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INTERVIEW: Die 1. Mai Kundgebungen der Gewerkschaften stehen vor der Tür„TTIP ist ein Angriff auf unsere Demokratie“

ALSFELD (cdl). Wie in jedem Jahr finden am 1. Mai die traditionellen Maikundgebungen der Gewerkschaften statt. In Alsfeld auf dem Marktplatz und in Schlitz im Bürgerhaus sind Veranstaltungen geplant. Wir sprachen mit den Gewerkschaften schon mal über die wichtigen Themen: Mindestlohn, TTIP und den Mitgliederschwund bei den Kämpfern für die Rechte der Arbeiter. 

Der DGB hat am Donnerstagmittag zu einem Pressegespräch eingeladen, um die geplanten Aktionen vorzustellen. Die Gewerkschaften wollen sich mit dem Slogan „Zeit für mehr Solidarität“ am Sonntag für einen besseren Zusammenhalt der Generationen, zwischen Flüchtlingen und Einheimischen, zwischen Schwachen und Starken einsetzen. Im Gespräch mit Oberhessen-live äußerten sich Gewerkschaftsvertreter zu grundsätzlichen Themen mit hoher Brisanz.

Oberhessen-live: Wie zufrieden sind Sie mit der Umsetzung des Mindestlohns?

Bernhard Bender: Bei großen Unternehmen hat der Mindestlohn zu einer Verbesserung geführt. Bei kleineren Unternehmen wird der Mindestlohn oft unterlaufen. Gerade in der Bau- und Reinigungsbranche ist die Umsetzung des Mindestlohn weiterhin ein großes Problem. Wir helfen hier Betroffenen so gut wir können haben aber noch einen langen Weg vor uns.

Oberhessen-live: Wie ist Ihre Position zum geplanten Freihandelsabkommen TTIP?

Bernhard Bender, Vorsitzender des DGB Vogelsberg: Da sind wir ganz der Meinung der offiziellen Verlautbarung des DGB (reicht einen Zettel rüber): „TTIP ist ein Angriff auf unsere Demokratie. Die im Freihandelsabkommen der EU mit den USA geplanten Regelungen hebeln die nationalen Gesetze aus und ermöglichen den Konzernen mithilfe parteiisch besetzter Schiedsrichter die Steuerzahler in die Schadensersatzpflicht zu nehmen. Damit zwingt TTIP unser Wirtschaftssystem in ein neoliberales Korsett und bringt Gefahren für die Beschäftigten.“

Oberhessen-live: Wie gehen Sie mit dem Mitgliederschwund um? Es drängt sich der Eindruck auf, dass Ihnen die Mitglieder davon laufen?

Bernhard Bender: Seit Ende des letzten Jahres verzeichnen wir wieder Zuwächse. Die Talsohle ist durchschritten. Gerade Menschen mittleren Alters treten in die Gewerkschaften ein, weil sie gemerkt haben, dass sie sich organisieren müssen, um für ihre Arbeitnehmerrechte zu kämpfen. Die Zuwachsraten bei der IG Metall und bei ver.di sind momentan richtig gut. Erfreulich ist auch das Beispiel der Polizeigewerkschaft, die im letzten Jahr richtig gut gewachsen ist und auch sofort Verhandlungserfolge erzielt hat.

Hans Wilhelm Kurth von der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EGV): Für uns gilt das leider nicht. Wir haben weiterhin Rückgänge. Das liegt aber an der Privatisierung innerhalb der Bahn und am Strukturwandel. Früher hat man schon vor dem Ausbildungsbeginn bei der Gewerkschaft unterschrieben. Gerade die jungen Menschen interessieren sich nicht mehr für die Gewerkschaft, ein Bewusstseinswandel tritt erst in einem höheren Alter ein.

Oberhessen-live: Auch die Teilnahme an den Maikundgebungen ist in den letzten Jahren stark rückläufig.

