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Bewegend und bewundernswert: Kosmetikseminar für krebskranke FrauenDer tägliche Kampf gegen das Spiegelbild

ALSFELD. Es ist kurz vor zwei Uhr. Ich bin etwas spät dran und aufgeregt, denn ich weiß nicht, was gleich auf mich zukommt. Neugierige Blicke, als ich das Klassenzimmer betrete, freundliche Begrüßung, und es wird gleich viel gelacht. Darüber bin, ehrlich gesagt, überrascht, aber ich freue mich darüber. Denn mit dem Schritt über die Türschwelle befinde ich mich in einer für mich glücklicherweise unbekannten Situation: In einem Seminar für krebskranke Frauen.

„Look good – feel better“ lautet der Titel der Veranstaltung, zu der das Medizinische Versorgungszentrum des Kreiskrankenhauses in Alsfeld einige Patientinnen – und mich als Berichterstatterin – eingeladen hat. Es ist ein Mitmachprogramm der DKMS LIFE, einer Tochter der Stiftung DKMS Stiftung Leben Spenden (DKMS: Deutsche Knochenmarksspenderdatei). Dabei handelt es sich um ein Kosmetikseminar für Krebspatientinnen, die sich in Therapie befinden – egal ob in Bestrahlung oder Chemotherapie.

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Dem Gesicht und sich Gutes tun: Die Kosmetikerin Marion Wehmeier-Kissel zeigt wie das geht.

Ich hatte mich im Vorfeld schon bei der Pressestelle der DKMS LIFE informiert: Jährlich erkranken 220.000 Frauen in Deutschland neu an Krebs. Die Erkrankungen hinterlassen immer schwerwiegende Spuren – neben den seelischen auch fast immer äußerliche. Die Haare gehen aus – nicht nur am Kopf – auch die Augenbrauen und Wimpern gehen verloren. Die Haut wird insgesamt empfindlicher, oft unreiner und gerötet. Bei manchen Frauen reißen auch die Fingerkuppen oder Fingernägel ein. So entwicklt sich der Kampf ums Überleben auch zum täglichen Kampf mit dem eigenen Spiegelbild.

„In diesem Seminar wollen wir betroffene Frauen dazu ermutigen, wieder in den Spiegel zu schauen und auf gekonnte Weise „Farbe zurück in ihr Leben zu bringen“, erklärt Marion Wehmeier-Kissel. Die Kosmetikerin ist eine von vielen ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen der DKMS LIFE und bringt an diesem Nachmittag in der Krankenpflegeschule Alsfeld den eingeladenen Patientinnen der Onkologischen Praxis Simon-Becker bei, wie man mit einfachen Tricks die vorübergehenden, äußerlichen Folgen der anstrengenden Therapie geschickt kaschieren kann.

Ihr Ziel – und das der Initiatoren DKMS LIFE und den Praxismitarbeitern – ist, den Frauen Lebensqualität, Würde und damit verbunden Hoffnung in einer überaus schwierigen Lebensphase zu schenken. Denn ein solches Seminar kann weitgreifende Auswirkungen beinhalten, dessen ist sich auch die Leiterin der Onkologischen Praxis, Susanne Simon-Becker, sicher: „Mehr Selbstannahme, Selbstwertgefühl, Selbstbewusstsein und damit verbunden eine positive innere Haltung können sich positiv auf den Krankheitsverlauf auswirken.“

„Gleichermaßen geschockt, gerührt und gut gelaunt“

Da sitze ich nun in dem Seminar. Ich bin gleichermaßen geschockt, gerührt und gut gelaunt. Ein komisches Gefühlschaos. Geschockt – weil ich von den neun Patientinnen zwei kenne, sie sind kaum älter als ich. Gerührt von soviel Herzlichkeit und Offenheit im Umgang miteinander – unter den Betroffenen, aber auch zwischen den Patienten und den Praxismitarbeiterinnen beziehungsweise der Kursleiterin. Gut gelaunt – und ich frage mich, darf ich das überhaupt? Spätestens als meine Sitznachbarin Marion B. anfängt Scherze zu machen, bin ich mir sicher, ich darf!

Marion und ich packen zusammen ihre Kosmetiktasche aus – eine große gelbe Tasche, prall gefühlt mit hochwertigen Kosmetikprodukten bekannter Marken wie Shiseido, Avène, Lancaster, Estée Lauder, Christian Dior, L’oreal Paris und viele mehr. Diese Firmen sind Kooperationspartner, sponsern das „Mitmachprogramm“ durch Produkte oder stellen auch ihre Visagistinnen für die Seminare kostenfrei zur Verfügung.

