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Sanitäter aus Lauterbach stellt Medizin-Videos ins NetzFaktenchecker werfen Philipp Stehling „größtenteils falsche“ Aussagen über Mundschutz vor

LAUTERBACH (jal). Der Lauterbacher Notfallsanitäter Philipp Stehling erreicht mit Videos über medizinische Themen tausende Menschen im Internet. Jetzt ist er in Kritik geraten. Die Rechercheplattform Correctiv wirft ihm vor, fälschlicherweise vor dem Tragen eines Mundschutzes gegen das Coronavirus gewarnt zu haben. Der Helfer verteidigt sich – und verweist auf die Dynamik der Wissenschaft.

Im August 2018 stellte Oberhessen-live den damals 25-Jährigen vor. Zu dieser Zeit hatte Stehling auf Instagram 10.000 Fans, inzwischen sind es 27.000. Unter ihnen dürften etliche aus seiner Heimat sein, doch Stehling arbeitet als professioneller Influencer mit ProSieben/Sat.1 zusammen, über Auftritte in der Bild-Zeitung, bei RTL und für die AOK erreicht er seine Fans bundesweit. Ihnen verrät er, wie eine stabile Seitenlage funktioniert oder was alles in einen Verbandskasten gehört.

Auf seinem Instagram- und Youtube-Kanal beschäftigt sich der Vogelsberger auch mit der Corona-Krise. Eines der Videos über die Pandemie hat Stehling jetzt jedoch einiges an Kritik eingebracht. Die investigative und gemeinnützige Rechercheplattform Correctiv, die im Internet unter anderem zu mehreren Themen Faktenchecks betreibt, wirft dem Sanitäter vor, „größtenteils falsche“ Aussagen über die Wirksamkeit eines Mundschutzes gegen das Virus verbreitet zu haben. „Nein, das Infektionsrisiko für Covid-19 steigt nicht durch das Tragen von Mundschutz“, ist der Artikel der Plattform überschrieben.

Die Faktenchecker beziehen sich auf ein mittlerweile nicht mehr aufrufbares Video Stehlings, in dem er vor dem Tragen von Mundschutz gewarnt hatte. Er behaupte darin laut Correctiv, das Tragen eines Schutzes sei gefährlich. Die Wahrscheinlichkeit sei höher, sich mit dem Coronavirus anzustecken, als wenn man keine Maske trage. „Bei diesen Aussagen handelt es sich um falsche Interpretationen wissenschaftlicher Studien“, sagen die Faktenprüfer dazu.

In ihrem Artikel – hier nachzulesen – gehen die Journalisten von Correctiv Schritt für Schritt mehrere Punkte an Stehlings Aussagen durch, die ihrer Meinung nach kritikwürdig sind. Einer der genannten Aspekte ist unter anderem der Umstand, dass Stehling sich auf eine Studie bezieht, in der lediglich vier Patienten untersucht worden sind. Das ist deutlich zu wenig, um eine belastbare Aussage treffen zu können. „Die Studie stützt die Behauptung von Stehling nicht, da nur vier Personen untersucht wurden“, schreibt Correctiv.

Auch zweites Video zu dem Thema ist inzwischen offline

Was die Faktenprüfer allgemein an den Videos des Lauterbachers zum Coronavirus bemängeln, ist die Art der Aufmachung. „Die Überschriften zu seinen Videos sind dabei oft reißerisch. So heißt es beispielsweise: ‚Haben die EXPERTEN VERSAGT? – REALTALK zum CORONAVIRUS! Wacht endlich auf!’“ Seine Beobachtung, dass die wahren Experten alles richtig gemacht, selbsternannte Experten in den Sozialen Netzwerken aber versucht haben, das Virus zu verharmlosen, teilt Correctiv.

Die angeblichen Ungenauigkeiten in seinem Mundschutz-Video fielen zuerst Zuschauern auf, die unter dem Video kommentierten. Stehling veröffentliche daraufhin ein zweites Video, in dem er sich verteidigte und laut Correctiv von „Hate“-, also „Hass-Kommentaren“ sprach. „Darin erklärt er seinen Zuschauern, dass sie etwas falsch verstanden hätten. Er habe mit seinem Video einfach nur sagen wollen, dass sich die Menschen durch den selbstgenähten Mundschutz in falscher Sicherheit wiegen würden. Seine Zuschauer hätten seine Worte ‚fehlinterpretiert’ und das Video auch nicht ganz angeschaut“, schreiben die Faktenprüfer. Wie das erste, so ist auch das Reaktionsvideo mittlerweile nicht mehr öffentlich im Netz abrufbar.

Für Stehling haben die Ereignisse dennoch Folgen, wie es scheint. So distanzierten sich seine offenbar in Konkurrenz verbundenen Kollegen aus Alsfeld und Mücke vom „Blaulichtkanal“ – einem ähnlich gelagerten Youtube-Angebot, wie Stehling es anbietet – öffentlich von seinen Stellungnahmen. Die Björn Steiger Stiftung, die sich für die Stärkung des Rettungswesens stark macht, teilte auf Twitter mit, dass sie eine 2019 mit Stehling begonnene Zusammenarbeit mit sofortiger Wirkung beendet habe. „Von den seinerseits verbreiteten Verschwörungstheorien zu Covid19 distanzieren wir uns ausdrücklich“, heißt es in dem Tweet.

Die AOK Hessen teilt OL mit: „Wir haben im vergangenen Jahr mit Herrn Stehling kooperiert, er hat drei Videos im Auftrag der AOK Hessen (unter anderem für Facebook) realisiert. Insofern ging es zu keinem Zeitpunkt um die Corona-Pandemie, sondern um Themen im Kontext Familie und Kinder in Verbindung mit Erster Hilfe. Hier besitzt er aus unserer Sicht auch Expertise, zumal er in der Lage ist, Fakten sehr gut und vor allem verständlich vor der Kamera zu vermitteln. Die Inhalte dieser Videos wurden von unserem medizinischen Team zudem geprüft, bevor sie online gingen.“

Die Krankenkasse weiter: „Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir uns nicht zu diesem von Ihnen genannten Video aus dem April 2020 äußern können, welches ja nichts mit der AOK Hessen zu tun hat und wir demzufolge auch nicht kennen. Klar ist aber auch: Die Aussage, Community-Masken seien gefährlich, ergibt keinen Sinn und widerspricht dem Stand der Wissenschaft (heute und auch vor einem Monat) sowie den Vorgaben der Bundesregierung und der Länder.“

Auf Nachfrage von Oberhessen-live verteidigt sich Stehling erneut. Das besagte Video habe er am 8. April hochgeladen. Zu diesem Zeitpunkt seien die verfügbaren Studien zum Thema Mundschutz noch extrem dünn gewesen. In der Pandemie befinde man sich zudem in einer „dynamischen Entwicklung“, in der stetig neue Erkenntnisse hinzukämen. Er habe das Video gelöscht, da die Aussagen darin aus heutiger Sicht veraltet seien. Es sei ihm vorwiegend darum gegangen, die Menschen zu warnen, aufgrund des Baumwoll-Mundschutzes ein falsches Sicherheitsgefühl zu haben und sich dann zum Beispiel nicht an Abstandsregeln zu halten, sagte der Sanitäter. „Von unserer Seite war niemals, niemals die Rede davon, gegen die Maskenpflicht zu sein. Wir waren früher dafür, als sie offiziell kam.“ Keine Maske zu tragen, sei ein „No-Go“, sagte Stehling – und verwies darauf, dass er aktuell vermehrt über den richtigen Umgang mit den Masken auf seinen Kanälen informiere.

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