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Auftaktveranstaltung der Pfingstmusiktage mit „Flautando Köln“ vor großem PublikumInhaltliche und musikalische Vielfalt, virtuos präsentiert

LAUTERBACH (ol). Und es gab sie doch: Frauen, die als Komponistinnen und Musikerinnen tätig waren, obwohl die Gesellschaft dies zu ihrer Zeit noch nicht für Frauen vorsah. „Nur zur Zierde“ sollte ihnen die Musik sein, „nicht der Grundbaß des Seins und Tuns“, wie Abraham Mendelssohn Bartholdy seiner Tochter Fanny mit auf den Weg gab. Dass es sie gab und immer noch gibt und dass Frauen eine große Rolle in der Musikgeschichte und -gegenwart spielen, zeigten am Samstagnachmittag die vier Musikerinnen von Flautando Köln.

Susanna Borsch, Susanne Hochscheid, Ursula Thelen und Kerstin de Witt waren mit ihren vierzig Blockflöten in die Evangelische Kirche in Angersbach gekommen, um die diesjährigen Pfingstmusiktage zu eröffnen, wie es in der Pressemitteilung des Evangelischen Dekanats heißt.

Kantorin Claudia Regel, Künstlerische Leiterin der traditionsreichen Reihe, begrüßte das Quartett in der Kirche, die als Haus mit einer großen Blockflötentradition genau der richtige Ort für diese Veranstaltung sei. Die 49. Pfingstmusiktage fanden in diesem Jahr statt, federführend geplant und durchgeführt vom Förderverein der Pfingstmusiktage, mit Unterstützung zahlreicher Ehrenamtlicher, die vom Stühlerücken bis zur Künstlerbegleitung alle anfallenden Arbeiten erledigen. Regel dankte allen Freiwilligen für ihren Einsatz, der auch dem Publikum einen großen Applaus wert war. „Nun wartet ein großer Kunstgenuss auf Sie“, versprach sie den gut zweihundert Gästen in der Kirche – und das war nicht übertrieben:

Flautando Köln nahm seine Gäste mit in Klangwelten, die man in dieser Bandbreite und Varianz nicht auf Anhieb von einem Blockflötenquartett erwartet hätte. Dies lag zum einen an der Vielfalt der Instrumente, die von Garklein über Tenor- und Bassblockflöte bis hin zum Subbass reichte, allesamt virtuos gespielt. Zum anderen lag es auch an der hochinteressanten Stückeauswahl, die die Musikerinnen für ihr dem Mendelssohn-Zitat entlehnten Programm „Nur zur Zierde?!“ getroffen hatten.

Claudia Regel, künstlerische Leiterin der Pfingstmusiktage, eröffnete die diesjährige Reihe mit dem Konzert in Angersbach. Foto: Traudi Schlitt

Sie spielten Stücke vom Mittelalter bis zur Gegenwart und setzten dabei auf einen großen Abwechslungsreichtum und einige Überraschungseffekte. Des Weiteren bestach die Gruppe mit der vielgelobten Sopranstimme der Flötistin Ursula Thelen sowie so informativen wie humorvollen Moderationen, die sich Susanne Hochscheid und Kerstin de Witt teilten.

Einen Saltarello zum Auftakt

Für ihren Auftakt hatten die vier einen Saltarello ausgewählt, einen lebhaften Tanz aus dem Mittelalter, bei dem Thelens Gesang dominierte und die Flöten zunächst eine fast monotone Begleitung spielten, die allerdings bald in ein schnelles, rhythmisches und sehr fröhliches Spiel führten. Susanne Hochscheid moderierte den ersten Part und stellte die Intention der Musikerinnen vor, den Fokus auf Frauen zu richten: „Es gab in den jeweiligen Jahrhunderten viele Frauen mit großartigen Werken, denen die Anerkennung als Berufsmusikerin verwehrt blieb“, führte Hochscheid aus; gerade in den letzten Jahren entdecke die Musikwissenschaft viele von ihnen.