Unsicherheit, als die Perücken abgenommen sind

Bevor die diesmalige Kosmetikerin Marion Wehmeier-Kissel aber mit den Pflege- und Schminktipps beginnt, widmet sie sich der Kopfbedeckung und manche Frauen nehmen dafür ihre Zweitfrisur – die Perücken – ab. Es berührt mich. Mal wieder. Meine Sitznachbarin sagt mir bei der Gelegenheit: „Ich würde ja schon wieder ohne Perücke raus gehen, aber ich habe Angst die anderen zu verschrecken!“ Ja, kann ich verstehen, denn erstmal bin auch ich unsicher. Doch dann spreche ich ihr Mut zu, sie solle es versuchen – sie sei so schön und habe so ein herzliches Lachen. Außerdem wüsste dann gleich jeder was los sei und würde ihr vielleicht auch mit mehr Achtsamkeit und Wertschätzung begegnen.

Während unseres Gespräches probieren die anderen Teilnehmerinnen unterschiedliche Trageweisen von Tüchern aus. Die interessanteste davon ist die, in der ein Haarkranz mit eingearbeitet wird. Klar, dass da der eine oder andere Spruch kommt – in Anlehnung an Männern mit Denkerstirn oder immer größer werdenden „Platten“.

Die Kosmetikerin erzählt etwas von Nähten und Abdrücken am Kopf, die man von dem vorgeführten, Naht freiem Tuch nicht bekäme. Ich versteh nicht, warum das so wichtig ist, warum muss man nachts überhaupt eine Kopfbedeckung tragen? „Na, was glaubst du, wie kalt das ohne Haare ist. Man kann richtig frieren im Schlaf!“, klärt mich meine muntere Sitznachbarin auf.

„Unsere Haut schützen, reinigen und anziehen“

Sie hat inzwischen auch ihre Perücke abgezogen, denn sie ist „Model“ für den nächsten Schritt des Seminars: Reinigung und Pflege der Haut. „Wir müssen unsere Haut schützen, reinigen und anziehen“, erklärt Wehmeier-Kissel. „Denn unter den Behandlungen wird sie eben empfindlicher.“ So wird gereinigt, Gesichtswasser aufgetragen, Gesichtspflege vorsichtig einmassiert, bevor es ans „Anziehen“ geht – dem Make-up. Unter Anleitung der Kosmetik-Expertin darf sich jede selber nach ihrem Geschmack „zurecht machen“, bekommt aber gerade beim Augenbrauen und Wimpern Nachzeichnen hilfreiche Tipps und Fingerfertigkeiten gezeigt.

Da vor jeder Teilnehmerin ein Kosmetikspiegel steht, ist sicher gestellt, dass die schönen Frauen zum Ende des Seminars einen Blick hinein riskieren, und registrieren, wie anmutig und schön sie sind – trotz ihrer Erkrankung. Und wieder bin ich tief bewegt… und dankbar für die Begegnungen und Erfahrungen, die ich an diesem Nachmittag machen durfte.

Von Anja Kierblewski

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Zur Erklärung:  DKMS Life gibt es seit 1995

Die gemeinnützige Gesellschaft DKMS LIFE wurde 1995 gegründet und konnte seitdem über 100.000 Patientinnen die Teilnahme an den Kosmetikprogrammen „look good – feel better“ und makeUP – der Beautyworkshop für junge Krebspatientinnen“ ermöglichen. Bundesweit organisiert DKMS LIFE jährlich in mehr als 240 medizinischen Einrichtungen rund 1.200 Kosmetikseminare für Krebspatientinnen in Therapie.

Seit 2002 ist DKMS LIFE eine Tochter der DKMS Stiftung Leben Spenden. Eine weitere Tochter der Stiftung ist die DKMS Deutsche Knochenmarkspenderdatei.

DKMS LIFE ist im Verbund mit dem internationalen Programm „look good – feel better“, das in 26 Ländern weltweit kostenfreie Kosmetikseminare für Krebspatientinnen anbietet. Für ihre Arbeit ist DKMS LIFE allein auf Spenden angewiesen: DKMS LIFE; Deutsche Bank AG Reutlingen, Konto 132 308 00, BLZ 640 700 85; IBAN DE27 6407 0085 0013 2308 00, BIC DEUTDESS640.

Weitere Informationen unter www.dkms-life.de.

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