Bullen. Das Vieh wurde am frühen Sonntagmorgen von Vater und Sohn direkt bei den Bauern geholt und im Schlachthof eingestellt. Geschlachtet wurde immer montags. Am Dienstag ging es mit der Verarbeitung dem sogenannten Entbeinen oder Ausbeinen, also dem Entfernen der Knochen weiter. Am Mittwoch stand dann die Endverarbeitung an, die Verarbeitung zu Brüh- und Rohwurstsorten.

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(v.l.) Oma Lieschen, Ilse, Renate, Tilli, Edith

Mitarbeiter übernachteten regelmäßig im Hause Rudolf Knierim

Nach Angaben von Knierim und den ehemaligen Mitarbeitern waren Fleischwurst, Kartoffelwurst, Knobeline, Zervelatwurst, grauer Schwartenmagen, und Mengwurst bei den Alsfeldern sehr beliebt. Die Fleischwurst sei die beste der Stadt gewesen. Am Wochenende wurden die Wurstwaren neben dem eigenen Ladenverkauf dann in die Tante-Emma-Läden der Region geliefert. Am Freitagabend wurden alle Läden abtelefoniert und nach Kundennamen die Einzelbestellungen entgegengenommen.

Um die Waren kundengenau in Päckchen vorzubereiten, musste der Betrieb bereits am Samstag um 5 Uhr öffnen. Daher schliefen einige Mitarbeiter noch bis Ende der 70er Jahre von Freitag auf Samstag in den Fremdenzimmern des „Knierimhauses“. Mit zunehmender Mobilität änderte sich dies aber. Gerade aber in den 50er und 60er Jahren sei es üblich gewesen, dass die Auszubildenden oder andere Mitarbeiter mehrere Tage im Betrieb wohnten, berichtete ein ehemaliger Auszubildender.

Durch die Nähe zwischen Besitzer und Mitarbeiter habe ein familiäres Verhältnis geherrscht. Zusätzlich zum Lohn gab es am Wochenende Fleisch- und Wurstwaren mit auf den nach Hause Weg. Weil man sich gut kannte und wusste, wann wer einen runden Geburtstag, die Kinder Konfirmation hatten, oder eine Hochzeit anstand, zeigte man sich zu solchen Festlichkeiten spendabel und habe das Fleisch zur Verfügung gestellt.

Rudolf Knierim

Ein Hochzeitsfoto von Tilli und Rudolf im Jahr 1949.

Oberhessen-live hatte sein Domizil in der ‚Wurstfabrik‘

Darüber hinaus wurden viele Geschichten über die Hauseigene Gaststätte erzählt, in der viele Alsfelder Geschäftsleute ein- und ausgegangen seien. An Weihnachten habe es damals schon eine Art Partyservice gegeben und man habe zahlreiche Familien mit fertigen Speisen beliefert. Die Wirtschaft hätten sein Vater und die Schwester des Vaters gemeinsam betrieben. „Ein eingespieltes Team hinter dem Tresen, das sich gut gegenseitig ergänzte. Aber wie man hier so schön sagt, haben die beiden manchmal vor den Gästen in hoher Lautstärke ‚disbbediert‘ (gestritten)“, scherzte Knierim.

Die Küche wurde von der Ehefrau des Inhabers, Tilli Knierim geführt, die wie sich viele alte Alsfelder erinnern werden, leckere Speisen zu bieten hatte. Allen voran ist der „Aleburgerkäs“ zu erwähnen. Das Original wird dem Gasthaus Ebeling in Altenburg zugeschrieben. In der Lang Stubb kam dieses Gericht jedoch zu seiner Bestform und großen Bekanntheit, so Rudolf Knierim.

Als die Geschichte der Metzgerei Rudolf Knierim 1986 endete, nutzte zunächst die Metzgerei Koch die Räumlichkeiten für viele Jahre. Dann hielt ein Fischgeschäft in der Mainzer Gasse Einzug. Seit der Fischladen geschlossen hat, nutzt die „Lang Stubb“ den ehemaligen Ladenbereich. Mit Axel Pries und Oberhessen-live von der Seite des Roßmarktes wurde die ehemalige Wurstküche dann für zwei Jahre zu einem Büro umfunktioniert. Seit Mitte des Jahres hat dort Martino Pizza sein neues zu Hause gefunden.

Die Bildersammlung von Rudolf Knierim zum Ehemaligentreffen

 

 

 

5 Gedanken zu “Metzgerei Rudolf Knierim mit lebendiger Geschichte

  1. Sehr schöne Erinnerungen. Berufsbedingt habe ich um 1980 herum in der Lang Stubb einige Jahre regelmäßig zu Mittag gegessen. Leider findet man so was heute kaum noch. Teile der Familie und der Belegschaft kannte und kenne ich auch privat. ….. Rudi, das hast Du super gemacht !

  2. Kenne die Metzgerei seit den 60.ger Jahren. Toll. Leider sind sie rar geworden.
    Südfleisch und Nordfleisch… Ende
    Das Handwerk stirbt aus.
    Sind aber in Zell fündig geworden. Fahre gerne die 12 km.
    Schmeckt alles lecker!!!!

  3. Bei diesem Bericht denke ich auch an den Nachbar „Spielwaren Helbig“. Um die Weihnachtszeit standen wir als Kinder vor dem Geschäft und schauten der fahrenden Eisenbahn im Schaufenster zu.
    Hansi Zimmer

  4. In den 50er Jahren gab es nichts Besseres, als an Märkten und Festen bei Knierims Rudolf eine Fleischwurst zu holen und gegenüber bei Zöcklers Fritz in der Gaststube mit einem frischen Brötchen und einem kühlen Getränk zu verspeisen. Alles Geschichte und doch nicht vergessen

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