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Kulturgeschichte, Lesung, Musik: Frauen veränder(te)n die WeltEin Abend für mutige Frauen

LAUTERBACH (ol). Die Stadtbücherei Lauterbach, der Förderverein der Stadtbücherei und Soroptimist International (SI) Lauterbach Vogelsberg hatten Anfang März anlässlich des internationalen Frauentags zu einem Abend unter dem Titel „Danke, dass ihr nicht geschwiegen habt!“ eingeladen.

Die Ankündigung und das Thema des Abends hatten offensichtlich so viele Menschen angesprochen, dass die über 45 vorbereiteten Stühle nicht ausreichten. So aus der Pressemitteilung. Hocker mussten herbei und auch auf dem Gang platzierten sich Zuhörer. Petra Scheuer, Leiterin der Stadtbücherei Lauterbach und Dr. Barbara Peters, Präsidentin des SI-Clubs Lauterbach-Vogelsberg hatten den Abend gemeinsam mit dem Förderverein der Stadtbücherei – verantwortlich für das hervorragende Pausenbuffet – vorbereitet und freuten sich über die große Resonanz.

Neben den Leserinnen Steffi Kötschau, Gabriele Plöger, Ilka Kötschau, Karen Liller und Charlotte Allgeier war auch Sabine Dietrich zu hören, die mit Gesang, Klavier und bewegenden Liedern dem Abend die musikalische Tiefe verlieh. Das nahezu perfekte Zusammenspiel zwischen den ausgesuchten Rede- und Liedtexten sowie der emotionale Vortrag von Sabine Dietrich sorgten für mehr als einen Gänsehautmoment. Es war bemerkenswert, wie zurückhaltend die Akteurinnen hinter den ausgewählten Botschaften zurücktraten und gerade dadurch Texten und Musik zu einer besonderen Wirkung verhalfen.

Engagierte Frauen gestalteten diesen Abend und widmeten ihr Tun den mutigen Frauen, die durch ihre Worte die Welt prägten und veränderten. Ihnen galt der Dank im Titel des Abends und viele fanden in dessen Verlauf erinnernde Erwähnung. Dr. Barbara Peters formte aus der Kulturgeschichte der mutigen Frau eine spannende und bewegende Erzählreise.

Jahrhunderte des mutigen Kampfes

Das Publikum wurde auf diese Weise durch Jahrhunderte des mutigen Kampfes herausragender Frauen für Redefreiheit, Gleichberechtigung, Selbstbestimmung, Meinungsfreiheit, Menschenwürde und Klimaschutz durch Jahrhunderte geführt. Die ausgewählten Texte der Vorleserinnen und handverlesenen Lieder Sabine Dietrichs waren ebenfalls Stationen auf dieser Reise, der das Publikum auch emotional engagiert folgte.

Die Akteurinnen des Abends von links nach rechts: Petra Scheuer, Leiterin der Stadtbücherei Lauterbach, Sabine Dietrich, Ilka Kötschau, Steffi Kötschau, Charlotte Allgeier, Karen Liller, Gabriele Plöger und Dr. Barbara Peters, SI-Präsidentin. Foto: SI/Deibel

Peters begann mit einem kurzen Blick in die von Männern geprägte Geschichte der Rhetorik, die erst 470 v.Chr. überhaupt eine Frau erwähnt. Aspasia lehrte Perikles und Sokrates, wurde aber öffentlich als Hure diffamiert. Dieser Topos einer in der Öffentlichkeit auftretenden Frau als „öffentliche Frau“ – gleichbedeutend mit „Hure“ – hielt sich hartnäckig bis ins 18. Jahrhundert und wurde auch gegen Schauspielerinnen erhoben. Olympe de Gouges kämpfte während der französischen Revolution für die Rechte der Bürgerinnen und wurde 1793 hingerichtet.

