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Arbeiten „für die Ewigkeit“: Das Interkommunale Kreisarchiv Nordhessen IKANSichten, bewerten, aufbereiten, archivieren

VOGELSBERG (ol). Kilometerweise Material sichten und bewerten, danach heißt es entweder „schreddern und vernichten“ oder aber „aufbereiten und archivieren“. In ganz groben Zügen ist damit die Arbeit umschrieben, die seit Dezember 2017 von Dr. Sebastian Kraffzig und seinem Team geleistet wird. Dort laufen nämlich die Fäden der drei benachbarten Landkreise Vogelsberg, Hersfeld-Rotenburg und Schwalm-Eder zusammen: Die drei Kreise bewältigen im „Interkommunalen Kreisarchiv Nordhessen“ (IKAN) die Mammutaufgabe der Archivierung gemeinsam.

In der Pressemitteilung des Kreises heißt es, die Zusammenarbeit der drei Landkreise wurde kürzlich vom Bund der Steuerzahler mit dem „Spar-Euro“ ausgezeichnet – eine Auszeichnung für Städte, Gemeinden oder Landkreise, die durch wirtschaftliches Handeln der Verwaltung oder durch interkommunale Zusammenarbeit positive Beispiele geben.

Das Hessische Archivgesetz verlange, dass historisch bedeutsame Unterlagen vor Beschädigung, Verlust und Vernichtung zu schützen und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen sind – seit einer Änderung in 2012 ist das eine Pflichtaufgabe für Kommunen und Kreise. Bis dahin wurden kommunale Akten teilweise beim hessischen Staatsarchiv Darmstadt aufbewahrt.

„Dieser Auftrag hätte uns als einzelnen Landkreis vor große Herausforderungen gestellt, inhaltlicher wie auch finanzieller Art“, sagte Landrat Manfred Görig. Allein die Akten aus der Registratur der Kreisverwaltung aneinandergereiht ergäben schon stattliche fünf Kilometer, so die Schätzung. Bei Vorhaltung entsprechenden Personals (ein/e Archivar/in, ein/e Sachbearbeiter/in) wären dem Kreis Personalkosten von rund 130.000 Euro im Jahr entstanden. Für Sachkosten wären zusätzliche Kosten von etwa 35.000 Euro im Jahr angefallen.

Priska Walper, Diplom-Bibliothekarin beim Interkommunalen Kreisarchiv, arbeitet sich durch die Registratur der Kreisverwaltung in Lauterbach: Sie sichtet das Material und erfasst es; später wird in Hersfeld darüber entschieden, was davon für das Archiv von Bedeutung ist und entsprechend aufbereitet wird. Fotos: Gaby Richter

Jetzt gebe es die Archiv-Leitstelle in einem ehemaligen Tuchlager in Bad Hersfeld, Investitionen in Arbeitsmittel wie beispielsweise Archivscanner oder Software müssen nur einmal getätigt werden, kommen aber allen drei Landkreisen zugute. Die Kosten des Vogelsbergkreises belaufen sich auf nur rund 60.000 Euro im Jahr für Personal- und Sachkosten. Zusätzlich gebe es für die Interkommunale Zusammenarbeit der drei Kreise 100.000 Euro Förderung vom Land Hessen, verteilt auf fünf Jahre.

„Für die Ewigkeit“ aufbereitet und archiviert

Kraffzig stehe dem Archiv als Leiter des Fachdienstes vor und werde von der Bibliothekarin Priska Walper und den beiden Fachangestellten für Medien- und Informationsdienste, Hanna Trapp und Franziska Maurer, tatkräftig unterstützt. Alle Unterlagen, die in der Verwaltung der Landkreise entstehen, würden zunächst einmal gesichtet und im Hinblick auf ihre Archivwürdigkeit bewertet, aufbereitet, digitalisiert und im Online-Findbuch Arcinsys verzeichnet – „für die Ewigkeit“ aufbereitet und archiviert.

Schritt für Schritt – oder besser: Aktenordner für Aktenordner, Karton für Karton – gehe das Archiv-Team jetzt an die Umsetzung: Alle zwei Wochen komme die Bibliothekarin Priska Walper in die Kreisverwaltung, verschwinde im Keller und nehme nach und nach die Bestände in den zahllosen Räumen der Registratur genauer in Augenschein. Das Material werde gesichtet und erfasst, später werde darüber entschieden, was davon fürs Archiv von Bedeutung ist und entsprechend aufbereitet wird.

„Unterlagen sollen nach Ablauf der jeweiligen Aufbewahrungsfrist angeboten werden, das ist spätestens nach 30 Jahren der Fall“, erklärte Kraffzig. Falls Akten für archivwürdig befunden werden, erhalten sie eine Sperrfrist von 30 Jahren – es sei denn, es handele sich um schon veröffentlichte Inhalte, dann entfällt sie. Sind allerdings Persönlichkeitsrechte berührt – wie etwa bei Akten aus dem Jugendamt oder gar Adoptionsakten – greifen deutlich längere Fristen: Hundert Jahre ab Geburt, zehn Jahre nach Tod oder 60 ab Schließung der Akte, falls Geburts- oder Todestag nicht feststellbar sind.

Auch solche alten Schätze warten noch darauf, gehoben zu werden: Ein Schrank aus den 1960er Jahren mit Karteikarten von Vertriebenen, die im Vogelsbergkreis eine neue Heimat gefunden haben.

Aktenautopsie zum Ende

Was dann folgt, nennt der Archivar eine „Aktenautopsie“: „Die angebotenen Akten nehmen wir mit nach Hersfeld, sichten sie und entscheiden darüber, welche aufbewahrt und digitalisiert werden“, erzählte Kraffzig, „dabei schauen wir nach exemplarischen Fällen, die erhaltenswert sind. Da können Besonderheiten den Ausschlag geben wie auch einfach eine ausgesprochen lange Laufzeit und Dicke einer Akte.“ Die werde dann gesäubert, digitalisiert und in besonders säurearmes Papier und säurefreie Jurismappen eingeschlagen. Verpackt in speziellen Archivkartons finden sie dann ihren Platz im Archivregal.

Übrigens seien nur rund zehn Prozent der Bestände in den Registraturen auch archivwürdig, schätzt der Fachmann. Für die drei Landkreise würden jeweils ein bis anderthalb Kilometer Regalfläche im Archiv herauskommen. Denn jedes Landratsamt erhalte sein eigenes Archivgut wieder zurück, auch wenn in Hersfeld der Stammsitz des IKAN ist und dort auch der zentrale Lesesaal für Archivnutzer entstehen wird. Dort werde es auch weitere Sammlungsschwerpunkte geben wie beispielsweise historische Postkarten, Stempel und ähnliches – eben alles, was ins kulturelle, soziale und wirtschaftliche Gedächtnis der Region eingehen soll.

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