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Eine Reise der etwas anderen ArtVom Flugzeug rein in den Corona-Zug

Unser Kollege Juri Auel war bis vor Kurzem an der Westküste der USA, wegen Corona ist er inzwischen zurückgekehrt. Seine Heimreise war jedoch wie so vieles in dieser Zeit: alles Mögliche, nur nicht normal.

Dass Deutsche eher ihre eigene Mutter verkaufen würden, als Fünfe gerade sein zu lassen, ist ein abgegriffenes Klischee. Eines, was jedoch nur all zu oft stimmt. Da ist es fast schon befreiend festzustellen. Aber auch weit weg von good old Germany beherrschen Menschen den Dienst nach Vorschrift. Und sei die Vorschrift auch noch so absurd.

Portland, Westküste der USA, Gate E2 des städtischen Flughafens. Wegen des Coronavirus haben viele Airlines Flüge gecancelt. Dumm für Leute wie mich, die gerade wegen des Virus das Land verlassen möchten, so lange es eben noch geht. Flug 2348 von United Airlines soll jedoch an diesem Tag planmäßig abheben. In dem Airbus A319, der sich langsam dem Flugsteig nährt, haben in der Regel 138 Passagiere Platz. Am Gate zu sehen sind vielleicht zehn. Viel mehr werden es auch später in der Maschine nicht sein.

Kein Grund für die engagierte Mitarbeiterin am Schalter, das Boardingprotokoll über den Haufen zu werfen. Als allererstes sind die Passagiere der Gruppe Eins an der Reihe. Gleich rein darf auch, wer zurzeit im US-Militär dient. „Thank you for your service“ – „Vielen Dank für Ihren Dienst“, ruft die Mitarbeiterin allen potenziellen Soldatinnen und Soldaten am Gate E2 entgegen. Doch in Uniform checkt heute niemand ein. Gruppe Eins ist auch deswegen äußerst fix im Flieger verschwunden und macht es sich bequem.

Der Flieger in Portland, fast menschenleer, hob zum Glück dennoch ab.

Insgesamt gibt es jedoch Fünf Gruppen an Passagieren. Die Mitarbeiterin achtet penibel darauf, dass kein Chaos ausbricht, indem vielleicht jemand von Gruppe Fünf vor Gruppe Drei ins Flugzeug huscht. Wer mehr bezahlt, muss auch bevorzugt werden. „Wir sind drei, vier Leute hier“, sagt eine ältere Dame und schüttelt den Kopf. „Gehen Sie vor, ich laufe langsam“, deutet sie in meine Richtung. Ich gehorche.

Der Anschlussflug in San Francisco ist wesentlich voller. So voll sogar, dass man Handgepäck noch nachträglich umsonst aufgeben kann, damit genug Platz in der Kabine ist. Viele, die einen Mundschutz bei sich haben, tragen ihn zumindest zeitweise nicht über dem Gesicht, sondern um den Hals. Clever, denn so lässt es sich wesentlich leichter atmen.

Eine Dose mit Schnaps zum Händewaschen

Ein junger Mann geht jedoch wirklich auf Nummer sicher. Neben blauen Einweghandschuhen und Gesichtsmaske hat er sich in einen gräulichen Ganzkörperschutzanzug verpackt. Es raschelt, wie wenn man eine Zeltplane auseinanderpackt, wenn er später durch den Flieger schlurft. Die Crew gibt durch, doch bitte möglichst in ein Taschentuch zu niesen. Ein Flugbegleiter kramt am Ende des Flugs eine Dose mit hochprozentigem Inhalt vom seinem Wagen und reicht sie einem Mann, dem seine Frau verboten hat, nochmal schnell aufs Klo zu gehen. Das Desinfektionsmittel in ihrer Handtasche ist leer, zu gefährlich also. Der Schnaps aus der Dose wirds auch tun.