Bernhard Bender: Das ist der Wandel der Zeit. Früher war das Freizeitangebot nicht in diesem Ausmaß vorhanden. Schauen sie sich an, wie viele Freizeitveranstaltungen am 1. Mai im Vogelsberg angeboten werden. Ein Familie fährt da doch lieber auf den Hoherodskopf zum Frühlingsfest, als an einer politischen Kundgebung teilzunehmen.

Oberhessen-live: Wie stehen die Gewerkschaften der Idee des bedingungslosen Grundeinkommens gegenüber?

Berhnhard Bender: Das ist eine sehr politische Frage. Innerhalb der Gewerkschaft gibt es da keine grundsätzliche Entscheidung. Wir wollen guten Lohn für gute Arbeit, mit sozialer Absicherung und Rente.

Jo Biermanski von ver.di: Persönlich bin ich da anderer Meinung. Zumindest würde ein Grundeinkommen dazu führen, dass die Arbeitgeber mehr auf die Arbeitnehmer zu gehen müssten und nicht die Arbeitnehmer auf die Arbeitgeber, wie es heute üblich ist.

„Arbeit ist nicht Arbeit schlechthin“

„Der Staat muss etwas tun, um mehr Steuergerechtigkeit herzustellen“, so Bender im allgemeinen Gespräch. Diejenigen, die viel verdienen, sollten auch mehr einzahlen. Steuerschlupflöcher müssten gestopft und die Großkonzerne besser überprüft werden. Um dem Investitionsstau zu begegnen, brauche man höhere Einnahmen auf kommunaler Ebene, aber nicht von den Bürgern, sondern von den Unternehmen. Aber: „Wer ordentlich für seine Leistung entlohnt wird, kann auch in die Sozialkassen einzahlen.“ In unserer Gesellschaft bestehe weiterhin ein großer Nachholbedarf bei der Gleichberechtigung. Noch immer würden Frauen im Durchschnitt 21 Prozent weniger verdienen als Männer. „Gleicher Lohn für Gleiche Arbeit“, fordern die Gewerkschafter für die Frauen aber auch für die Leiharbeiter in den Unternehmen.

Neben dem Thema Arbeit wurden auch viele gesellschaftspolitische Themen angesprochen, die die Gewerkschaftler bewegen. Beim Thema Flüchtlingskrise ging es Jo Biermanski um die „Armutsflüchtlinge“ aus Afrika. „Die nächste Flüchtlingswelle wird in einigen Jahren aus Asien kommen“ ist sich Biermanski sicher. Umweltkatastrophen und Wasserknappheit würden zu einer neuen Flüchtlingswelle aus Asien führen.

Außerdem hatten die Gewerkschaftsvertreter während des Wahlkampfs eine neue Form des Vandalismus ausgemacht. Die Wahlplakate der Linken seien innerhalb kürzester Zeit verschwunden oder zerstört worden. Der Kampf zwischen Linken und Rechten werde nicht mehr auf intellektueller Ebene geführt, sondern mit solchen Aktionen. Der 1. Mai gehöre traditionell den Gewerkschaften. Am Tag der Solidarität sei kein Platz für Nazis und Rechtspopulisten. „Sie werden von den Veranstaltungen ausgeschlossen“, so Bender abschließend.

Das Programm am 1. Mai
In Alsfeld: Ab 10 Uhr Kundgebung und Maifest auf dem Marktplatz. Hans-Joachim Rosenbaum, Regionalleiter IG BAU Hessen, hält die Mairede. Rahmenprogramm mit Livemusik und Infoständen der Gewerkschaften und befreundeten Organisationen.

In Schlitz: Ab 10 Uhr Kundgebung und Maifest im Foyer des Bürgerhauses. Philipp Zysas, Gewerkschaftssekretär IG Metall Hanau/Fulda, hält die Mairede. Rahmenprogramm mit Livemusik von Mario Wöllhardt und Infoständen der Gewerkschaften und befreundeten Organisationen.

 

 

 

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