Erst die Frauenrechtsbewegung ab Mitte des 19. Jahrhunderts brachte langsam eine Veränderung, hier waren Louise Otto-Peters und Helena Lange zu nennen. Bertha von Suttner zog große Menschenmengen zu ihren Reden an und erhielt 1906 den Friedensnobelpreis. Dennoch war es einer Frau bis 1908 bei Strafe verboten, sich in einer Partei oder einem Verein zu engagieren.

Emmeline Pankhurst kämpfte mit den Suffragetten erfolgreich für das Wahlrecht für Frauen, das 1918 umgesetzt wurde. 1919 sprach dann Marie Juchacz als erste Frau vor der Nationalversammlung. Clara Zetkin eröffnete 1932 den neu gewählten Reichstag als Alterspräsidentin und setzte ihre letzten Kräfte für einen kämpferischen Mahnruf ein, sich gegen den Faschismus zur Wehr zu setzen: die stärkste Fraktion des Reichstags war die NSDAP.

Clara Zetkin war eine der Initiatorinnen des Internationalen Frauentages. Die Lesung der Rede von Elisabeth Selbert zur „Gleichberechtigung der Frau“ durch Steffi Kötschau erinnerte an diesen großen Meilenstein der deutschen Verfassungsgeschichte.

Kampf für sexuelle Selbstbestimmung

Stella Browne, Margaret Sanger, Simone Veil, Simone de Beauvoir widmeten ihre Reden und Texte dem Kampf für sexuelle Selbstbestimmung der Frau, wie auch Waltraud Schoppe, die 1983 eine unvergessene Rede im Bundestag für die Grünen zur Vergewaltigung in der Ehe und zum Recht auf Schwangerschaftsabbruch hielt. Gabriele Plöger erinnerte mit ihrem Vortrag an Waris Dirie, die sich ihr Leben lang gegen weibliche Genitalverstümmelung einsetzt.

Bereits 1992, also fast 30 Jahre vor Greta Thunberg, hatte die 12-jährige Severn Cullis Suzuki vor der UN eine Rede zu Umwelt und Entwicklung gehalten, die die jüngste Leserin des Abends, Ilka Kötschau, engagiert vortrug.

Ilka Kötschau las als jüngste Akteurin des Abends die Rede von Severn Cullis Suzuki aus dem Jahr 1992. Foto: SI/Deibel

Nadia Murad hatte 2015 ihre Geschichte durch Versklavung und Vergewaltigung durch den IS vor dem Sicherheitsrat der UN öffentlich gemacht und erreicht, dass die UNO den Massenmord an Jesidin:innen als Völkermord anerkannte. Stellvertretend für alle Frauen, die es mutig wagten, ihr Schicksal öffentlich zu machen und für alle anderen Frauen auch unter Einsatz ihres Lebens zu kämpfen, las Karen Liller Malala Yousafzais Rede “Meine Geschichte ist kein Einzelfall“ zur Verleihung des Friedensnobelpreises und setzte die Worte der jungen Frau in lebendige Redekunst um.

Charlotte Allgeier las anschließend aus Michele Obamas Rede „Genug ist Genug“, in dem sie mit klaren Worten Trumps misogyne Haltung gegenüber Frauen verurteilte.
Peters erinnerte auch an Emma Gonzales Auftritt 2018 in Washington DC beim „March for our lives“, in dessen Verlauf sie mit sechs Minuten und 20 Sekunden des Schweigens an die Ermordung von 14 Schülern und drei Lehrern in Parkland durch einen Amokläufer gedachte und damit mehr bewegte als mit jedem denkbaren Wort.

Abschließend hielt Dr. Barbara Peters fest, dass der Kampf unzähliger mutiger Frauen dazu geführt hat, dass dieser Abend stattfinden konnte, aber das Erreichte gefährdet sei durch wieder stärker werdende patriarchale Kräfte. Was Frauen erkämpft haben, müssen Frauen weiter verteidigen.

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