In Frankfurt angekommen schlagen die Deutschen zurück, was das Befolgen und Ausdenken fragwürdiger Regeln angeht. Vor dem Start habe sein Team davon nichts gewusst, sagt der Captain per Lautsprecher durch. Während wir in der Luft gewesen sind, habe die deutsche Regierung wohl neue Regeln erlassen, um die Gefahr von Ansteckungen mit dem Virus im Flugverkehr zu reduzieren. Es klingt, als könne der Kapitän selbst nicht so richtig nachvollziehen, was er seinen Passagieren da zu erklären hat.

Das Flugzeug müsse nach dem Andocken an das Gate 15 Minuten lang die Tür geschlossen halten. Die Zeit soll dem Bodenpersonal ermöglichen, bereits möglichst viele Koffer auszuladen, damit es am Gepäckband später keine lange Wartezeiten gibt und die Leute dort unnötig zusammenstehen.

Das ist aber noch nicht alles. Damit die Passagiere nicht alle zur Flugzeugtür drängeln und sich im menschenleeren Flughafen keine Menschenklumpen bilden, dürfen jeweils immer nur 40 Personen auf einmal den Flieger verlassen – mit einem Abstand von fünf Minuten zwischen jeder Kohorte.

Wie das Infektionen verhindern soll, nachdem man zehn Stunden mit mehreren Hundert Menschen auf engstem Raum zusammengehockt und sich mit mehr Leuten als manche auf ihre Hochzeit einladen, eine Toilette geteilt hat, das, so ist in diesem Moment deutlich zu spüren, will sich nicht nur mir weder auf den ersten noch auf den sechsten, siebten und achten Blick erschließen. Etwa 45 Minuten nach der Landung verlasse ich den Flieger.

Der Zug steht still, die Türen bleiben zu, der Puls geht hoch

ICE, Flughafen-Bahnhof in Frankfurt. Ich scheine es geschafft zu haben. Ich genieße es, die Mini-Quarantäne und die gespenstischen Atmosphäre des ausgestorbenen Flughafens hinter mir zu haben. Doch ich komm nicht weit. Genauer gesagt bis zum Frankfurter Hauptbahnhof. Es knackt von der Decke, die Schaffnerin mit einer Durchsage. Die Türen würden sich wenige Minuten nicht öffnen, bis medizinisches Personal an Bord sei. Keiner der Reisenden sei jedoch in Gefahr. „Teile dieser Durchsage könnten die Passagiere verunsichern“, würde Ex-Innenminister Thomas de Maiziere wohl sagen.

Wenig später, nochmal Durchsage: Die Türen sollen länger zu bleiben. Eine Stunde, 90 Minuten vielleicht. Die Schaffnerin, jung, zierlich, die eben noch ins Mikro sprach, steht plötzlich im Abteil, einen grünen Mundschutz vorm Gesicht. „Warum machen Sie die Türen nicht auf?“, will ein Mann in dem fast leeren Zug wissen. Ein Passagier aus Frankreich habe ihr gesagt, er habe Corona, sagt die Schaffnerin. Wie glaubwürdig die Beichte des Fahrgasts ist? Unklar.

Der Mann, der die Schaffnerin zur Rede stellt, kommt doch recht schnell mit einem eher undiplomatischem Vorschlag um die Ecke. „Warum gehen wir jetzt nicht zu dem hin und klatschen den?“ „Wo ist der jetzt?“, hakt er nach. „Das darf ich Ihnen nicht sagen“, erwidert die Schaffnerin. Ein weiterer Zuggast mischt sich ein, spricht von Nötigung. Die Lage ist angespannt, die Schaffnerin weicht in eine der leeren Sitzreihen zurück. „Halten Sie bitte Abstand“, sagt sie und macht eine abwehrende Geste. Auch für sie sei die Situation nicht leicht, sie habe zwei schwere Asthmatiker zuhause.

„Wenn einer Französisch redet, ey, dann kriegt der eine geklatscht“, poltert der erste Fahrgast. Die Türen geschlossen zu halten, sei nicht logisch: Überall seien doch Leute mit Corona. „Der will Aufmerksamkeit. Dann kommt er ins Fernsehen, das Radio, dann kommt die Bild-Zeitung“, rumpelt er. Einer der beiden aufgebrachten Fahrgäste droht, die Polizei zu rufen.

