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Schauspieler Reimund Groß präsentiert Büchner-Fragment als Ein-Mann-Stück an ASSWoyzeck als Vereinzelter unter Vereinzelten

ALSFELD (ol).Kürzlich war mit dem Schauspieler Reimund Groß die „Literaturbrauerei“ zu Gast in der Albert-Schweitzer-Schule. Als Ein-Mann-Stück präsentierte der Mime den „Woyzeck“. Die wichtigsten Szenen des Fragments hat Groß für seine Interpretation zusammengetragen und führte die Schülerinnen und Schüler im Anschluss zu vielen Fragen.

Es ist wohl eines der bekanntesten und meistgespielten Stücke in Deutschland – dabei ist Georg Büchners „Woyzeck“ ein Fragment geblieben, das – in mehreren verschiedenen Entwurfsstufen vorliegt und auch mehr als hundert Jahre nach seiner Erstaufführung das Publikum mit Fragen zurücklässt. So aus der Pressemitteilung der Albert-Schweitzer-Schule (ASS).

Grund genug für die „Literaturbrauerei“, sich des Stoffes in einer Form anzunehmen, die diesen Text nicht nur intellektuell, sondern auch sinnlich erlebbar machen soll und gerade Schülerinnen und Schülern die Welt hinter den Worten vermitteln möchte.

Die „Literaturbrauerei“ ist eine Initiative des Schauspielers Reimund Groß gemeinsam mit der Regisseurin Annette von Klier. Reimund Groß war auf Einladung der Fachschaft Deutsch vor wenigen Tagen mit seiner Adaption des „Woyzeck“ an der Albert-Schweitzer-Schule zu Gast, wo er vor Schülerinnen und Schülern der Oberstufe spielte. Fachbereichsleiterin Christiane Martin begrüßte Publikum und Schauspieler in der Aula des Oberstufenstandortes in der Krebsbach.

Theater, so führte der Schauspieler in seine Interpretation ein, sei die „Kunst der Behauptung“ – so könne er dieses Stück durchaus als Ein-Personen-Stück auf die Bühne bringen. Lediglich seine Gitarre hatte er sich zur Unterstützung mitgebracht, auf der er zumeist selbstgeschriebene, dem Stück zugeordnete Songs spielte. Von Beginn an war klar, dass es dem Darsteller und Regisseur auch um die Sprache geht, um die Möglichkeiten, die sie eröffnet, um ihre Schönheit.

Musik und Erzählung

Die erste Szene mit Musik und Erzählung führte zu Woyzeck mit einer kleinen Geschichte über die Liebe, über ein „arm‘ Kind“ und über den Ausspruch des Polizisten, der sich am Ende des Stücks über einen „wirklich schönen, echten Mord“ freut. Groß belässt es bei seiner Interpretation bei Büchners Sprache, die – das Stück ist um 1836 entstanden – heute alt und auch befremdlich anmuten muss.

Intensive Darbietung schwerer Kost: Reimund Groß auf der Bühne der Albert-Schweitzer-Schule. Foto: Schlitt

Als Woyzeck steigt Groß mit seinen düsteren Prophezeiungen ein, die er seinem Freund Andres gegenüber äußert. In alle Rollen schlüpft der Schauspieler gekonnt, gibt den Personen – insbesondere der Marie, aber auch allen anderen – bestimmte Attribute, Körperhaltungen Stimmlagen mit, sodass sie unterscheidbar werden. Dennoch wird das Stück am Ende für diejenigen Schülerinnen und Schüler, die den Woyzeck zuvor nicht kannten, nebulös bleiben. Ein Stück, dessen Inhalt nicht auf der Hand liegt, dessen darstellerische Mittel aber durchaus Gesprächsstoff liefern.

Die wichtigsten Szenen des Fragments hat Groß für seine Interpretation zusammengetragen: Woyzecks unglückliche Beziehung zu Marie und seinem unehelichen Kind, denen er seinen gesamten Sold abliefert, die Faszination, die der reiche, starke Tambourmajor auf Marie ausübt, die Eifersucht, die den diesem Gegenspieler in jeder Hinsicht unterlegenen Woyzeck schließlich zum Mord an seiner Marie treibt.

Auch die Abhängigkeit des Woyzeck vom Wohlwollen seines Hauptmanns, dem er auch Diener zur Verfügung steht und von dem er genauso gedemütigt wird wie von dem Arzt, der an ihm seine Erbsbrei-Experimente vollführt. Eindringlich, mit großer sprachlicher Kraft macht Groß die Not des Woyzeck deutlich, des Mannes, der als Einziger nach Zusammenhängen sucht in der Welt voller Vereinzelter. Nach Zusammenhängen, an denen er verzweifelt und zum Mörder wird.

Das Publikum folgte Groß‘ Darbietung fast atemlos – nicht zuletzt, um keinen Bezug zu verpassen, denn die Darstellung ließ viele Möglichkeiten zu: Auch als Woyzeck-Kenner musste man sich in den einzelnen Szenen erst zurechtfinden. Die mutige Inszenierung mit so gut wie keinem Bühnenbild und ohne Requisiten, die sich allein auf die sprachliche und darstellerische Kraft ihres Schauspielers verlassen konnte, führte die Schülerinnen und Schüler im Anschluss zu vielen Fragen, die von Reimund Groß explizit gewünscht waren.

Viele Fragen

Da einige der angehenden Abiturientinnen und Abiturienten das Fach Darstellendes Spiel belegen, stellten sie auch ganz pragmatische Fragen zur schauspielerischen Umsetzung des Stoffs: Wie lange die Vorbereitungen brauchten, beispielsweise; wieso man überhaupt an den Woyzeck geht, wie man so viel Text lernt oder wie man es schafft, die einzelnen Charaktere so schnell so verschieden darzustellen.

Foto: Schlitt

In ihren Wortmeldungen zeigten sie sich sehr angetan von der Atmosphäre, die Reimund Groß auf der spartanischen Bühne erzeugt hatte. Die unerwarteten Songs auf der Gitarre hatten dazu beigetragen ebenso wie die Intensität von Groß‘ Spiel. Auch der immer noch vorhandene Realitätsbezug – Mensch in prekären Verhältnissen muss mehrere Jobs bedienen und bleibt dennoch ausgegrenzt – wurde sehr deutlich.

Zwei Wochen lang sei er nun mit Woyzeck auf Tournee gewesen, sagte der Schauspieler zum Abschluss. Die Figur, der man so nah gekommen war, können man am Ende der Aufführung nicht einfach abschütteln. Deshalb sei er froh, jetzt eine kleine Woyzeck-Pause einzulegen. Doch Reimund Groß kommt zurück nach Alsfeld: Am 2. Mai wird er E.T.A. Hoffmanns „Sandmann“ mitbringen.

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