Hildegard von Bingen war eine dieser Frauen, eine der ersten dokumentierten vermutlich; sie lebte im zwölften Jahrhundert. Von ihr hatte das Publikum bereits die Sequenz „O Ignis Spiritus“ hören können, die das Quartett mit dem mittelalterlichen Tanz kombiniert hatte. Mit Maddalena Casulana (16. Jahrhundert) stellte Flautando Köln eine Komponistin vor, die zu den ersten gehören dürfte, deren Werke in Druck gegeben, veröffentlicht und aufgeführt wurden.

Flautando Köln – das Quartett beeindruckte mit inhaltlicher und musikalischer Vielfalt. Foto: Traudi Schlitt

Ihre Madrigale erklangen im Kirchenraum, eine wunderbare Verbindung von Gesang und Flötenspiel, das in seiner Vielstimmigkeit sehr genau die verschiedenen Stimmungen der fünf Teile wiedergab. Freiheitsliebend und stark mussten Frauen sein, die sich dem männlichen Diktat von Zurückhaltung in ihren Zeiten widersetzen wollten. Für Prinzessin Anna Amalia zu Preußen, die nie den Rang einer Berufsmusikerin angestrebt hätte, war es dagegen vielleicht eher einfach, zur Freude von sich und anderen zu komponieren. Ihre Werke sind in der Musikwissenschaft hochgelobt, wie Hochscheid in ihrer Moderation darlegte.

Für das Publikum in Angersbach hatten die Musikerinnen die „Sonate F-Dur für Flöte und B.c.“ ausgewählt, ein zartes, liebliches Stück, geschrieben für Anna Amalias großen Bruder Friedrich den Großen, das zum Lauschen und Zerstreuen einlud. Überraschungsgast in diesem Block war der Komponist Kurt Weill, dessen Kompositionen über interessante, aus dem Raster fallende Frauenfiguren ihn in dieses Programm brachten: Ursula Thelen sang die beiden Stücke „Les Filles de Bordeaux“ und die „Seeräuber-Jenny“ und lieferte mit dem Spiel der verschiedenen Blockflöten eine eigenwillige, sehr gefällige Interpretation ab, die ihr offenbar selbst viel Freude machte.

Ab nach Venedig

Im zweiten Block bescherten die Musikerinnen dem Publikum zunächst eine kleine Reise nach Venedig: Antonio Vivaldis „Konzert C-Dur“ stand auf dem Programm. Der Komponist hatte in der Lagunenstadt an einem Waisenhaus gewirkt und schrieb dort für ein virtuos muszierendes Mädchenorchester, deren Mitwirkenden er ein musikalisches Denkmal setzte. Clara Schumanns „Abendfeier in Venedig“ und Felix Mendelssohn Bartholdys „Venezianisches Gondellied – Agiato e con fuoco“ rundeten den italienischen Reigen ab und fügten der Vielfalt dieses Programms zwei weitere Facetten hinzu.

Einmal mehr bestach das Quartett durch die interessante Auswahl der Blockflöten, die das Publikum mehr als einmal beeindruckte. Insbesondere das ungewöhnliche Aussehen und Spiel der Paetzold-Flöte zog große Aufmerksamkeit auf sich. Der Neu- und Andersentdeckung der Blockflöten fügten die Künstlerinnen mit einer Interpretation der zeitgenössischen Komponistin Racheal Cogan eine weitere musikalische Entdeckung hinzu. Sie spielten das Stück „Swirling Leaves“. Moderatorin Kerstin de Witt lud das Publikum dazu ein, sich ganz auf die „Wirbelnden Blätter“ einzulassen und Raum für eigenen Assoziationen zu finden.

Flirrend vor guter Laune ging das Konzert musikalisch zu Ende: „Line for Lions“ des Komponisten Gerry Mulligan wurde von der Jazzsängerin Bianka Kerres eigens für Flautando Köln arrangiert und unterstrich mit seiner gesamten Darbietung noch einmal die Vielfalt, die ein solches Programm mit diesen Musikerinnen und diesen Instrumenten bot.

Nach der Zugabe gingen die Gäste beschwingt in das Pfingstwochenende, das gerade in und um Lauterbach noch viele musikalische Leckerbissen bereithalten sollte.

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