Die kommt auch. Die Bahn selbst hat sie verständigt. Mindestens zwei Beamte der Bundespolizei und fünf Mitarbeiter der Bahnsicherheit riegeln den Bahnsteig ab, Flatterband versperrt den Weg. Die Türen wurden nach einer entsprechenden Erlaubnis der Zentrale inzwischen geöffnet. Wer raus geht, der dürfe jedoch nicht wieder einsteigen, so die Schaffnerin. „Ob dieser Zug heute jedoch noch weiterfährt, mag ich zu bezweifeln“, schiebt sie hinterher. Also umsteigen, nächster Versuch, an diesem Tag noch nach München und damit nach Hause zu kommen.

Der Frankfurter Hauptbahnhof. Unter der Woche sieht man ihn nur in Corona-Zeiten so leer.

Bahnhöfe sind schon an normalen Tagen für manche Menschen Unorte. Weil dort so viele Gegensätze zusammentreffen. Hektik und quälende Warterei, Abschiedsschmerz und Freudentränen beim Wiedersehen, Berufspendler in teuren Anzügen und die politisch korrekt gern als „Trinkerszene“ bezeichneten Bettler, Verlierer und Obdachlosen der Großstadt, die ihren Kummer mit Alkohol betäuben. Für die Wenigsten ist ein Bahnhof ein Ziel, für die Meisten ist er nur ein seelenloser Punkt auf ihrem Weg woanders hin.

Doch unter den aktuellen Umständen, bei denen sich die Mitarbeiter in den Info-Ständen des Bahnhofs mit Baustellen-Absperrungen verbarrikadiert haben, damit die Fahrgäste möglichst viel Abstand halten, die Burgerketten im Bahnhof zwar Essen anbieten, Tische und Stühle aber zugestellt sind, das Reisen als Ganzes geächtet und teils verboten ist: Da fühlt es sich erst recht merkwürdig falsch an, an einem Ort zu sein, der nur fürs Reisen gemacht ist.

München, 15.09 Uhr, Bahngleis 23. Das Aussteigen aus ICE 623 hat reibungslos geklappt, ganz ohne verordnete Grüppchenbildung. Selten war Ankommen so schön.

2 Gedanken zu “Vom Flugzeug rein in den Corona-Zug

  1. Lustig ich war auf dem selben Flug von SFO nach FRA. Und habe wohl besser zugehört. Denn die Wartezeit beim Ausstieg kam auf Grund einer neuen Verordnung der Fraport, und macht durchaus Sinn. Denn im Flieger sitzend warten verteilt weniger potentielle tröpfchenhaltige Luft als mit 400 Personen an einem Gepäckband zu stehen und durcheinander zu laufen.
    Die Maske trage auch ich regelmäßig um den Hals. Denn wenn der Abstand groß genug ist, ist diese unnütz. Und warum hier der Umweg über Frankfurt Hauptbahnhof genommen werden musste erschließt sich nicht wirklich, denn die Züge nach München fahren dich eh über den Flughafenbahnhof bis zu zweimal pro Stunde.
    Ihrem Schreibstil und meiner Erfahrung auf Reisen entsprechend zweifle ich auch den Wahrheitsgehalt der angeblichen Kommentare der Zugreisenden „Wegglatschen und ähnliches“ stark an. Ach ja und die Boardingprozedur in den USA…..nun ja lieber eingespielte und erlernte Höflichkeit und freundliche Worte als die teilweise belästige Stimmung manch europäischer Fluggesellschaft zu ertragen.
    Da ich selbst mit meinen Flügen über den Atlantik im dreistelligen Bereich bin glaube ich hier das beurteilen zu können.
    Kaj Schauffele

    1. …und werde gesteuert und bezahlt von der Opfergruppe von ehrverletzten Kommunalpolitikern, die von Juri mal auf’s Korn genommen wurden! Rache ist süß, aber die Ehrverletzten sind einfach zu dumm dafür!

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