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50 Jahre Haus am Kirschberg: Jahrtausendwende und NullerjahreFundamente fürs Leben schaffen

LAUTERBACH (ol). 50 Jahre alt wird das Haus am Kirschberg in diesem Jahr. Eine kleine Reihe setzt sich mit der Geschichte und der Entwicklung der Einrichtung auseinander, die im Lauf der Jahrzehnte von einem Mutter-Kind-Heim zu einem wichtigen Akteur der Jugendhilfe geworden ist. Der heutige Beitrag blickt auf die Jahrtausendwende und die Nullerjahre – eine Zeit im Zeichen von Neuerungen und Netzwerkarbeit im Sinne der Klientinnen und Klienten.

Die Geschichte des Hauses am Kirschberg sei während des gesamten halben Jahrhunderts seines Bestehens immer auch eine Geschichte der Weiterentwicklung gewesen, heißt es in einer Pressemitteilung des Hauses. Zu sehen, wie sich die Gesellschaft wandele und welche Auswirkungen dies auf junge Menschen habe, die aus verschiedensten Gründen in problematischen Situationen sind, sei ein Teil dieser Entwicklung.

Die Verantwortlichen im Haus am Kirschberg haben Veränderungen nicht nur erkannt, sondern auch Konsequenzen für ihren Bereich gezogen: So sei bereits in den Neunzigerjahren die Pädagogisch-Therapeutische Intensivbetreuung eröffnet worden – die Antwort auf besondere pädagogische und jugendpsychiatrische Störungsbilder bei jungen Menschen.

Auch erste Vernetzungsinitiativen haben Ende der Neunzigerjahre ihren Anfang genommen: 1996 gründeten unter Federführung des Hauses am Kirschberg in der Region ansässige Jugendhilfeträger einen Trägerverbund, um die von der Schließung bedrohte Beratungsstelle für arbeitslose Jugendliche zu erhalten. Seitdem sei das Beratungszentrum B:24 in den Regionen Lauterbach und Mücke im Übergang Schule-Beruf und schulbezogener Jugendarbeit tätig. Die B:24 schaffe einen betreuten Rahmen, motiviere die jungen Menschen und unterstütze mit sozialpädagogischen Angeboten, aber auch ganz praktisch mit zusätzlichen Lernangeboten zur Aufarbeitung von schulischen Defiziten.

Zukunft von jungen Menschen sichern

Die Beratungsstelle der B:24 ist auch in den neuen Räumen des „Kirschberg im Centrum“ in Lauterbach angesiedelt, das dort im Jahr 2019 eröffnet wurde. Henner Conrad, bis 2020 Pädagogischer Leiter im Haus am Kirschberg, sagt dazu: „Uns war es wichtig, dieses Beratungsangebot, das von jungen Menschen im Vogelsberg stark genutzt wurde, zu erhalten.“ Gemeinsam mit den Schottener Sozialen Diensten, der (inzwischen aufgelösten) Neuen Arbeit Vogelsberg und Kompass Leben, vormals Behindertenhilfe Vogelsberg e.V., sowie in Kooperation mit der Kommunalen Vermittlungsagentur habe man im Sozialraum Ausbildungsprogramme unter sozialpädagogischer und schulischer Betreuung einrichten und auf diese Weise Ausbildungsverhältnisse stabilisieren und damit auch die Zukunft von jungen Menschen sichern können.

Mit der gesetzlich vorgeschriebenen AG 78 habe bereits vor zwanzig Jahren eine Kooperation der freien Träger der Jugendhilfe und des Jugendamtes des Vogelsbergkreises miteinander begonnen. Ihre Aufgaben sind die Information der politischen Gremien, die dann auf Grundlage von erarbeiteten Konzepten notwendige Entscheidungen treffen können, sowie die Entwicklung gemeinsamer Instrumente zur Qualitätssicherung der Jugendhilfeleistungen und deren kontinuierliche Weiterentwicklung.

Enge Vernetzung

In diesen Zeitraum falle auch die Gründung der AG freier Träger, die auf eine Initiative des Hauses am Kirschberg zurückzuführen sei und die über die AG 78 hinaus eine engere Vernetzung und konstruktiven Austausch schaffe, während bis dahin die einzelnen Einrichtungen für sich allein gearbeitet haben. Hier werden vor dem Hintergrund ganz unterschiedlicher Arbeitsschwerpunkte gemeinsame inhaltliche Fragen beantworten und Positionen ermitteln. Aus der AG seien immer wieder sehr gute Kooperationsformen erwachsen, konstatiert Conrad, der in diesem Zusammenhang auch die Unterstützung durch den Vogelsbergkreis würdigt: „Die AG der freien Träger, wie wir sie hier im Vogelsberg finden, dürfte hessenweit einzigartig sein.“

Von Anfang an hatte das Haus am Kirschberg die Notwendigkeit von Unterstützung bei der Berufsausbildung für manche Jugendliche erkannt und auf dem eigenen Gelände, aber auch in Kooperation mit den ortsansässigen Unternehmen begleitete Ausbildungsverhältnisse begründet. Weit über hundert Auszubildende waren in diesem Verbund tätig: eine Gärtnerei, eine Modeschneiderei, eine Druckerei und Berufe in Hauswirtschaft und Verwaltung standen zur Verfügung.

Kontakte zu Ausbildungsbetrieben

Dass Teile dieser Bereiche aufgrund auslaufender Finanzierung ab dem Jahr 2014 eingestellt werden mussten, halte nicht nur Henner Conrad für sehr bedauerlich. Zwar liefen die begonnenen Ausbildungsverhältnisse bis zu deren Abschluss noch weiter, allerdings stehen heute nur noch die Bereiche Verwaltung und Hauswirtschaft als grundständige Angebote des Hauses am Kirschberg zur Verfügung.

Auch dessen Geschäftsführer Tobias Hoffmann halte ein sozialräumliches betreutes Berufsausbildungsangebot für benachteiligte Jugendliche in der Region nach wie vor für nötig. Um den jungen Menschen, die im Haus am Kirschberg vollstationär untergebracht sind, eine Berufsausbildung zu ermöglichen, bestehen gute Kontakte zu Ausbildungsbetrieben in der Region.

Ausbildungsmöglichkeiten gab es viele im Haus am Kirschberg, beispielsweise im Hauswirtschaftsbereich oder in der Modeschneiderei. Foto: Haus Am Kirschberg

„Wir sehen im Haus am Kirschberg stets den Menschen in seiner Gesamtheit und möchten ihm das geben, was er braucht, um nach dem Aufenthalt bei uns gestärkt in die Familien zurückzukehren oder ein selbstständiges Leben zu führen“, beschreibt Henner Conrad ein Ziel, das auch die Unterstützer des Hauses mit Spenden stets mittragen. Ein Teil dieses Konzepts seien die Tagesgruppen gewesen, die sich in der Region an Kinder und ihre Familien richteten und ein sozialräumliches Angebot darstellten, das Kindern und Jugendlichen ermöglichte, therapeutische Hilfe vor Ort anzunehmen und räumlich nah beieinander zu bleiben.

Tagesstrukturen geben

2001 sei die erste in Alsfeld gegründet worden, es folgten in den nächsten Jahren Gruppen in Schlitz und Lauterbach. In den Tagesgruppen fanden Kinder Angebote, die den Nachmittag und die Ferienzeit strukturieren, wenn dies in der Familie nicht aufgefangen werden konnte: Neben der Hausaufgabenbetreuung und einem Essensangebot, wurden soziale Kompetenzen trainiert.

In den Folgejahren gingen die Tagesgruppen in den HueD (Hilfen unter einem Dach) auf, einem Konzept, das unter einem Dach – für das Haus am Kirschberg im Innenstadtstandort An der Cent – verschiedene Angebote vereint: Von der Tagesstruktur bis zu vollstationärem Aufenthalt mit der Möglichkeit zu Verselbständigungsangeboten finden Klientinnen und Klienten hier alles, was sie brauchen. Hier war und ist besonders der integrative Ansatz von Bedeutung, wie Henner Conrad ausführt: Schulen und Elternhaus seien stets in die Arbeit eingebunden.

„Wir möchten auch die Eltern beim Erziehungsprozess unterstützen, gemeinsam mit ihnen und ihren Kindern an Problemlagen arbeiten und ihnen nichts überstülpen.“ Diese Problemlagen müssen die Familien selbst erkannt haben und Hilfe beim Jugendamt beantragen. Gemeinsam werde dann die passende Unterstützung gesucht. „Von der Tagesbetreuung über die sozialpädagogische Familienhilfe bis hin zur Wohngruppe kann dies alles sein“, so Conrad, der betont, dass das Haus am Kirschberg auch mit diesem Konzept neue Wege in der Jugendhilfe einschlüge, die es zuvor nicht gab und sich inzwischen vielerorts etabliert haben.

Als Ziel dieser Arbeit nennt Conrad, die Rückführung des Kindes oder Jugendlichen in das häusliche Umfeld, räumt aber auch ein, dass dies nicht immer machbar und am Ende auch nicht immer sinnvoll sei. Gutes Abwägen, ein großer Erfahrungsschatz und eine offene Kommunikation seien Bausteine, wie ein solch heikles Thema dennoch gelingen könne.

Kein Stillstand in der Pädagogik

Pädagogik sei immer in Bewegung sagt der Sozialpädagoge, der das Haus am Kirschberg als eine Einrichtung beschreibt, die mit Interesse, einem offenen Blick und dem Wunsch, jungen Menschen in schwierigen Situationen Hilfe zu geben, die Veränderungen in der Gesellschaft und in den Bedürfnissen wahrnehme und daraus pädagogische Konzepte entwickele.

Dass viele der Betreuten noch nach Jahren regelmäßig das Haus am Kirschberg besuchen, dass man sehe, wie sie ihr Leben schaffen und den Menschen im Haus am Kirschberg verbunden bleiben, lasse den Pädagogischen Leiter im Ruhestand resümieren, dass sich die nicht immer leichte Arbeit lohne. So habe das Haus am Kirschberg vielen Menschen ein Fundament für ihr späteres Leben geben können.

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